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Brandserie in Neukölln: Das Phantom der Nacht

Die Neuköllner Brandserie reißt nicht ab. Das Problem der Polizei: Das Täterprofil passt im Kiez auf viele und es fehlen Beweise.

Die Tatwaffe hat er aus dem Supermarkt, für weniger als einen Euro. Die Tatgelegenheit ergibt sich, wenn er durch die Straßen streift. Wo Haustüren offen stehen, guckt er kurz hinein. Und in Neukölln-Nord sind immer Türen offen, auch nachts. Manchmal steht ein Karton voller Werbeblätter im Flur unter den Briefkästen. Manchmal steht ein Kinderwagen in der Ecke. Manchmal stehen Kinderwagen auf dem Podest zwischen Erdgeschoss und erster Etage – nur ein paar Stufen über die Holztreppe entfernt. Kinderwagen bedeuten Familie, Aufgabe, Bindung. Das alles hat er nicht. Aber er hat schon ein paar Biere drin und ein Feuerzeug in der Hand.

So könnte das Feuer gelegt worden sein, bei dem am frühen Morgen des 12. März eine junge Frau, ihr Baby und ein junger Mann ums Leben kamen. 17 Menschen erlitten Verletzungen, als das Quergebäude des Hauses Sonnenallee 18 ausbrannte. Elf Mal hat es danach allein in Neukölln gebrannt, nicht allein im Norden, sondern auch zum Beispiel in Gropiusstadt. Weitere 28 Brände in Fluren und Kellern meldeten Polizei und Feuerwehr nach dem Brand in der Sonnenallee aus ganz Berlin. Das liest sich gefährlich, ist es auch – und doch nicht viel: Durchschnittlich 1600 bis 1800 Brände gebe es jährlich in Berlin, fünf pro Tag, sagt Kriminaldirektor Hans-Joachim Blume, der beim Landeskriminalamt unter anderem für Branddelikte zuständig ist. Feuer in Hausfluren und Kellern, brennende Müllcontainer – das ist laut Blume „ein großstädtisches Massenphänomen“ und in Berlin nicht häufiger als in anderen Metropolen.

Jemanden wie Blume kann die Statistik nicht beruhigen – er weiß, wie Räume aussehen und riechen, in denen Menschen verbrannt oder erstickt sind. Und er weiß, wie zäh die Ermittlungen sind. Wenn man ein Feuerzeug an den Bezug eines Kinderwagens halte, brenne der schneller, als man das Feuerzeug wegziehen könne, sagt Blume. Die Hitze zerstört, wenn es richtig brennt, fast alles. Ein ausgebranntes Haus oder Zimmer sei „spurentechnisch ein ganz mieser Ort“, sagt Blume: „Am Brandort finden Sie keine DNA-Spuren.“ Auch deshalb würden nur zwanzig Prozent der Taten aufgeklärt.

Auch weil die meisten Brandstifter „Gelegenheitstäter“ seien. Niemand weiß, ob die Serie von Bränden, die 2010 den Menschen in Hellersdorf Angst machte, nicht aus zwei oder drei Serien bestand – mit zwei oder drei Brandstiftern. Niemand weiß, ob einer allein in diesen Wochen nachts durch Neukölln-Nord streift, oder ob lauter Einzeltäter für die abgefackelten Kinderwagen und den brennenden Müll im Keller verantwortlich sind.

Blume hat keine These dazu, dafür kennt er den Ermittleralltag zu gut. Wenn es ein Brandstifterprofil gäbe, „dann hätten wir unseren Täter schon“, sagt er trocken. Also gibt es den oder die Täter von Neukölln nur mit ein paar groben Zügen. Die passen vermutlich auf eine Menge Leute in Neukölln. Man kann sie dem Typen, der seine tätowierte Glatze, seine Terminator-Sonnenbrille, den Hund und ein Flasche Bier spazieren führt, ebenso zuschreiben wie dem mittelalten Männlein mit dem grimmigen Blick, dessen zerfurchtes Gesicht ahnen lässt, wie es selbst sein Leben findet. Auf einer Fußgängerinsel gegenüber vom Rathaus steht ein Mann unbestimmbaren Alters, in ein zu weites T-Shirt verpackt, und schreit herum, wenn Leute bei Rot über die Ampel gehen. Niemand kümmert sich um ihn. Gescheiterte Existenzen? Es gibt davon nicht wenige in Neukölln. Blume nennt sie „die Gelangweilten und Frustrierten dieser Gesellschaft“, sozial verarmt und kontaktlos. Gelegenheitstäter? Jedenfalls Männer – die meisten Brandstifter, so Blume, sind männlichen Geschlechts.

