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Die britische Sängerin Adele bei einem Auftritt im Jahr 2015.

© picture alliance / dpa

Update

Das Pop-Ereignis: Adele in Berlin: "Hello, it's me"

Grandiose Stimme und Charisma: Adele hat am Samstagabend ihr erstes von zwei ausverkauften Konzerten in der Friedrichshainer Mercedes-Arena gegeben.

Ganz allein steht sie im Scheinwerferkegel, ihr dunkelblaues, mit Strass besetztes Kleid funkelt. Adele Adkins singt schmachtend von einer schwierigen Liebe, begleitet von Klavierakkorden: „God only knows why it's taken me so long / To let my doubts go, you're the only one that I want.“ Dann wird die Bühne in Licht getaucht, hinter der Sängerin hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf die 16-köpfige Band, die fast schon ein Orchester ist, mit sieben Streichern und drei Bläsern. Großes Theater. Und natürlich ist klar, wer mit dem Titel „One and Only“ gemeint sein muss: Adele selbst.

Derzeit gibt es keinen größeren weiblichen weißen Popstar. Vor fünf Jahren ist Adele noch vor 1500 Fans im Berliner Huxleys aufgetreten. Diesmal hat sie innerhalb von wenigen Stunden zwei Mal die Mercedes-Benz-Arena ausverkauft, mit jeweils 15000 Zuschauern. Zwischen den beiden Auftritten verkaufte sie rund 50 Millionen Exemplare ihrer beiden Alben „21“ und „25“. ihre Platten, benannt nach dem Alter, in dem sie sie geschrieben hat, funktionieren wie Tagebücher. Es geht um Liebe, vor allem um dysfunktionale Liebe, um Träume und Sehnsucht. Wahrscheinlich macht es einen Teil ihres Erfolges aus, dass sich jeder in diesen Themen und Texten wiederfinden kann.

Vor Konzertbeginn hängen Adeles Augen als gigantische Projektion auf einer Leinwand in der Mitte der Halle. Sie sind geschlossen. Dann erlischt das Licht, und die Augen öffnen sich. Ein Orwell'scher Effekt. Big sister is watching you. „Hello“, echot es elektronisch verzerrt durch den Saal. Auf einer kleinen Bühne im Innenraum schwebt Adele hydraulisch empor. Bühnenzauber wie im Opernhaus. Statuarisch wie eine antike Göttin steht die Sängerin da, die Lämpchen der Smartphones, die nun überall gezückt werden, um den Augenblick festzuhalten, verwandeln die Arena in ein wogendes Lichtermeer.

Los geht es mit "Hello"

Adele, die vor vier Tagen 28 Jahre alt wurde, singt „Hello“, ihren größten Hit. Erst wird sie nur von einem Klavier begleitet, dann setzen zur dritten Strophe die Streicher und die Band mit voller Wucht ein. Der Song handelt von einer gescheiterten Liebe und vom vergeblichen Versuch einer Wiederannäherung. Emotionen als Schlachtfeld. Nur ist es diesmal – anders als bei den Stücken von „21“ - die Sängerin, die ihren Geliebten verlassen hat und Abbitte leisten möchte. Statt zurückgelassen zu werden, ist sie selbst gegangen. Ein Akt der Emanzipation.

Mit ihren künstlichen Wimpern, der Barbara-Stanwyck-Frisur und den bodenlangen Roben stilisiert sich Adele zu einer Diva der vierziger und fünfziger Jahre.  Doch von der Unnahbarkeit klassischer Hollywoodgrößen ist bei ihr nichts zu spüren. Ihre Bodenhaftung hat die im Süden von London aufgewachsene Sängerin nicht verloren, das beweist sie mit minutenlangen Zwischenmoderationen. Sie schwärmt von Berlin, rühmt den Zoologischen Garten als „besten der Welt“, gesteht, schon einen Sonnenbrand davongetragen zu haben und weist auf ihr Dekolleté. Vom Lionel-Richie-T-Shirt eines Zuschauern ist sie begeistert, spottet aber: „Hast Du erwartet, hier Lionel Richie zu sehen?“ Bereitwillig posiert sie für Selfies und gesteht mit hartem Cockney-Akzent: „I love to chat.“ Sie liebt es, zu plaudern.

