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Berlin: Das Kind ohne Namen

Die Mutter hat keine Papiere, deshalb existiert ihre kleine Tochter offiziell nicht. Die Ämter sagen: Anders geht‘s nicht

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Nächste Woche im Strafgericht

Dienstag: Prozess gegen drei Angeklagte, die im Streit um Wettschulden einen angeblichen Verlierer bedroht und durch einen Schlag mit einem Bierglas verletzt haben sollen (12.30 Uhr, Saal 606). Prozess um sexuellen Missbrauch und Verbreitung von Kinderpornographie gegen zwei Männer und eine Frau (9 Uhr, Saal 700).

Mittwoch: Prozess gegen einen 43-Jährigen, der beim Klau eines Comic-Heftes einen Ladendetektiv geschlagen haben soll (9 Uhr, Saal 105).

Donnerstag: Prozess um Vorteilsnahme gegen einen 41-Jährigen, der als Mitarbeiter eines Kulturamtes fünf Jahre lang Schmiergelder kassiert haben soll (10.30 Uhr, Saal 862). Prozess gegen einen 38-Jährigen, der sich für einen Überfall auf eine Frau mit einem Elektroschocker vor sieben Jahren verantworten muss (9 Uhr, Saal 820).

Freitag: Prozess um Körperverletzung durch Hundebisse gegen einen 34-Jährigen, der im Streit mit einem anderen Mann seinen Labrador-Boxer-Mischling aufgehetzt haben soll (9 Uhr, Saal 5002). Neuauflage des Prozesses gegen einen 2001 zu lebenslanger Haft verurteilten 45-Jährigen, der einen Auftragskiller für die Ermordung eines früheren Geschäftspartners angeheuert haben soll (9.30 Uhr, Saal 820).

Ort: Turmstraße 91, Moabit. Die Angaben sind ohne Gewähr. Prozesse können verschoben oder ausgesetzt werden.

Unbeschwert tollt die kleine Stella Veritas Da Silva durch die Wohnung ihrer Eltern in Neukölln. Das muntere, 14 Monate alte Mädchen kann nicht wissen, dass es offiziell gar nicht existiert – jedenfalls für die Bundesrepublik Deutschland. Für Stella wurde keine Geburtsurkunde ausgestellt, als sie im Februar 2002 das Licht der Welt erblickte. Deshalb hat sie auch keinen offiziellen Namen. Nur den, mit dem Papa Stefan Wischniowski, Kriminalkommissar, und Mama Manuela Da Silva die Kleine rufen, wenn das Abendessen auf dem Tisch steht.

Für Stella gibt es kein Kindergeld, kein Erziehungsgeld und keine Beihilfen bei Arztbesuchen. Offiziell gibt es Stella gar nicht. Seit Monaten kämpfen die Eltern schon bei den Behörden um die Anerkennung ihres Kindes - Erfolg bis jetzt gleich null. Denn: Auch Mutter Manuela Da Silva, vor 13 Jahren als damals Neunjährige aus dem Bürgerkriegsland Angola nach Ostfildern bei Stuttgart geflohen, kämpft um ihre Anerkennung in Deutschland. Sie kann sich nicht als Angolanerin ausweisen, hat weder Reisepass noch Geburtsurkunde aus ihrem Heimatland in die Bundesrepublik mitgebracht, nur eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis ohne Anerkennung ihrer Identität vom Ausländeramt Ostfildern in die Hand gedrückt bekommen.

Stefan Wischniowski und Manuela Da Silva sind seit Jahren ein Paar. Sie würden gern heiraten, aber auch das geht nicht, wenn die Frau keine Papiere hat. Die beiden zogen vor drei Jahren von Stuttgart nach Berlin. Hier kam Stella zur Welt. Im Berliner Geburtenbuch heißt es mit Datum 13. Februar 2002 nur: „Eine unbekannte Frau aus Ostfildern hat heute ihr Kind geboren.“

Stefan Wischniowski bekommt nun langsam auch finanzielle Probleme: „Im November 2002 musste Stella zur orthopädischen Untersuchung. Die 700 Euro bezahlte ich selbst. Wenn unser Kind mal ins Krankenhaus muss, bin ich pleite.“ Es muss was passieren, dachten sich die Eltern. Sie traten in Kontakt mit der angolanischen Botschaft, um eine Geburtsurkunde und damit die Anerkennung für Manuela ausstellen zu lassen, die gleichzeitig auch die Anerkennung ihrer Tochter Stella bedeutet hätte. „Die Botschaft hilft uns bis auf den heutigen Tag nicht“, sagt Manuela da Silva in akzentfreiem Deutsch.

Nächste Idee: Manuelas Familie, Vater und vier Geschwister – allesamt deutsche Staatsbürger – sind bereit, an Eides statt zu erklären, dass Manuela zur Familie gehört. „Dies allein reicht für die Anerkennung nicht aus“, sagt die auch für das Neuköllner Standesamt zuständige Leiterin des Amtes für Bürgerdienste, Sieglinde Häntzschel. Für die Bestätigung der Identität von Manuela Da Silva braucht die Behörde die Geburtsurkunde oder den angolanischen Reisepass der Mutter. Das sagten die Bestimmungen. Da gebe es nun mal keinen rechtlichen Spielraum, sagt Frau Häntzschel.

Beides hat die Mutter nicht. Und: Selbst eine Anerkennung der Vaterschaft für Stella durch den 32-jährigen deutschen Kriminalbeamten Stefan Wischniowski würde die Familie nicht weiterbringen: „Die würde abgelehnt, weil der Vater nicht die Vaterschaft für ein unbekanntes Kind übernehmen könnte“, so die Amtsleiterin.

Wischniowski und Da Silva schalteten den Rechtsanwalt Nikolas Krähn ein, der „die ganze Geschichte nur noch widersinnig“ findet. Krähn will jetzt vor Gericht ein Verfahren zur Vaterschaftsanerkennung einleiten, damit wenigstens für das Kind Rechtssicherheit hergestellt ist. „Dann hätte zumindest das Kind eine Geburtsurkunde“, seufzt der Anwalt. Für die Mutter will er sich anschließend mit den Ausländerbehörden in Verbindung setzen. Möglicherweise gibt es nun aber doch eine Lichtung im deutschen Paragraphendschungel: Sieglinde Häntzschel von der Neuköllner Behörde empfiehlt, beim Amtsgericht Schöneberg eine so genannte „gerichtliche Berichtigung des Personenstandes“ einzuleiten. Ziel: Die Anerkennung der 22-jährigen Manuela Da Silva aus Angola als 22-jährige Manuela Da Silva aus Angola. „Vor Gericht – und nur vor Gericht – könnte dann auch eine Erklärung der Familie zur Feststellung der Identität von Frau Da Silva ausreichen. Damit einher ginge dann auch die Identität der Tochter.“ Von diesem Vorschlag zeigte sich Stefan Wischniowski überrascht. „Über diese Möglichkeit wurde ich bisher nicht informiert.“ Ende August erwartet Manuela Da Silva ihr zweites Kind. Bis dahin hofft man auf Rechtssicherheit. Spätestens.

Heiko Wiegand

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