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Berlin: Das Podest

Wände raus, Ebene rein. Eine schwedische Architektin schuf Raum für eine norwegische Künstlerin.

Von Susanne Leimstoll

Im grauen Zement des Zimmerbodens klafft ein Schacht mit gelbem Deckel. Tür auf heißt: Deckel hoch. Eine Stufe runter, und man sitzt im knallgelben Arbeitskabuff, hat aber den Rest der Wohnung immer noch im Blick. Von der Stirnwand des Zimmers lässt es sich nett direkt auf die Bäume im Hof schauen – auf Fensterhöhe, was das Fenster wiederum zum französischen Balkon macht. Wer wissen möchte, was es zu Mittag gibt, kann quer durch den Raum laufen, nach unten auf den am Boden eingelassenen Herd und somit direkt in die Töpfe gucken, ohne erst außenrum in die Küche zu gehen oder einfach gleich einen guten Meter runter an den gedeckten Tisch in der Essecke hopsen, wenn er keine Lust hat, die kleine Treppe in die Etage eins tiefer zu nehmen. Wer ins Bad will, verschwindet in der nicht ganz deckenhohen Box im rechten hinteren Wohnzimmerwinkel.

Kompliziert? Nein, ganz einfach. Ein Podest beherrscht diese Wohnung. Der Wohnraum ist sozusagen das Podest.

Goro Tronsmo, eine norwegische Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten der Verbindung von Räumen und sozialen Situationen widmet, lebt hier, als wohne sie in einer ihrer eigenen dreidimensionalen Installationen. In einer Raumskulptur, offen nach allen Seiten. Einem Zimmer, dessen Bewohner sich ständig begegnen, nur eben auf versetzten Ebenen. Seit 2005 pflegt die 38-Jährige eine On-und-off-Beziehung zu Berlin, hüpft mal nach Oslo, mal nach Stockholm, mal nach New York, wie viele andere junge, etablierte Künstler, die Berlin als preiswerte Basisstation nützen, von der aus Kunst bestens international agieren kann. Vor zwei Jahren hat Goro Tronsmo sich als Ankerplatz die Altbauwohnung in der Neuköllner Pannierstraße 57 zugelegt. Eine Wohnung mit dunklem Flur, Küche, Bad, kleinem Schlafzimmer zum Hof und zwei Zimmern zur Straße. Gut 90 verbaute, düstere Quadratmeter, und Tronsmo dachte spontan: Wände raus!

Struktur ins Chaos brachte erst die Allianz mit der schwedischen Architektin Petra Petersson, die sich in Berlin bereits an Aufgaben wie etwa den Kunstbunker in der Reinhardtstraße gewagt hatte. Ein dreiviertel Jahr, ein Budget von nur 20 000 Euro, dann hatte das Duo den verwinkelten Raum zu einem lichtdurchfluteten gemacht, die tragenden Wände entfernen und eine zweite Ebene einbauen lassen: ein multifunktionales Podest, das sich quer durchs Zimmer zieht. Boden und Zwischenboden umschließt hellgrauer Zementputz, dem eine Wachsschicht leichten Glanz verleiht. „Das erklärte Ziel war ein erlebbarer Raum“, sagt Petra Petersson, „veränderte Höhen, mehr nutzbare Fläche, schlicht: ein anderes Raumgefühl.“

Ein multifunktionales Zimmer, dessen Wände keine Wände sind, sondern Stauraum: In der Trockenbauwand schaffen eingebaute Ikea-Regale Platz, die Küchenzeile mit Geschirrspüler, Herd und Waschbecken versteckt sich in einer Podestseite. Das Podest schickt einen langen Ausläufer bis ins angrenzende Schlafzimmer, macht aber jenseits der halben Trennwand einem Kubus fürs Badezimmer Platz. Wer dort in der Wanne sitzt, kann durch ein Fenster im Kubus raussehen und sich mit Blick durch das zweite Fenster im großen Raum davor gleich ins Freie träumen.

„Alle wollen auf dem Podest sitzen“, sagt die blonde Goro Tronsmo mit hübschem norwegischem Akzent im Englisch, schlittert auf japanischen Schläppchen übers Grau und geht an der weißen Wand unterm Stuck in die Hocke. „Selbst wenn hier eine Party mit 20 Leuten stattfindet, wird es nie eng.“ Die „gelbe Kiste“, die Vertiefung im Boden, in die sie sich zum Arbeiten mit ihrem Laptop zurückzieht, lieben vor allem die Kinder. Ein Versteck zum Spielen. „Das hat eine eigene Dramaturgie“, sagt Petra Petersson. „Erst, wer davorsteht, sieht, was im gelben Loch stattfindet.“

Die private Rauminstallation hat auch Goro Tronsmos Kunst beflügelt. Im hektischen, kleinen Oslo läuft derzeit eines ihrer Projekte in einer Galerie für Kunst und Architektur. In einem Stadtteil, der dem Berlin-Neukölln vor einigen Jahren ähnelt, mit einem vergleichbaren Bevölkerungsmix, junger Bewohnerschaft, Improvisationswillen und Aufbruchstimmung. Goro gestaltete ein echtes Apartment, bewohnt von jungen Künstlern. Einen weißen Würfel, in dem klar wird, wie sich Perspektive, Situation und Kommunikation gegenseitig bedingen und verändern. Einen Raum mit vielen Ebenen. Und wer genau hinsieht, erkennt: Da hat doch das Podest aus der Pannierstraße in Neukölln Pate gestanden.

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