Viel Vibrato und Streicherschmelz

Auf den Northern-Soul-Stomper „Rumour Has It“ und den mit viel Vibrato und Streicherschmelz zelebrierten James-Bond-Titelsong „Skyfall“ folgt eine berückende Akustikversion von „Million Years Ago“, begleitet nur von zwei Lagerfeuergitarren. Adele ist noch keine 30, doch in ihren Liedern geht es immer wieder um die Suche nach einer verlorenen Zeit. Sie ist gerade erst vergangen und scheint schon „Millionen Jahre“ entrückt zu sein. „I feel like my life is flashing by“, barmt sie in gespreizten Gesangsbögen, „and all I can do is watch and cry“. Schon ihre Debütsingle „Hometown Glory“ war ein Rückblick auf die Welt ihrer Kindheit, gipfelnd in einem Freundschaftsbekenntnis: „Ooh the people I've met / Are the wonders of my world.“ Nein, hatte Adele ihr Publikum gleich am Anfang gewarnt, „Happy Songs“ würde es kaum zu hören kriegen. Einen Seelenverwandten hat sie ausgerechnet in Bob Dylan gefunden, dessen Liebesballade „Make You Feel My Love“ sie kongenial covert. Einer der Höhepunkte des Abends, an dessen Ende eine Steel Guitar melodramatisch aufheult. Bevor sie „Send My Love (To Your New Lover)“ singt, kündigt Adele an, dazu tanzen zu wollen. Nein, nein, spricht sie in den aufbrandenden Jubel, vielleicht wäre das Wort „Tanzen“ etwas übertrieben. „Ich mache einige Schritte.“ Sie hasst Choreografien, für Castingshows wäre sie ungeeignet. „Send My Love“, keine Frage, ist ein Hate-Song, die Abrechnung mit einem ehemaligen Lover. „Leute, die mies waren, muss man aus seinem Leben kicken“, verkündet Adele kämpferisch. Zu einer Akustikgitarre und dem Hauchen von drei Backgroundsängerinnen singt sie säuselnd, im Refrain überschlägt sich ihre Stimme: „I'm giving you up / I've forgiven it all / You set me free.“ Ein Liebesende als Befreiungsschlag.

Alle Gefühlslagen ihrer Biografie

Zu Adeles Repertoire gehören hauptsächlich langsame, sich schwelgerisch aufbäumende Stücke. Wenn sie Songs wie „Don't You Remember“ oder „Someone Like You“ singt, die Augen schließt, sich ans Herz fasst oder theatralisch mit ihren von überlangen Nägel gekrönten Fingern gestikuliert, dann scheint sie die Gefühlslagen ihrer bisherigen Biografie noch einmal zu durchleben. Jetzt also doch: die entrückte Diva. Adele gilt als Erneuererin des Soul, als legitime Nachfolgerin britischer Pop-Königinnen wie Dusty Springfield, P.P. Arnold oder Amy Winehouse. Aber ihre Gesangskunst kommt genausogut aus dem Jazz, sie ist eine Meisterin des Torch-Gesangs, jenes flüsternden Liebessingsangs, den einst unter anderem Frank Sinatra begründete. Nicht alle ihre Songs sind grandiose Kompositionen, aber Adele kompensiert die Mängel durch ihre Stimme und ihr Charisma. Am Ende, in einem Block mit drei Zugaben, schwelgt Adele noch einmal in Nostalgie. Sie selbst nennt ihre Ballade „When We Were Young“ das „schönste Lied, das ich je geschrieben habe“. Es ist auf jeden Fall ihr Lied mit dem originellsten Text, schon wegen der wunderbaren Zeilen „You look like a movie / You sound like a song“.

Wenn jemand wie ein Film aussieht – erinnert er dann eher an einen Krimi oder ein Liebesdrama? „We were sad of getting old“ singt Adele, alt werden heißt traurig werden. Auf der Leinwand hinter der Sängerin sind dazu Schnappschüsse aus ihrer Kindheit zu sehen. Sie trägt Kostüme, lacht, schneidet Grimassen. So jung war sie und so schön.

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