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Koch Andi, Simona Barack, Leiterin vom Sozialprojekt Prenzlauer Berg, und Helferkollege Arthur (v.l.) laden gespendete Lebensmittel aus dem Bus.

© Thilo Rückeis

Ein paar Stunden dem Elend entkommen: Das leistet die Tagesstätte „Sozialprojekts Prenzlauer Berg“

Wenn ein Mensch nicht mehr viel hat, freut er sich über eine Mahlzeit, Hilfe und Geborgenheit. Eine Initiative hilft – und brauch Ihre Unterstützung.

Bei seiner 27. Weihnachtsspendenaktion „Menschen helfen!“ bittet der Tagesspiegel um Spenden für 62 soziale Initiativen, Vereine und Hilfsorganisationen, vor allem aus Berlin, aber auch in Brandenburg und im Ausland. In unserer Spendenserie stellen wir zwölf Projekte stellvertretend für alle anderen vor. Heute: die Tagesstätte für obdach-, wohnungs- und langzeitarbeitslose Menschen des „Sozialprojekts Prenzlauer Berg“ der Beratung + Leben GmbH.

Halb eins in Prenzlauer Berg. Wie jeden Mittag strömen zig Menschen mit Taschen, Rucksäcken oder auch ihrem ganzen Hausrat zur Tür herein, von der Kälte in die Wärme, vom Alleinsein in die Gemeinschaft. Auf den Tellern dampft Suppe, heute gespendet von der Kiezküche.

Dazu gibt es Brot und Brötchen. Immer wieder sitzt auch Manfred (Name v. der Red. geändert) an einem der Tische. Vor rund einem Jahr kam der 58-Jährige zum ersten Mal in die Tagesstätte für obdach-, wohnungs- und langzeitarbeitslose Menschen, erzählt Sozialarbeiter Nico Graßmann: „Der Mann, der Hartz IV bezieht, hat eine Wohnung, hatte aber vier Jahre lang kein Strom und Gas, wie er irgendwann erzählte.“

Die Mahnungen häuften sich, die Inkassobüros klopften an. „Er hatte einfach keine Post mehr geöffnet, weil er Angst davor hatte.“ Die Mitarbeiter des „Sozialprojekts Prenzlauer Berg“ der gemeinnützigen Beratung + Leben GmbH nahmen sich seiner an und halfen ihm, seinen Schuldenberg in Ordnung zu bringen.

Jetzt will der Verein noch mehr Menschen wie Manfred mit Beratung, aber auch Lebensmitteln und Sachspenden helfen – und bittet die Tagesspiegel-Leserinnen und Leser um Spenden für „Menschen helfen!“ für den Förderverein Beratung + Leben und seine Obdachlosenhilfe, für die dringend ein neues gebrauchtes rollendes Gefährt benötigt wird.

Von Montag bis Freitag sind die Türen in der Dunckerstraße 32 in Pankow für bedürftige Personen geöffnet, die Hilfe, ein lieb gemeintes Wort oder Essen benötigen. Um 9.30 Uhr gibt es Frühstück, 12.30 Uhr dann Mittagessen. „Ab 8.30 Uhr holen wir die Lebensmittel von bestimmten Geschäften in Pankow mit dem Minibus der Tagesstätte ab“, erklärt die Leiterin des Sozialprojekts Prenzlauer Berg Simona Barack. Leider fällt das Lieferauto, ein mittlerweile 20 Jahre alter VW-Bus, bereits halb auseinander, ist ein Sparschwein ohne Boden.

Gratis Frühstück, 20 Cent für Kaffee

Die Tage des alten Vehikels scheinen gezählt. Daran ändert auch seine sonniggelbe Farbe nichts. Schon der Start ins Jahr 2019 fing nicht gut an. „Unser VW-Bus brauchte neuen Tüv. Der wurde teuer“, resümiert Barack, während Besucher Arthur, der schon lange in die Tagesstätte kommt, gemeinsam mit Küchenhilfe Andi Paletten voller Gemüse sowie Wasser und andere Lebensmittel auslädt.

