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Ob beim Essensdienst oder im Krankenhaus: Während der Pandemie sind die Bedingungen für ein Freiwilliges Soziales Jahr erschwert.

© Felix Kästle/dpa

Pandemie-Einsatz ohne Anerkennung: „Das FSJ wird vom Land Berlin mit null Euro gefördert“

Ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pandemie bedeutet häufig mehr Druck und Belastung. Im Interview fordert eine Freiwilligensprecherin bessere Vergütung.

In der Pandemie ist die Mehrzahl der 2000 Freiwilligen, die derzeit in Berlin ein soziales Jahr absolvieren, in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen in extremer Weise gefordert.

Eine 18-jährige Freiwillige musste miterleben, dass in ihrem Altenpflegeheim innerhalb einer Woche fast zehn Bewohner*innen an Covid-19 starben, berichtete kürzlich Sebastian Hennig, pädagogischer Betreuer des Diakonischen Werks in einer Anhörung des Abgeordnetenhauses. Die Freiwillige selbst und ihre gesamte Familie wurde zudem infiziert.

„Die Auseinandersetzung mit Tod gehört bei einem FSJ in der Altenpflege zu den Erfahrungen, die Freiwilligen auch sonst erleben“, sagte Hennig im Ausschuss für Partizipation und Engagement: „Aber in diesem Jahrgang gibt es besonders viele Beispiele für grenzwertige Situationen, nicht nur Tod und Trauer, auch Überlastung und psychische Krisen.“ 

Die FJS-ler*innen erhalten für ihren Vollzeitdienst zwischen 250 und 300 Euro im Monat. Davon müssen sie ihr Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr zahlen und auch eventuelle Mietkosten bestreiten. Ein Unding, vertreten die Trägerorganisationen.

Und ungerecht zudem. Denn Freiwillige im Ökologischen Jahr erhalten 510 Euro im Monat, sagt Tilmann Weickmann, Geschäftsführer des Landesjugendrings Berlin. Die 28 Berliner Träger eines Freiwilligen Sozialen Jahr aber erhalten keine Landesförderung.

Anders übrigens als in acht anderen Bundesländern. Durch die Ungleichbehandlung von FSJ und FÖJ befeuert der Senat eine Konkurrenz zwischen den Freiwilligendiensten, sagt Weickmann und fordert gleiche Bedingungen.

Erste Überlegungen zur Verbesserung der Situation

Der Landesjugendring verweist auf das Ziel der neuen Engagementstrategie des Senats, die Freiwilligendienste zu stärken. Dort heißt es, es solle „durch eine öffentliche Zuwendung des Landes ein einheitliches Taschengeld für alle Freiwilligendienstleistenden“ ermöglicht werden. Wann eine Änderung kommen könnte, ist derzeit offen.

Ursprünglich hatte übrigens die CDU das Thema einer „stärkeren Unterstützung und Anerkennung“ der Freiwilligendienste auf die Tagesordnung gesetzt – ihr Antrag vom Oktober 2018 wurde aber lange ausgebremst.

Die rot-rot-grüne Koalition, die mit ihrer Mehrheit nun die Anhörung auf die Tagessordnung des Ausschusses setzte, ist verbal dafür. Aber die aktuelle Antwort des Senats auf die kleine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten June Tomiak (Grüne) fällt reichlich unbestimmt aus.

Verwiesen wird auf die noch nicht verabschiedete neue Engagement-Strategie des Landes Berlins, die bis 2025 umgesetzt werden soll. „Derzeit werden vom Senat erste Überlegungen zu einem Umsetzungskonzept entwickelt“, heißt es. Für die FSJ-ler*innen wird sich das nach weiterem Warten anhören.

Sprecherin der Freiwilligen fordert mehr Geld für FSJ-ler

Eine von ihnen ist Natalie Weiser, 19 Jahre alt. Sie macht ein FSJ in einem Krankenhaus und forderte im Parlamentsausschuss ebenfalls eine Erhöhung der Bezüge. Sie ist Sprecherin von Freiwilligen der AWO, der Diakonie und der Jugendbauhütte, die sich zusammengeschlossen haben, um bessere Bedingungen zu erreichen. 