Und sonst? In Sachen Kriminalität unauffällig: „Ich kenne nicht viele, bei denen die Brandstiftung mit sonstiger sehr ernsthafter Kriminalität verquickt wäre“, sagt Hans-Ludwig Kröber, Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie der Charité. Auch Kröbers Skizze des Serientäters dürfte auf viele Großstadtmenschen passen: „Der gewöhnliche Brandstifter trägt eine ganze Menge Groll und Frust mit sich herum. Womöglich war er öfter mal in Schlägereien verwickelt – als Opfer. Auch Alkoholiker stehen im Verdacht, einen erhöhten Beitrag zur Zündelei zu leisten.“ Der Psychiater hält es durchaus für möglich, „dass es Kumpels gibt und Milieus, die von den Brandstiftungen wissen. Da herrscht womöglich Fatalismus nach den Muster: ,Da sterben dann eben drei Leute bei so einem Feuer. Es waren ohnehin nur Ausländer …’“

Wenn solche Leute Feuer legen, „haben sie das große Erlebnis der Eigenwirksamkeit“, so Kröber – „wie die kleinen Jungs auf dem Land, die ein bisschen kokeln und dann die Scheune in Flammen stehen sehen.“ In Neukölln brennen dann vier- oder fünfgeschossige Häuser. Viele Brandstifter, davon geht Ermittler Blume aus, warten gar nicht ab, ob der Kinderwagen das Treppenhaus entflammt – sie verschwinden erst mal. Kröber sagt: „Der Trick besteht darin, möglichst schnell wieder da zu sein“ – um scheinbar als Zeuge zu sehen, was man angerichtet hat. Es versteht sich, dass die Ermittler die Personalien derer aufzunehmen versuchen, die bei großen Bränden den Löscharbeiten zuschauen – bislang gibt es aber offenbar nicht mal Verdächtige.

Mit der Unauffälligkeit des Brandstifters geht in Neukölln eine seltsame Unachtsamkeit vieler Bewohner einher. Nur auf den ersten Blick hat das Feuer in der Sonnenallee 18 die Leute vorsichtiger gemacht. Man muss auf der Sonnenallee nur rund zwanzig Häuser weiter laufen, vorbei an Restaurants, Imbissen, Wettbüros und Spielcasinos, um – trotz aller sichtbaren Warnhinweise der Polizei – die nächste sperrangelweit offen stehende Tür zu sehen. Ein Schloss gibt es nicht. Der junge Mann, der mit ein paar Einkäufen die Treppe hinaufgeht, nimmt das gelassen. Man müsste wohl der Hausverwaltung mal schreiben, sagt er, die müsse ein neues Schloss einbauen lassen  – gemacht habe er das nicht. Er und seine Freundin überlegten ohnehin, wegzuziehen – „sie ist schwanger“. Eine junge Frau, die ein paar Straßen weiter gerade die Möbel für ihre neue Wohnung aus dem Lastwagen laden lässt, lächelt mit großen Augen über die Brandstiftungsserie und zuckt mit den Schultern: In ihrem Haus werde wohl darauf geachtet, dass die Eingangstür nachts verschlossen sei – aber „bei einem Kumpel“ sei das anders, trotz des Feuers.

So viel zur Wirkung polizeilicher Warnhinweise. Die Unberührtheit, die Leute aus einer Umgebung erkennen lassen, die woanders Nachbarschaft hieße, ist erstaunlich. In einer Seitenstraße der Sonnenallee sagt die türkische Betreiberin eines Zigaretten- und Getränkeladens, sie habe von keinem ihrer Kunden etwas über das Feuer oder die Brandserie gehört. „Die Leute hier interessiert nur Alkohol“, erklärt sie mit einem kühlen Blick über ihre goldgeränderte Brille. Und ergänzt in Anspielung auf die Herkunft der drei Brandtoten aus dem früheren Jugoslawien, hier habe man „kein Mitleid mit Ausländern“.

Ein paar hundert Meter weiter, im Süden des Neuköllner Nordens, in der Rübelandstraße hat es vor wenigen Tagen gebrannt – eine gepflegtes Haus in einer Straße mit vielen gepflegten Häusern, dem Körnerpark gegenüber. Vermutlich eine Gelegenheitstat. Der Postzusteller, der um die Ecke in der Jonasstraße unterwegs ist, sieht nicht, dass die Leute flächendeckend vorsichtiger geworden wären. Manche nähmen die Warnungen ernst, andere nicht. Er weist auf das Haus gegenüber, dessen Tür weit offen steht.

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