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Berlin: Das reinste Vergnügen

Kirschbierpanscher hätte man vor 500 Jahren noch zur Höchststrafe verurteilt. Heute reißen sich Bierfestbesucher um skurrile Sorten. Konzentration aufs Wesentliche verlangen dagegen die Gäste des Gauklerfests. Sie haben von den üblichen Fress- und Saufbuden die Nase voll.

Von Frank Thadeusz

Was ist eigentlich aus dem Reinheitsgebot geworden? Es gab Zeiten in Deutschland, da standen Höchststrafen darauf, dem Bier außer Malz, Hopfen und Wasser noch andere Inhaltsstoffe zuzuführen. Heute ist es zwar nicht so, als wären zum 6. Internationalen Bierfestival auf der Karl-Marx-Allee unter dem Motto „die Biere Sachsens – Sachsens Bier genießen wir“ nicht allerlei finster dreinblickendende Damen und Herren unterwegs, die zu jeder möglichen Scharfrichterei in der Lage scheinen.

Für die Güte des Lieblingsgetränkes der Deutschen werfen sie sich aber nicht in die Schlacht – ganz im Gegenteil. Man ist neugierig und konsumiert mit Entdeckerfreude Erzeugnisse wie Caipirinha- oder Kirschbier – auch wenn das Urteil manchen Besuchers keinen Zweifel lässt: „Schmeckt wie vom Klo“, urteilt einer über sein rötlich schimmerndes Getränk. An anderer Stelle wird eine Mixtur unter dem n „Mastur-Bier“ ausgeschenkt. Besonders aufregend an dieser Kreation, deren Flasche von den Brauherren mit einen Penis versehen wurde, soll der beigefügte Schuss Absintharoma sein. Entsprechend geht jener junge Mann völlig fehl, der bei sich selbst bereits nach wenigen Schlucken der Novität mit den Worten „bei mir steigt er schon“ eine körperliche Sensation entdeckt haben will. Nun ja, wenn’s hilft…

Aber woher nimmt ein Mann wie der russische Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin seine Eignung, für eine – zudem mecklenburgische – Biermarke zu posieren? Er hat für den Biertrinker eher uninteressante Abhandlungen wie „Materialismus und Empiriokritizismus“ verfasst, war rein äußerlich nicht eben ein Rudolph Valentino und galt als abstinent, was Alkohol anging. Mithin dürften nicht nur die Mecklenburger mit den Lehren des revolutionären Russen wenig bierselige Erinnerungen verbinden.

Vielleicht kann all dies ohnehin nur geschehen, weil das Produkt Bier ohnehin unverwüstlich ist: 123,5 Liter hat jeder Deutsche im Schnitt im Jahr 2001 getrunken. Die Sachsen haben sich sogar rund 168 Liter einverleibt, weshalb es natürlich ganz klar ist, dass man die diesjährige Biermeile im Friedrichshain nur ihnen widmen kann. Doch ob die Sachsen wirklich auf Bananenbier stehen? Auf Mangobier? Das gibt es nämlich auch auf dem Festival. Bei 1600 Bieren von 200 Brauereien aus 75 Ländern wäre es ja auch eintönig, immer nur Wasser, Hopfen und Malz zu schmecken. Solche Vielfalt regt offensichtlich an. Hin und Her wogten die Menschenmassen gestern Abend, so dass sich das Fest geradezu zur Bier-Parade entwickelte.

Als Wilhelm IV., Herzog von Bayern, 1516 per Gesetz das Reinheitsgebot durchboxte, gab es hierzulande weder Fernsehen noch Kino – weshalb Gaukler in der Unterhaltungsbranche noch die Nase vorn hatten. Inzwischen hat sich der Reiz dieses Berufsstandes ein wenig verbraucht, möchte man annehmen – doch weit gefehlt: Dicht gedrängt stehen die Besucher im Forum Fridericianum Unter den Linden, als ein Feuerschlucker anlässlich der aktuellen Aufführung des „Gauklerfestes“ seine Kunst vorführt. Als der Artist nach beendeter und viel beklatschter Darbietung allerdings den Hut kreisen lässt, flieht die Menge rasch in alle Himmelsrichtungen.

„Hier ist einfach alles viel zu teuer“, gibt eine Besucherin zu Protokoll und erklärt damit womöglich auch den Geiz des restlichen Publikums. Ohnehin beklagen die Betreiber von Volksfesten und Festivals seit Jahren stetig sinkenden Umsatz. Eines darf jedoch als gesichert gelten: Gezeichnet von der Rezession, lassen sich die Berliner die Party offenkundig dennoch nicht verderben. Sowohl Biermeile als auch Gauklerfest sind bereits zur Eröffnung proppenvoll. Doch während das Bierspektakel eindeutig im Zeichen des hellblonden bis tiefdunklen Getränks steht, beklagt eine Frau auf dem Gauklerfest: „Ich finde nicht gut, dass man immer die gleichen Fress- und Verkaufsstände findet, die auch auf jedem Weihnachtsmarkt auftauchen. Ich möchte mal wissen, was hier das Besondere ist?“ Ein Reinheitsgebot für Fest-Konzepte scheint jedoch nicht in Sicht.

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