[Dieses Interview ist zuerst im Newsletter „Ehrensache“ erschienen. Der Newsletter für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen, erscheint immer am zweiten Mittwoch im Monat. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de.]

Was war Ihre Motivation für ein Freiwilliges Soziales Jahr? 
Ich habe letztes Jahr Abitur gemacht und weil ich überlege, Medizin zu studieren, wollte ich erfahren, wie es im Krankenhaus zugeht und wie es ist, 39 Stunden pro Woche zu arbeiten. Ein Motiv war auch, dass im FSJ kein Konkurrenz- und Leistungsdruck wie in Studium und Beruf herrscht, sondern man sich engagieren kann und zudem durch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen viel lernt.

Sie fordern eine bessere finanzielle Ausstattung. 
Wir fordern eine Landesförderung, damit das Entgelt für uns FSJler*innen erhöht wird. Derzeit erhalten wir für die 39 Stunden, die wir pro Woche arbeiten, 325 Euro bei der Arbeiterwohlfahrt. Damit ist das Existenzminimum nicht gesichert. Man kann damit nicht eigenständig seinen Lebensunterhalt sichern.

In den meisten Fällen sind FSJ-ler*innen auf eine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch die Eltern angewiesen. Das führt dazu, dass junge Menschen aus einkommensschwächeren Haushalten nach unserer Erfahrung oft kein FSJ machen.

Durch eine Landesförderung könnte das Entgelt auf 510 Euro erhöht werden, das Freiwillige im Freiwilligen Ökologischen Jahr bereits erhalten. Wir fordern auch ein kostenloses Nahverkehrs-Ticket für unseren täglichen Weg zum Dienst. Derzeit müssen wir monatlich 30 Euro für das VBB-Ticket zahlen – also zehn Prozent unserer Vergütung.

Dabei ist ein VBB-Ticket aber ganz oft zwingend notwendig, um überhaupt zum Einsatzort zu kommen. Zwei Drittel aller Freiwilligen in Berlin fahren jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrer Arbeit.

Das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) bezuschusst der Senat pro Platz mit 10.000 Euro. 
Genau. Das FSJ wird dagegen vom Land Berlin mit null Euro gefördert, also überhaupt nicht. Unser Entgelt wird ausschließlich von den Einsatzstellen getragen, das Land Berlin beteiligt sich nicht daran. Viele soziale Einsatzstellen haben aber einen engen finanziellen Spielraum und können sich ein höheres Taschengeld für die Freiwilligen nicht leisten.

Haben Sie den Eindruck, Ihre Forderung wird ernst genommen? 
Ein großer Erfolg für uns war die Anhörung zur Lage der FSJ-ler*innen im Abgeordnetenhaus. Da haben wir uns sehr gehört gefühlt. Die Frage wird aber sein, wie der Senat darauf reagiert: Werden wir nur angehört oder werden unsere Forderungen auch umgesetzt? Das muss sich jetzt zeigen.

Sie arbeiten in einem Krankenhaus. Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt? 
Die Pandemie bekomme ich im Krankenhaus sehr zu spüren. Dort besteht  eine deutlich höhere Arbeitsbelastung, das gilt auch für die FSJ-ler*innen. Wir erleben auch die Ausfälle von Kolleg*innen. Fast 70 Prozent der Freiwilligen haben in unserer Umfrage angegeben, dass es längere Ausfälle von Personal aufgrund von Krankheiten und Quarantäne gibt und zudem Stellen unbesetzt sind. Und das bekommt man als FSJ-ler*in natürlich stark zu spüren.

Ein eigenes Erlebnis: Ich habe im Mai ein freies Wochenende angemeldet, um an den Jugendpolitik-Tagen teilzunehmen. Da hat mich meine Chefin traurig angeschaut und gesagt, dass sie mich schon fest eingeplant hätte und sich darauf verlassen würde, dass ich komme.

Das zeigt, wie verschärft die personelle Situation in den Kliniken ist. Dabei liegt das nicht an meiner Chefin. Ich habe eine tolle Station und ein ganz tolles Team, das auf mich achtet. Aber es gibt einfach einen strukturellen Personalmangel.

