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Berlin: Das Ende kommt ohne Warnung

Mit speziellen Geräten können medizinische Laien den plötzlichen Herztod von Mitmenschen verhindern. Jetzt gibt es erste Ergebnisse einer Berliner Studie zu den so genannten Defibrillatoren

„Plötzlich und unerwartet“ oder „friedlich entschlafen“ – viele Traueranzeigen beginnen mit diesen Worten. „Friedlich entschlafen“, diese Worte wählte auch die FDP für ihre Mitteilung, dass Günter Rexrodt am vergangenen Donnerstag verstorben sei. In der Nacht, im Krankenhausbett der Charité, wo er sich wegen einer anderen Erkrankung aufhielt. Genauer haben es jetzt die Pathologen definiert: Ein plötzlicher Herztod sei die Ursache des unerwarteten Endes gewesen.

Der Berliner Kardiologe Dietrich Andresen nennt den plötzlichen Herztod „den schönsten Tod – wenn die Zeit gekommen ist“. Nach einem langen Leben ist dies ein kurzer, ein schmerzloser Abschied. Sechs Sekunden nach dem Anfall wird einem schwarz vor Augen, sechs Sekunden später kommt die Bewusstlosigkeit. 30 Sekunden später bricht die Atmung zusammen. Spätestens nach zehn Minuten ist alles vorbei. „Wenn man schläft, muss man nicht einmal davon aufwachen, denn es gibt keinen Schmerz“, sagt Andresen. Vom Schlaf in den Tod.

Was passiert dann im Körper? Andresen nennt das, was da mit unserer Pumpe geschieht, einen „elektrischen Unfall“. Der Schlag eines gesunden Herzens wird vom so genannten Sinusknoten gesteuert. Das ist ein Nervenbündel, das direkt am Muskel sitzt und mit kontrollierten Stromimpulsen die Muskelzellen in regelmäßigen Abstand zur Kontraktion zwingt. Bodum, bodum, bodum … Doch bei einem kranken Herzen ist das anders. Zum Beispiel dann, wenn durch ein verstopftes Gefäß die Blutversorgung des Muskels stockt. Die sterbenden Zellen – und das können Millionen sein – geben urplötzlich ein elektrisches Signal ab, reizen sich gegenseitig unkontrolliert, ohne Rhythmus. „Ein Chaos“, sagt Andresen. Die Steuersignale des Sinusknotens gehen in diesem Impulsgewitter einfach unter. Das Herz schlägt nicht mehr, es fibrilliert, wie die Fachleute sagen. Das heißt: Auf dem gesamten Muskel zittern krampfartig Hunderte, Tausende, Millionen einzelne Muskelzellen. Pumpbewegungen sind das nicht mehr, die Blutversorgung des gesamten Körpers bricht binnen Sekunden zusammen.

Nur kommt dieser Abschied aber – wie auch bei Günter Rexrodt, der gerade 62 Jahre alt war – oft nicht nach einer Lebensspanne, die wir Menschen für angemessen halten. 3500 Menschen sterben in Berlin pro Jahr am plötzlichen Herztod, bundesweit sind es rund 80 000. Die meisten von ihnen erwischt es im Alter zwischen 55 und 65. Viel zu früh, sagen wir dann. Und selbst bei jungen, durchtrainierten Sportlern können Herzrhythmusstörungen unerwartet auftreten. Anfang des Jahres traf es den gerade 24 Jahre alten ungarischen Fußball-Nationalspieler Miklos Feher, der während eines Ligaspiels im portugiesischen Guimaraes tot zusammenbrach. Bei 70 Prozent der Betroffenen kommt der plötzliche Herztod genauso, wie sein Name es sagt: ohne Warnung.

Dietrich Andresen, Chefarzt der Kardiologie an den Vivantes-Kliniken in Friedrichshain und am Urban, will diese Zahl senken. Er ist davon überzeugt, dass öffentliche Defibrillatoren und flächendeckend in dessen Anwendung geschulte Laien Leben retten können. Um das zu beweisen, hat Andresen eine Studie zum plötzlichen Herztod in Berlin initiiert, die vor zwei Jahren begann. 2500 Fälle werden dafür analysiert und 2500 Patientengeschichten studiert.

1100 medizinische Laien – Verkäuferinnen, Maschinenbauschlosser oder Hotelangestellte – hat man für die Studie in der Handhabung des Defibrillators geschult. Mit dem Gerät werden Stromstöße zum Herzen geleitet – so kann sich der Herzschlag wieder normalisieren (siehe Kasten). Man ließ die Probanden an Puppen üben, die den Herztod simulierten, trichterte ihnen Daten und Fakten zur Funktionsweise des Herzens und des Defibrillators ein, ließ die Freiwilligen schließlich Prüfungen schreiben und noch einmal Puppen retten. Berlinweit haben die Wissenschaftler 40 Defibrillatoren etwa in Hotels und Opernhäusern installiert.

Nun liegen die ersten Ergebnisse der auf insgesamt drei Jahren angelegten Untersuchung vor, auch wenn Andresen und sein Team derzeit noch viel Material sichten müssen. Danach hat sich gezeigt, dass die Dauer der Ausbildung entscheidend ist für die richtige Hilfe mit dem Defibrillator. „Nach einer zweistündigen Schulung machten von 100 Ausgebildeten 91 alles richtig, nach sieben Stunden waren es sechs mehr“, sagt Andresen. Und unter diesen sechs Leuten könnte der entscheidende Mensch sein, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und einen Zusammengebrochenen vor dem plötzlichen Herztod rettet. Denn eine Zahl gibt den Ärzten Hoffnung, vielen Menschen so helfen zu können. „Dreiviertel aller Opfer eines plötzlichen Herztodes bekamen ihren Anfall im Beisein von Angehörigen oder in der Öffentlichkeit“, sagt Andresen. Und wenn die richtig reagieren können und das entsprechende Equipment zur Verfügung haben, besteht eine große Chance für eine erfolgreiche Wiederbelebung. Drei Menschen wurden in den letzten beiden Jahren in Berlin von den so Geschulten gerettet, die sonst wohl gestorben wären oder irreparable Schäden davongetragen hätten.

Denn das Problem des Herztodes ist der Faktor Zeit. „Jede Minute, die vergeht, senkt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Wiederbelebung um zehn Prozent“, sagt Andresen. Und die Rettungswagen der Berliner Feuerwehr sind meist erst nach acht Minuten am Einsatzort. Das heißt, bei acht von zehn Opfern kommt dann die Hilfe zu spät.

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