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Berlin: Damit das Leben irgendwie weitergeht

Heute feiert das Behandlungszentrum für Folteropfer seinen 15. Geburtstag 6000 Patienten haben die Ärzte und Therapeuten bisher behandelt

Es war einmal ein König mit einem Geheimnis: Er hatte sehr große Ohren, die er unter einer Mütze versteckte. Eines Tages kam ein einfacher Hirte dahinter. Er musste dem König schwören, nie darüber zu sprechen. Aber das Schweigen machte den Hirten mit der Zeit krank. Da erzählte er den Wellen in einem See davon – und fühlte sich viel besser.

Diese Geschichte aus ihrer Kindheit geht der 37-jährigen Elif oft durch den Kopf. Denn sie erinnert sie an ihre eigene. Die Kurdin hat Dinge gesehen und erlebt, über die sie lange Zeit nicht sprechen konnte. Bis sie der Therapeutin Mechthild Wenk-Ansohn im Behandlungszentrum für Folteropfer in Moabit gegenübersaß. Dort erzählte sie zum ersten Mal, wie sie elf Tage lang in einer türkischen Polizeistation gefoltert worden und danach stellvertretend für ein Familienmitglied fast zehn Jahre im Gefängnis gewesen sei. Nach ihrer Entlassung floh sie nach Deutschland. Jetzt – nach mehreren Jahren Therapie – sitzt sie im Musikraum des Zentrums, um zu berichten, wie dort Menschen wie ihr geholfen wird – und das seit 15 Jahren. Am heutigen Dienstag wird der Geburtstag des Zentrums mit einem Fest begangen.

Mit verschiedenen Therapieformen und Fortbildungskursen bereiten dort Mediziner, Therapeuten und Sozialarbeiter die Patienten auf ein halbwegs normales Leben vor. Multidisziplinär nennt sich der Ansatz – vor 15 Jahren war es das erste Zentrum dieser Art, inzwischen gibt es bundesweit 15. „Diese Einrichtung war sehr wichtig für mich“, sagt Elif. „Meine Wunden sind noch immer tief, aber das Leben kann jetzt irgendwie weitergehen.“ Die mädchenhaft wirkende Frau kann inzwischen wieder etwas besser schlafen, hört nicht mehr überall auf der Straße die Stimmen ihrer Peiniger. Und sie hat im Zentrum Deutsch gelernt. „Stabil“ nennt Therapeutin Wenk-Ansohn das: „Es kostet Zeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und gemeinsam Zugang zu verschütteten Ressourcen zu finden.“ Oft gelingt das. Wenk-Ansohn arbeitet hier seit 13 Jahren und sagt, die Arbeit erfülle sie noch immer mit Befriedigung. Es gehe nicht nur darum, Einzelnen zu helfen, sondern die Situation für Flüchtlinge im Allgemeinen zu verbessern. Auch in dieser Hinsicht gebe es Erfolge, wenn auch kleine. Das Zentrum ist inzwischen fachlich anerkannt, Gerichte ziehen Wenk-Ansohn und ihre Kollegen als Gutachter in Asylverfahren zu Rate, um herauszufinden, ob jemand wirklich in seinem Land verfolgt wurde. „In Therapiegesprächen können wir das feststellen“, sagt sie. Trotzdem werde ihre „Expertenmeinung noch immer nicht ernst genug genommen“.

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