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Berlin: „Das reicht nicht, das muss schneller gehen“

Der designierte SPD-Landesvorsitzende Michael Müller über den Abbau von Bürokratie, die Berliner Wirtschaft und seine Pläne als neuer Chef

Im Nebenberuf sind Sie Unternehmer. Machen Sie ihre Druckerei jetzt zu, wenn die Ausbildungsplatzabgabe kommt?

Ich bin Kleinstunternehmer mit fünf Mitarbeitern. Wir wären davon nicht betroffen. Außerdem arbeiten wir in einem aussterbenden Handwerksberuf.

Ist die Abgabe ein vernünftiges arbeitsmarktpolitisches Instrument?

Sie ist vernünftig, um insbesondere Großbetriebe an ihre Verpflichtung zur Ausbildung zu erinnern. Ich hoffe, dass diese harte Debatte zwischen Regierung und Wirtschaft zu einer Selbstverpflichtung führt und wir diese Ausbildungsplatzabgabe nicht brauchen. Es gibt Grenzfälle, die zu unternehmerischen Belastungen führen.

Sollte die Ausbildungsplatzabgabe kommen, müsste Berlin durch den Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst Strafe zahlen.

Das ist auch ein Grenzfall, über den auf Bundesebene diskutiert werden muss. Das ist noch nicht zu Ende gedacht, wie damit in den Kommunen umgegangen werden muss. Berlin würde das sicher finanziell belasten. Und das wäre kein gangbarer Weg.

Was heißt das?

Wir brauchen Sonderregelungen für die Kommunen. Es macht doch keinen Sinn zu sagen, wir müssen die Kosten senken und Personal reduzieren. Außerdem sollen Ausbildungsplätze da geschaffen werden, wo Auszubildende auch die Chance haben, in ihrem Beruf auch später Arbeit zu finden. Die öffentlichen Bereiche mit einer solchen Abgabe zu belasten, macht keinen Sinn. Natürlich muss Berlin seiner Verpflichtung nachkommen und ausbilden. Wir stellen zum Beispiel bei der Polizei junge Beamtenanwärter ein. Ob eine Kommune Ausbildung in dem Umfang wie für Unternehmen durchführen kann, das bezweifle ich.

In einem Städte-Ranking wird Berlin Wirtschaftsunfreundlichkeit attestiert. Was macht das Land falsch?

Wir haben weiche Standortfaktoren wie günstige Mieten, ein gutes Kulturangebot und ein großes Arbeitskräftepotenzial, die wurden dabei nicht berücksichtigt. Andere Aspekte auch nicht. Wir punkten durchaus in einigen Wirtschaftsbereichen: in der Musikbranche, der Modeindustrie. Wir haben Ansiedlungserfolge wie Coca Cola, Stinnes, Bertelsmann, MTV oder die Eröffnung des Ritz Carlton.

Entscheidend ist aber die Betreuung von Unternehmen. Die Verwaltung wird oft als Blockierer und nicht als Helfer empfunden.

Das ist richtig. Wir haben erste Schritte zum Bürokratieabbau gemacht. Die One Stop Agency als Anlaufstelle für Investoren ist ein Beispiel dafür. Aber das reicht nicht. Das muss schneller gehen und umfassender.

Die Verwaltungsreform kommt nicht voran. Innensenator Körting wollte 74 überflüssige Verordnungen abschaffen. Davon ist nicht viel umgesetzt worden.

30 Gesetze und Verordnungen wurden bisher abgeschafft. Eindeutig: Das ist noch viel zu wenig. Es gibt Ressortegoismen, es wird in den Verwaltungen nicht übergreifend gedacht. Wir haben Mitarbeiter auf vielen Bürokratieebenen, die Besitzstandswahrer im eigenen Haus sind und auf Zuständigkeiten beharren. Das ist aber ein Irrweg und macht nicht die Stärke einer Verwaltung aus. Die Stärke zeigt sich doch darin, ob eine Verwaltung reformwillig und -fähig ist.

Was halten Sie von einem radikalen Kahlschlag, zu einem bestimmten Zeitpunkt alle überflüssigen Vorschriften außer Kraft zu setzen?

Das müssen wir prüfen. Wir haben die Justizverwaltung schon darauf angesprochen. Doch es gibt offenbar viele rechtlichen Hürden.

Haben Sie sich denn über Ostern schon von dem Gedanken erholt, jetzt SPD-Landesvorsitzender werden zu müssen?

Ich habe mich erholt und freue mich darauf.

Was wird sich im Landesvorstand ändern?

Künftig muss bei schwierigen Sachentscheidungen die Partei stärker in die Diskussionsprozesse eingebunden werden. Bisher haben im Wesentlichen die Fachpolitiker der Fraktion die Diskussionen geführt und für die Umsetzung gesorgt. Die Kompetenzen innerhalb der Partei haben wir zu wenig berücksichtigt. Das wollen wir ändern.