„Zudem war die Kupplung kaputt“, erzählt Sozialarbeiterin Barack weiter. „Mit allen Reparatur- und Wartungsarbeiten hat er uns dieses Jahr bereits 1800 Euro gekostet.“ Nächstes Jahr müssten die Bremsscheiben ausgetauscht werden. „Ein Kostenvoranschlag liegt vor. Auch das wird teuer.“

Bei der Kupplung hätten sie jedoch nicht länger warten können, bestätigt auch Sozialassistent Micha, der nur mit Vornamen genannt werden möchte. „Man brauchte viel Fingerspitzengefühl. Einmal wollte ich an einer Ampel mit dem ersten Gang losfahren, es war aber der Rückwärtsgang drin. Zum Glück hatte das Auto hinter mir genügend Abstand.“ Es ging glimpflich aus. „Man hätte den Bus jedoch nie stehlen können mit dieser schwierigen Kupplung“, scherzt Simona Barack. „Ich selber konnte den VW-Bus gar nicht mehr fahren.“

Und um das Leidwesen mit dem Auto komplett zu machen: Nach der defekten Kupplung hatte es jüngst einen Platten. „Ein Nagel war drin. Auch der Ersatzreifen war platt.“ Die 51-Jährige schüttelt seufzend den Kopf. „Das alles kostete schon wieder einiges. Man muss ja immer einen kompletten Satz Reifen austauschen.“

Bei solchen Überraschungen kann einem schon das Lachen vergehen. Denn die meisten ihrer Kosten seien nicht gedeckt, sagt die Sozialarbeiterin: „Wir werden vom Bezirksamt Pankow nicht komplett finanziert, nur zuwendungsfinanziert. Das bedeutet, dass das Bezirksamt Pankow zwar Personal- und Mietkosten übernimmt, wir aber Eigenmittel, beispielsweise für dringend benötigte Sachmittel, selber aufbringen müssen. Daher gibt es unseren Förderverein.“ An diesen fließen die Spenden.

„Grundsätzlich sind wir verpflichtet, selber Beträge zu erwirtschaften. 20 Cent nehmen wir beispielsweise für eine Tasse Kaffee“, sagt Barack. „Ein kleines Frühstück mit Wurst, Käse, Salat und Tee oder Wasser ist natürlich gratis, Mittagessen auch. Wenn jemand was faxt oder ausdruckt, kostet das wiederum etwas.“

Das Geld für ein neues Transportmittel, mit dem die Mitarbeiter täglich von Bäckern, Lebensmittelhändlern und Bioläden Sachspenden abholen, müsse die Tagesstätte selber aufbringen. Fällt das Auto aus, haben Barack und Kollegen ein Problem – wie auch die Gäste der Tagesstätte. „Als die Kupplung repariert wurde, konnten wir keine Lebensmittel holen und mussten mit Müsli überbrücken. Dafür haben wir Vorräte.“ Das geht mal für ein, zwei Tage, länger aber nicht.

Ein rollendes Gefährt ist für die Tagesstätte zwingend notwendig. Alle Besucher sind davon abhängig, auch Manfred, selbst jetzt, da sein Leben in geordneteren Bahnen verläuft. „Mit drei Sporttaschen ungeöffneter Post kam er damals zu mir“, berichtet Sozialarbeiter Nico Graßmann rückblickend. „Wir haben alle Briefe geöffnet, zusammengerechnet und uns ans Jobcenter gewandt. In seinem Fall lag Hilflosigkeit vor. Er hat ein Darlehen bekommen, das er nun monatlich abbezahlt.“

Das Geld fehlt dem Mann mittleren Alters, der gesundheitlich beeinträchtigt ist und Regelleistung in Höhe von 424 Euro für Alleinstehende bezieht, an anderer Stelle. „Er braucht Unterstützung und Essen, also kommt er zu uns. Der Mann ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig die Tagesstätte ist“, so Graßmann.

Für ein paar Stunden das Elend vergessen

Die Tagesstätte ist nicht nur eine Suppenküche, sondern die täglich rund 150 bedürftigen Gäste können hier auch duschen, gegen kleines Entgelt Wäsche waschen, eine professionelle Beratung bei einem der vier Sozialberater aufsuchen oder die Postadresse nutzen. „130 Menschen machen das im Moment. Obdachlose sind abgeschnitten. Wenn sie keine Postadresse haben, bekommen sie keine Gelder“, sagt Simona Barack. „Bei den Ämtern sind wir bekannt und sie schicken betroffene Personen zu uns.“

