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Berlin: „Das Feindbild Islam ist in Berlin verblasst“

Mohammed Herzog, Vorsitzender der Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime, über die Folgen des Anschlags

Von Thomas Loy

Als moderner Moslem kann sich Mohammed Herzog vor der Küchenarbeit schlecht drücken. Zwei ältere Damen schauen geduldig zu, wie Herzog ihnen die Frühstücksbrötchen belegt. Er hat Küchendienst im „Interkulturellen Haus“ in der Schöneberger Geßlerstraße. Hier ist die „Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime“ untergebracht, der Herzog vorsteht. Damit ist er nach eigenen Angaben Repräsentant von rund 46000 Moslems in Berlin.

Vom 11. September will Herzog eigentlich gar nichts mehr wissen. Das viele Reden störe nur den Frieden, der inzwischen wiederhergestellt sei. Nach den Anschlägen kamen zuerst die Medien, dann die Morddrohung gegen ihn persönlich und schließlich Schmähungen aus der Bevölkerung. Islamischen Frauen wurden die Kopftücher abgerissen, islamische Männer wurden bespuckt. Am Jahrestag könne diese Wunde wieder aufreißen, befürchtet Herzog. Dabei hat der 11. September dem Islam in Berlin eher Zulauf beschert. Mehr als 30 Neuaufnahmen in die Islamische Glaubensgemeinschaft hat Herzog seit dem 11. September vollzogen.

Darunter viele Ostdeutsche, die jahrelang mit verschiedenen Religionen geliebäugelt hatten, um schließlich dem Islam quasi aus aktuellem Anlass den Zuschlag zu erteilen. Nach den Anschlägen sei zunächst der Bedarf an Informationen zum Islam exponentiell gestiegen, sagt Herzog, der auch Imam ist, also ein Geistlicher. Viele zeigten sich überrascht, wie liberal der Islam praktiziert werden könne. Keine Kirchenorganisation, keine Mission, kein Vorschriftenkatalog. Selbst der Imam sei eigentlich ein Konstrukt. „Jeder Gläubige muss direkt mit Gott ausmachen, wie er seinen Glauben leben will.“ Wer zum Islam übertreten möchte, müsse nur das Glaubensbekenntnis aufsagen, erklärt Imam Herzog den Interessenten, die das kaum glauben können. Er führt quasi als freiwillige Dreingabe noch ein Gespräch, um die ernsthafte Absicht festzustellen. Danach erhalten die Anwärter eine Bescheinigung mit Foto, das ihren Glauben ausweist und den Zutritt zur Moschee ermöglicht.

Das Feindbild Islam sei nach dem 11. September eher verblasst, sagt Herzog. Die Religionen rücken näher zusammen. Juden, Christen und Moslems treffen sich vermehrt zu Gesprächen und gemeinsamen Friedensgebeten. Herzog ist sich sicher, dass darin eine große Chance liegt, um der Welt weitere Umdrehungen der Gewaltspirale zu ersparen. „Aufklärung“ ist eines seiner Lieblingswörter.

Dessen ungeachtet seien sich die verschiedenen islamischen Organisationen in Berlin nach wie vor spinnefeind, sagt Herzog. Seine liberale Haltung ist vielen älteren Einwanderern aus der Türkei oder arabischen Ländern höchst suspekt. In diesen Kreisen hört er auch zwiespältige Kommentare zum 11. September: Schlimm für die vielen Opfer, aber „gut, dass die USA mal eins auf die Schnauze bekommen haben.“ Welche politischen Treibkräfte hinter solchen Äußerungen stehen - wenn es denn welche gibt - weiß Herzog nicht.

Früher sei er oft von verschiedenen islamischen Gruppen angerufen worden, wenn sie politische Aktionen planten. Heute schweigt das Telefon. Man fürchtet Herzogs Offenheit. Und er sagt denn auch ganz offen, dass er im Zweifelsfall mit Polizei und Verfassungsschutz zusammenarbeiten würde. Anrufe bekommt Herzog nun häufiger von informationshungrigen Polizeireportern auf Terroristenjagd. Herzog ist für jeden zu sprechen, auch wenn er nichts sagen kann.

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