Braucht die Berliner SPD einen Generalsekretär?

Nein. Wir haben eine klare Struktur im Landesvorstand mit Zuständigkeiten und Aufgaben; das ist in einem Stadtstaat wie Berlin unproblematisch. Ich sehe auch keinen Sinn in einem zusätzlichen geschäftsführenden Landesvorsitzenden. Ich halte eine solche Konstruktionen für untauglich.

Wird der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Matthae, der für einen möglichen Generalsekretärsposten gehandelt wurde, jetzt eine stärkere Position bekommen?

Darüber diskutieren wir gerade. Andreas Matthae wird mit einer der führenden Köpfe im neuen Vorstand sein.

Junge Sozialdemokraten fordern mehr inhaltliche Erneuerung im Landesverband.

Wir haben Erfolge, stellen sie aber oft nicht ausreichend dar. Es geht zum Beispiel völlig unter, dass wir uns unter den schlechten finanziellen Bedingungen ein 93-Millionen-Euro-Programm zur Schul- und Sportstättensanierung leisten. Oder 1040 zusätzliche Lehrer – das kommt in der Öffentlichkeit zu wenig an.

Die Wissenschaft ist die Schwachstelle der Koalition. PDS-Wissenschaftssenator Thomas Flierl hat nur wenige Erfolge verbuchen können. Das Studienkontenmodell ist bei der PDS-Basis durchgefallen. Was fordern Sie jetzt von Flierl?

Es geht bei dem Studienkontenmodell nicht nur um Einnahmen von zehn Millionen Euro im Haushalt, sondern um Strukturveränderungen wie Straffung von Studiengängen, ein schnelleres Studium oder Qualität der Lehrenden abzufordern. Ich erwarte von Thomas Flierl, dass er Vorschläge vorlegt, wie er das ohne sein Kontenmodell durchsetzen will.

Flierl hat es bisher abgelehnt, die zehn Millionen, die jetzt im Haushalt fehlen, aus seinem Etat zu nehmen.

Das ist das Problem von Herrn Flierl. Innerhalb seines Ressorts muss dieser Ausgleich erfolgen. Flierl ist in der Pflicht, er hat Spielräume auch innerhalb der Kultureinrichtungen, und er muss Vorschläge erbringen.

Kaum ein Politiker hat so viel Prügel in der Öffentlichkeit bekommen wie Flierl. Wird über eine Neubesetzung des Postens nachgedacht?

Nein. Das ist zu einseitig dargestellt. Thomas Flierl hat auch Erfolge wie die Opernstiftung zu verzeichnen. Wir haben die Fusion der Hochschulmedizin. Die Charité wird mit Detlev Ganten an der Spitze zu einer der führenden Wissenschaftszentren in Deutschland.

Die EU-Osterweiterung steht vor der Tür. Ist Berlin gut darauf vorbereitet?

Klaus Wowereit und Harald Wolf waren schon mehrfach in Polen und im Baltikum, um unternehmerische Kontakte zu intensivieren und für Ansiedlungen zu werben. Es wird darauf ankommen, mit unseren Technologie- und Wissenschaftszentren und mit unserer Grenznähe zu punkten. Außerdem ist der Großflughafen ein wichtiges Projekt, um Infrastruktur zu fördern. Wir haben eine Fülle von Netzwerken, aber es gibt leider auch viele Unternehmer, die hoffen, dass die EU-Erweiterung an ihnen vorübergeht und die Möglichkeiten, die es gibt, auch nicht annehmen. Da stößt Politik auch an seine Grenzen.

Berlin: Hauptstadt ohne Filz und Korruption. Renate Künast hat im Tagesspiegel-Interview vorgeschlagen, nach dem Tempodrom-Skandal bei jedem Großauftrag künftig Transparency International mit hinzuziehen. Wäre das hilfreich?

Nein. Es gab Fehlentwicklungen bei Auftragsvergaben, bei Besetzungen oder Gehaltsentwicklungen von Vorstandsposten. Die Koalition wird bald den Corporate Governance Kodex, also einen Verhaltenskodex für landeseigene Unternehmen verabschieden. Wir brauchen klare Richtlinien und Transparenz für öffentliche Unternehmen. Aber das hat nichts mit einem permanenten Korruptionsvorwurf zu tun. Wir wollen diesen Ehrenkodex, der über viele Jahre hin wirken soll, auch im Einvernehmen mit der Opposition verabschieden. Ich bin auch dafür, dass Gehälter in Vorstandsetagen öffentlicher Unternehmen veröffentlicht werden. Darauf haben Steuerzahler ein Anrecht. Was aber nicht passieren darf, ist, dass Parlamentarier über Gehälter abstimmen. Die Manager unserer großen Unternehmen müssen auch adäquat bezahlt werden.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Gerd Nowakowski.

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