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Berlin: Da capo in der „Potse“

Heute vor zehn Jahren öffnete der Wintergarten und setzte einer tristen Straße das Glanzlicht auf

Von Lothar Heinke

Das war damals so, wie es heute Abend sein wird: Ein parfümiertes Erlebnis im Blitzlichtgewitter, voller Erwartung und mit kindlicher Vorfreude auf die Bescherung: Was haben sie sich denn diesmal ausgedacht?

Der Wintergarten feiert sein zehnjähriges Bestehen, und während die Promis reden und irgendwann der große Grock aus einer der nostalgischen Vitrinen auf die Bühne steigt und sein legendäres „Nit möööglich!?“ ins Publikum wirft, erinnern wir uns, wie an diesem regnerischen Septembertag 1992 plötzlich ungewohnte Lichterketten der ollen, leicht verschlissenen Potsdamer Straße ein Glanzlicht aufsteckten, das die zehn Jahre wacker hindurchflackerte. Das Varieté-Theater hat gewissermaßen einem ganzen Straßenzug festliche Erleuchtung verschafft. Und erst drin im Musentempel, der früher am Bahnhof Friedrichstraße stand und von dem der blaue Himmel mit seinen leuchtenden Sternen übernommen wurde, damit der stimmt und Erinnerungen erweckt? Der alte Wintergarten war viel größer, ein Saal – dies hier ist dagegen intim, plüschig-plauschig, und Tiller-Girls haben sie auch nicht. Aber ein Motto, dem sich Musiker und Magiere, Avantgardisten und Artisten und all die großen Körperbeherrscher auf den Varietébühnen dieser Welt gern unterwerfen: „Dem Staunen gewidmet.“

Dieser Slogan galt von Anfang an. Das Haus war so nett, Auszüge aus den ersten euphorischen Rezensionen auf blaue Täfelchen zu drucken und am rechten Eingang aufzuhängen – so kann jeder seither nach der Vorstellung beurteilen, ob das stimmt, was da geschrieben steht. „Unsere Prognose für das nächste Jahrzehnt: Varieté ist neben dem Videoclip das Kulturerlebnis der neunziger Jahre“, ein anderer sah in dem Haus nahe dem Potsdamer Platz, der damals noch eine Wüste war, ein Zeichen für die „erwachende Vitalität der Metropole“, und mir fiel ein, was auch noch nach zehn Jahren gilt: „Wintergarten: Große Kleinkunst, Lachen und Staunen über das Wunderbare. Da können sie noch ein Dutzend Fernsehkanäle mehr auf uns loslassen – diese Verführung der Sinne findet in keiner Glotze statt. Der Wintergarten ist zur Visitenkarte geworden“.

Mal so, mal so. Nicht jedes Programm riss uns so von den Sitzen wie die meisten Nummern, die hier mit der vollsten Konzentration, die zu diesem Job gehören, präsentiert wurden. Wir finden es schade, dass die Wintergarten-Straßenfeste der ersten Jahre längst nicht mehr zur Bereicherung des Sommer-Lebens der Straße beitragen. Aber es ist schön, hier in unserer Nachbarschaft, genau gegenüber unserem Tagesspiegel-Haus, eine „Location“ zu haben, die den normalen Bürger wie den stadtbekannten Promi immer wieder im roten Samt dieses Etablissements von Akrobat schöööön und seiner feingliedrigen Großfamilie, dieser trickreichen Komplizenschaft, zusammenführt.

Heute ist wie damals Premierentag im Wintergarten. Es gibt eine dicke Jubiläumsprogrammillustrierte, den roten Teppich, den Schnellschussfotografen, viele Glückwünsche, Reden – und die Gewissheit, dass auch morgen wieder die Busse aus allen deutschen Landen und die Leute in den Abendgarderoben vor acht und kurz nach zehn die „Potse“ beleben – zum Staunen schön.

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