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Hipster, seid nicht traurig. Berlin ist so schön - normal!

© dpa

Das Ende eines Trends: Berlin, du bist ein Kleinbürger!

Berlin ist nicht mehr angesagt. Die Aberkennung diesen zweifelhaften Prädikats kommt gerade noch rechtzeitig, findet unsere Autorin. So kann sich die Hauptstadt ihre eigene, wunderbare Normalität bewahren.

Hip, hipper, Berlin. Das war einmal. Berlin ist nicht mehr hip! Endlich, wir sind wieder unter uns. Und alle, die nach Berlin gezogen sind, um einmal in ihrem Leben hip zu sein, sollten ihren Kummer über diese Nachricht schnellstmöglich in Holunder- Bionade ersäufen.

Diese ganze Vielfalt, die nach und nach zur Einfältigkeit führte, geht mir schon seit einiger Zeit auf den Zeiger. Und das ganze Arm-aber-sexy-Gerede hat sich doch auch irgendwie totgelaufen. Hoffnung ist ein prima Frühstück, aber ein erbärmliches Abendessen.

Die Karawane zieht also weiter, soll sie doch. Genau genommen braucht es, um unendlich hip zu sein, ein großes Vakuum, das besondere Umstände hinterlassen hat. So wie West-Berlin einst die Wehrdienstverweigerer anzog und sich dort eine eigene Kultur zwischen Kommune, Kommunismus und kreativem Chaos entwickelte. Ja, und dann kamen die Weltstadtpioniere, die sich von Mitte in Richtung Osten ausbreiteten. Zugegeben, mir hat das auch gefallen und seitdem bin ich ja auch da. Nur die Kunst besteht darin, etwas Neues mit dem Alten zu verbinden, damit beides weiterkommt.

Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Kinder der Generation Kohl allein aus ihrer Inkompatibilität mit dem Rest der konservativen Gesellschaft diesen Umstand schon als Alleinstellungsmerkmal kultivieren. Gefangen zwischen den Welten verharren sie, bis sie eine Erbschaft oder die totale Anpassung aus dem Fegefeuer der Eitelkeiten erlöst. Und diejenigen, die sich als Avantgarde inszenieren, brauchen immer eine halbwegs biedere Kontrastfläche, von der sie sich abheben können.

Der Nabel der Welt liegt nicht in Berlin

Berlin ist ein Kleinbürger, der für die schöne Nachbarin den Bauch einzieht. Unser durch und durch bürgerliches Berlin ist geradezu ideal, um sich in Extravaganzen auszutoben. Vielleicht ist es ganz gut, dass Berlin nun von den Städterankings verschwindet. So merken die Hipster mal, dass in Berlin normale Menschen leben, anstatt sich zum Nabel der Welt zu machen.

Aber stopp, ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich mich auf dem Rücken der Jungen mit neuen Ideen lustig mache. In jedem Kiez trauen sich Leute, etwas Neues auszuprobieren. In Kunst, in Musik, im Schreiben oder im Querbeet. Das imponiert mir. Und wenn sie bleiben und davon leben können, dürfen sie sich auch gerne hip nennen. Aber man tut gerade so, als ob man Freiräume zwischen Biederkeit und Kommerz schaffen wolle.

Das Virus der Gentrifizierung

In Wirklichkeit werkeln da nur schlecht abgesicherte Selbstausbeuter, die ohne die Transferzahlungen von Daheim auf dem Schlauch stünden, wenn auch in engen Röhrenjeans, mit Riesenbrillen und Pudelmützen ohne Pudel. Dass sie als Nebeneffekt den Virus der Gentrifizierung anschleppen, kann man ihnen nicht zur Last legen. Das hat der Gesetzgeber zu verantworten, der mit privatem Kapital die Bausubstanz aufpeppen lässt, bis die Altmieter aussteigen müssen.

Ausstieg? Gerade noch rechtzeitig!

New York, Paris und London waren so lange hip, bis sich das keiner mehr leisten konnte. Vielleicht fliegen wir gerade noch rechtzeitig aus dem Olymp der Trendmetropolen. Eine halbe Treppe tiefer bietet immer noch genug Spielwiese. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ayagini yorganina göre uzat.“ Strecke deine Füße nach der Länge deiner Bettdecke aus.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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