zum Hauptinhalt
Machen zu viele Hostels den Wrangelkiez kaputt?

© dpa

Update

Kreuzberg und die Touristen: "Das ist nicht mehr unser Wrangelkiez"

"Hilfe, die Touris kommen": Die Grünen haben in Kreuzberg zur Diskussion aufgerufen - und die Wutbürger kamen. Die Haltung der Anwohner reichte von Verzweiflung bis zu offener Fremdenfeindlichkeit. Nur einer warnt: Bitte keine neue Sarrazin-Debatte.

Die Geister, die sie riefen, sie wurden sie nicht mehr los. Unter dem Titel „Hilfe die Touris kommen“, hatten die Grünen erst rund 200 Kreuzberger zu einer Diskussionsveranstaltung ins Nachbarschaftshaus Centrum Kreuzberg gelockt und dann mit politischen Kampfbegriffen wie „Touristifizierung“, „gleichgeschalteten Cocktailbars“ und „Kampf gegen Rollkoffer“ auf Kurs gebracht. Die eindeutige Haltung der Anwohner ließ am Ende aber selbst die Politiker abwiegeln: Sie reichte von Verzweiflung bis zu offener Fremdenfeindlichkeit.

Es hatte etwas vom vielbeschworenen „Wutbürgertum“, wie der Wrangelkiez am Montagabend zusammenrückte, um seinen Zorn auf Touristen, Hostels und laute Partys im Viertel zu artikulieren. Er musste auch zusammenrücken, denn der Veranstaltungsraum war viel zu klein. Auch als Dirk Behrendt, Initiator der Podiumsdiskussion und Wahlkreisabgeordneter für die Grünen, die Veranstaltung in letzter Minute in einen größeren Saal verlegte, drängten sich noch immer Menschen auf den Gängen. Mit dem neuen Feindbild, dem Touristen, scheint es, haben die Grünen einen Nerv getroffen.

„Es wird einfach zu viel!“, lautet noch eines der gemäßigteren Statements. Und unter Applaus ruft ein Mann dazwischen: „Das ist nicht mehr unser Kiez.“ Die Kreuzberger fühlen sich von den Touristen überrannt. „Wie im Zoo“, komme man sich vor. „Die Menschen, die diesen Kiez zu dem gemacht haben, was er ist, werden bald nicht mehr hier sein.“, befürchten andere. Und endlich sagt es jemand: „Wir wollen sie nicht hier haben. Berliner sind unfreundlich. Es wird Zeit, dass wir das den Touristen auch kommunizieren!“ Zwischentöne sind selten an diesem Abend. Nur ein Alteingesessener Kreuzberger warnt, man solle doch bitte nicht in eine neue Sarrazin-Debatte hineinrutschen. Ziel dürfe es nicht sein „No-Go Areas für Touristen“ einzurichten.

Auch Florian Schärdel, Grünes Mitglied des Stadtplanungsausschusses in Friedrichshain-Kreuzberg, versucht schnell die Debatte etwas zu kanalisieren. „Ich bin nicht gegen Touristen“, stellt er fest. Man müsse aber den Bau neuer Billighostels weiter beschränken und eine Steuer auf Betten einführen, die dann der Kiezkultur zu Gute komme. Außerdem müsse die sogenannte „Zweckentfremdungsverbotsverordnug“ auf Landesebene wieder eingeführt werden. Dadurch könne verhindert werden, dass Wohnungen schwarz an Touristen vermietet würden. „Denn wenn diese Wohnungen dem Mietmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, steigen die Mieten.“ Wie seit Jahren im Kiez. Die Alten würden verdrängt, berichtet eine Anwohnerin. Und der Einzelhandel müsse schließen, weil nur noch Gastronomen sich die überteuerten Gewerbemieten leisten könnten. Schärdel muss passen. Da habe man kaum Handlungsmöglichkeiten.

Andere Baustellen gibt es aber genug im Kiez. Doch sie sind hausgemacht und längst nicht alle den Touristen anzulasten. „Nicht jeder, der Bier trinkt und in Ihren Hausflur pinkelt, ist ein Tourist“, versucht Schärdel auf dieses Problem hinzuweisen. Dabei ist längst klar, dass nicht mehr nur ein Kampf zwischen Touristen und Kreuzbergern tobt. In einer Stadt, in der fast jeder irgendwie zugezogen ist, bemerkt auch Behrendt „ungesunde Spannungen zwischen Kreuzbergern, die seit fünf, und solchen, die seit 15 Jahren hier wohnen.“ Dem Ruf nach mehr Polizei und Ordnungsamt, um laute Partys im Kiez zu unterbinden, erteilt er ebenso eine Absage wie Nicole Ludwig, wirtschaftspolitische Sprecherin von Charlottenburg-Wilmersdorf, die sich unwillkürlich an Verhältnisse wie in Prenzlauer Berg erinnert fühlt. Auch sie wolle sich für einen nachhaltigen Tourismus stark machen. Man müsse sich aber von dem Gedanken verabschieden, dass es wieder so werde, wie vor 30 Jahren.

Dennoch wurde Gerhard Buchholz, der für die Agentur Visitberlin, auch auf die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus hinwies, vom Publikum ungeduldig unterbrochen. Der Stellvertretende Bürgermeister und Wirtschaftsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Peter Beckers (SPD), wies bereits vorab darauf hin, der Tourismus bringe Berlin 1,85 Milliarden Euro Steuern jährlich und könne so Teil der Lösung sein. Erst am Montag habe man einen Fonds zur Bekämpfung der Folgeschäden wie Lärm und Müll beschlossen, der dadurch finanziert werden könne. Doch nach eigenem Bekunden wollen die Kreuzberger weder das Geld, noch die Arbeitsplätze: Sie wollen ihre Ruhe.

Zur Startseite