Das heißt, dass Sie die fehlenden Kolleg*innen ersetzen müssen, deren Stellen unbesetzt sind? 
Oftmals ja. Wir sind in unseren Stellen fest im Dienstplan eingeplant. Dabei ist das FSJ gerade eine tolle Möglichkeit, mittelfristig dem Personalmangel – in Krankenhäusern, aber auch im Pflegebereich – entgegenzuwirken. Wenn es für mehr Menschen finanziell möglich wäre, sich den Freiwilligendienst etwa im Pflegebereich zu leisten, würden sich sicher auch mehr Menschen dafür entscheiden, später in diesem Beruf zu arbeiten.

Das würde dem strukturellen Problem des Personalmangels entgegenwirken. Man fragt sich schließlich als junger Mensch, ob man sich vorstellen kann, später in diesen Bereichen zu arbeiten.

Sie arbeiten 39 Stunden in der Woche und im Schichtdienst. Gab es Situationen, in denen Sie noch mehr arbeiten mussten? 
Das ist mir noch nicht passiert. Aber ich habe durchaus schon von anderen FSJ-ler*innen im Zusammenhang mit der Corona-Belastung der Kliniken gehört, dass sie länger arbeiten mussten. Das ist nicht die Regel, aber kommt schon vor in dieser Ausnahmesituation.

Wie belastend war das Corona-Jahr? Fühlten Sie sich überfordert – seelisch wie körperlich? 
Ja, durchaus. Man muss dazu sagen, dass die psychische Belastung im Krankenhaus grundsätzlich sehr hoch ist und durch Corona noch einmal stark angestiegen ist. Das belastet die Beschäftigten im Krankenhaus, sorgt auch für mehr Spannungen.

FSJ-ler*innen werden möglicherweise zum ersten Mal mit Tod und Sterben konfrontiert. Berührt das die Freiwilligen? 
Absolut. Positiv ist aber, dass im Freiwilligendienst bildungspolitische Tage gesetzlich vorgeschrieben sind. Wir haben bei der Arbeiterwohlfahrt Seminare auch zum Thema „Tod, Trauer und Sterben“, wo man sich mit diesen Erlebnissen auseinandersetzen kann.

Das ist sehr wichtig, dass man eine solche pädagogische Betreuung hat und zugleich Gelegenheit, sich mit anderen FSJ-ler*innen auszutauschen. Das hilft sehr. Auch aus diesem Grund ist eine Landesförderung wichtig, weil den Trägern bislang auch das Geld für eine intensivere pädagogische Betreuung der FSJ-ler*innen fehlt, die hilfreich wäre.

Corona war unbekannt, als Sie sich für ein FSJ-Jahr bewarben? 
Ohne Corona hätte ich ein freiwilliges Jahr im Ausland, in Chile, gemacht. Dabei wäre die finanzielle Ausstattung deutlich besser gewesen, weil der Träger sämtliche Kosten getragen hätte, so dass keine Unterstützung durch die Eltern notwendig gewesen wäre. Ohne Corona wären viele Dinge sicher wesentlich einfacher gewesen. Aber nun müssen wir uns eben den Herausforderungen stellen.

Mit 325 Euro im Monat kann niemand leben. Gibt es Freiwillige, die zusätzlich arbeiten, um sich eine Wohnung leisten zu können? 
Ja, ich kenne Freiwillige, die das tun und die neun Stunden, die man pro Woche zusätzlich arbeiten darf, in Anspruch nehmen. Nach der Erfahrung von pädagogischen Betreuer*innen werden viele solcher Anträge gestellt, um zusätzlich Geld zu verdienen. Ich finde, 39 Stunden Arbeitszeit in der Woche sind schon richtig viel, eher zu viel.

Eine unserer Forderung ist ja auch, dass man mehr Teilzeit ermöglichen sollte. Es sollte wirklich nicht sein, dass junge Menschen, die sich im sozialen Bereich engagieren wollen und damit die Gesellschaft unterstützen, noch zusätzlich arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen.

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Natalie Weiser macht ein FSJ im Krankenhaus. Als Sprecherin vertritt sie die Freiwilligen der AWO, Diakonie und Jugendbauhütte.

© privat

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