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Interview zu Kriminalstatistik: „Das sagt nichts über unsere Sicherheit aus“

Der Kriminalwissenschaftler Wolfgang Trenschel erklärt, warum die Deliktzahlen in der Kriminalstatistik immer weiter zurückgehen - und warum das nicht unbedingt der Realität entspricht.

Die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) konstatiert auch in diesem Jahr, dass die Zahl der Straftaten auf einem historischen Tiefstand ist – nämlich der niedrigste seit der Wiedervereinigung. Ist das so?

Zunächst muss ich vorwegschicken, dass die PKS von der Polizei offiziell noch nicht veröffentlicht ist und ich mich nur auf das stützen kann, was ich darüber im Tagesspiegel vorab gelesen habe. Zu Ihrer Frage: Es verwundert mich nicht, dass die Gesamtzahlen der Straftaten in der PKS auf absehbare Zeit – also zehn bis 20 Jahre – immer besser sein werden, als im Vorjahr.

Warum?

Hier spielt zum einen der demografische Faktor eine Rolle, also unsere alternde Gesellschaft. Die Erfahrung zeigt: Der ältere Mensch ist weniger kriminell als der jüngere. Zudem verändert sich das kriminelle Verhalten von Rohheits- und Eigentumsdelikten hin zu Vermögens- und Fälschungsdelikten.

Aber nicht ausnahmslos, oder?

Ausnahmen gibt es bei einem 80-Millionen-Volk selbstverständlich immer. Wie beispielsweise die „Opa-Bande“, die bundesweit Aufsehen erregt hat, weil sie mit höchster Brutalität Raubüberfälle begangen hat.

Und weitere Gründe für die niedrigen Zahlen sind welche?

Die PKS bildet nicht die Kriminalität ab, sondern die Feststellung der Kriminalität. Das ist ein wichtiger Unterschied. Sie zeigt also das so genannte Hellfeld, also nur das, was auch wirklich angezeigt wurde. Zudem heißt sie nicht ohne Grund Polizeiliche Kriminalstatistik: Sie bildet das polizeiliche Bild ab. Das heißt: Wenn die polizeiliche Arbeit erledigt ist und gegebenenfalls die Tat als aufgeklärt gilt. Auf den weiteren Verlauf des Verfahrens, also Anklage durch die Staatsanwaltschaft und Verurteilung durch den Richter, hat die Polizei keinen Einfluss.

Die Gewerkschaft der Polizei kritisiert, dass die Zahl der Straftaten nur deshalb so niedrig wie nie zuvor ist, weil die Kontrolldelikte, wie beispielsweise Rauschgifthandel, zurückgehen. Der Grund seien die Einsparungen beim Personal.

Da hat die Gewerkschaft sicherlich Recht. Weniger Personal bedeutet weniger Kontrollen und weniger Aufklärung von Straftaten. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die sinkende Gesamtzahl sicherlich für den Verbraucher schön zu lesen ist, aber ein reiner Zahlenvergleich eigentlich nichts über die Sicherheit in unserer Gesellschaft aussagt.

Warum?

Es ist immer wichtig, sich jedes einzelne Delikt und jede einzelne Zahl genau anzuschauen und zu interpretieren. Ein Beispiel: Im Bereich Mord und Totschlag hat es aktuell offenbar laut Statistik einen starken Rückgang gegeben. Aber: Hier ist die Zahlenbasis auch sehr gering, nämlich etwa 100 Fälle. Bei so niedrigen Fallzahlen bewirken geringe Veränderungen bei der Basiszahl hohe Veränderungsraten. Sollte es also im kommenden Jahr nur ein paar Taten mehr geben, führt das wieder zu einer exorbitanten Steigerung in dem Bereich. Und genau deshalb muss man jedes Delikt für sich betrachten und auch immer Besonderheiten mit einbeziehen.

Welche könnten das sein?

Zum Beispiel im Warenkreditbetrug hat es vor wenigen Jahren eine hohe Steigerung der Zahlen bei dieser Straftat gegeben. Das hatte aber damit zu tun, dass es einen speziellen Computer-Abzocker gab, der mit hoher krimineller Energie extrem viele Taten begangen hat. Damit hatte er einen hohen Einfluss auf die statistischen Daten.

Wenn es so sehr auf die Interpretation von statistischen Zahlen ankommt, kann sich die Polizei die Statistik auch schön schreiben?

Nun, Statistiken müssen interpretiert werden, um eine sachgerechte Darstellung zu erlangen. Es gibt viele Möglichkeiten, eine Statistik zu interpretieren, und auch unter Fachleuten kann man sich da mitunter herzhaft streiten. Mir ist aber nicht bekannt, dass in der Behörde strukturell Zahlen geschönt werden.

Kann es auch sein, dass die Polizei einfach ihre Arbeit immer besser macht, beispielsweise durch die Einführung neuer Konzepte, wie dem Intensivtäterkonzept?

Ja, in Teilen ja. Das Intensivtäterkonzept ist sicherlich ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Polizeiarbeit, die sich auch in der Statistik niederschlägt. Allerdings bildet die PKS nicht die polizeiliche Arbeit ab, sondern die Fallzahlen. Aber wie eben bereits erwähnt, mit weniger Personal immer bessere Arbeit zu machen, das geht einfach nicht. Die Tiefe der Bearbeitung ist in weiten Teilen rückläufig. Das allerdings kann man nicht in der PKS ablesen.

So mancher Bürger zeigt kleinere Straftaten gar nicht erst an, weil es seiner Ansicht nach sowieso nichts bringt.

Richtig. Auch hier ein Beispiel: In den Versicherungsbedingungen ist vorgeschrieben, dass eine Anzeige bei der Polizei die Voraussetzung für die Schadensregulierung ist, wie etwa bei einem Einbruch oder Fahrraddiebstahl. Wenn es diese Pflicht zur Anzeige nicht geben würde, hätten wir in der Statistik mit Sicherheit drastische Zahlenrückgänge bei Eigentumsdelikten, ohne aber dass sich in der Sache etwas geändert hat. Kriminalpolitisch gesehen wäre das aber ein riesiges Problem, weil so Menschen zu Straftaten verleitet werden würden. Sie hätten dann weniger zu befürchten.

Wolfgang Trenschel (53) ist Professor für Allgemeine Kriminalistik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin am Campus Lichtenberg.

Das Interview führte Tanja Buntrock.

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