In einem Nebenraum stehen acht Rechner, an denen sich jeder Gast setzen, Schriftverkehr und Recherchen erledigen kann. Die Plätze sind jetzt, kurz nach eins, fast vollständig belegt. Stimmengemurmel ist zu hören. Simona Barack: „Die Menschen ermutigen sich gegenseitig, da es ein durchmischtes Klientel ist.“

Besucher sollen Kontakte entwickeln, sich in einer angenehmen Atmosphäre aufhalten, in der Bücherecke stöbern, für ein paar Stunden das Elend ihres Lebens vergessen. „Ja, die Leute sind arm dran, aber ohne uns noch ärmer.“ So oft wie möglich machen Barack und ihre Kollegen Ausflüge mit den Gästen, besuchen ein Museum, die Kulturbrauerei oder die Gärten der Welt. Auch dafür ist ein Gefährt notwendig. Es ist Liefer- und Transportmittel.

„Wir haben spezielle Gäste, unter anderem solche, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Zum Beispiel haben wir einen Mann, der ist immer mit einem Einkaufswagen unterwegs.“ Er stütze sich darauf, weil er schlecht zu Fuß sei, meint Barack. Natürlich gebe es die öffentlichen Verkehrsmittel. „Aber nicht alle Stationen sind barrierefrei.

Zudem ist für Fahrscheine kein Geld da. Dann ist Benzin günstiger.“ Die Eintrittsgelder werden übernommen, aber fürs Essengehen ist bei Ausflügen auch kein Geld übrig. Also müssen Picknicksachen mitgenommen werden. Für 20 bis 30 Personen, so groß ist die Gruppe meist.

Auch für Behörden- und Arztgänge zusammen mit den Klienten nehmen die Sozialarbeiter den alten Bus der Tagesstätte – und für Notfälle. „Ich hatte einmal einen Besucher, der war so krank, dass er in die Notaufnahme musste. Der Krankenwagen hätte ihn vielleicht nicht mitgenommen, weil die Sanitäter oftmals kritisch sind. Ich habe den Mann schließlich im Bus transportiert.“

An diesem Tag verläuft alles ruhig, es gibt keinen Notfall. Gerade kommen eine Frau und zwei Männer auf Kaffee und Kuchen herein, an einem anderen Tisch spielen ein paar Gäste Karten. Noch ein paar Minuten Ruhe, Wärme, Geborgenheit einfangen, bis das „Sozialprojekt Prenzlauer Berg“ für heute schließt und jeder für den Rest des Tages seines Weges geht.

So können Sie spenden

Dieses Jahr rufen wir unsere Leser sowie unsere Internet- und Social-Media-User zum 27. Mal auf, bei unserer traditionellen Weihnachtsspendenaktion „Menschen helfen!“ zugunsten von ausgewählten Projekten vor allem im Kinderschutz zu spenden. Wir unterstützen aber auch viele Projekte für arme, alte und kranke Menschen.

Überweisen können Sie gern aufs Spendenkonto, Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. BIC: BELADEBE. Bitte Namen und Anschrift für den Spendenbeleg genau und leserlich notieren.

Onlinebanking ist möglich. Wer die Tagesstätte des „Sozialprojekts Prenzlauer Berg“ der Beratung + Leben GmbH (gehört zur Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH) selbst erreichen möchte, kann die Rufnummer 4457506 wählen oder eine E-Mail an folgende Adresse schicken: sozialprojekt.prenzlauerberg@immanuel.de.

Das Tagesspiegel-Benefiz-Abo

„Tagesspiegel verschenken und dabei Gutes tun!“ – unter diesem Motto hat der Spendenverein des Tagesspiegels mit dem Verlag ein Benefiz-Abo als Geschenk aufgelegt. Somit können unsere Leserinnen und Leser jetzt den Tagesspiegel im Abonnement an Freunde, Verwandte oder eine soziale Einrichtung verschenken: einen, drei oder sechs Monate.

Je verschenkten Monat zum Abopreis von 56,40 Euro spendet der Tagesspiegel 20 Euro an die traditionelle Aktion „Menschen helfen!“ für bedürftige Menschen in Berlin, Brandenburg und dem Ausland.

Alle Infos zum Benefiz-Geschenk-Abo: www.tagesspiegel.de/verschenken. Fragen per Telefon? Mo–Fr 7–19.30 Uhr; Sa–So 8–12 Uhr: (030) 29 02 15 50.

Anja Reinbothe

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