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Berlin: Das Stück Stoff und die Staatsgewalt

Darf eine Muslimin mit Kopftuch an öffentlichen Schulen unterrichten? Die Grünen Marieluise Beck und Özcan Mutlu im Streitgespräch

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ohne entsprechende Landesgesetze ein Kopftuchverbot für moslemische Lehrerinnen nicht möglich ist. Ob es ein derartiges Gesetz geben soll, ist nicht nur zwischen den Parteien strittig, sondern auch zwischen Parteifreunden.Erbittert ringen die Grünen um eine gemeinsame Linie: Die Protagonisten der beiden „Lager“ sind die Ausländerbeauftragte des Bundes, Marieluise Beck, und der Berliner Abgeordnete Özcan Mutlu. Mit ihnen sprach Susanne ViethEntus.

Im Koran steht, Du sollst Deine Scham bedecken und Dein Tuch über dem Busen übereinander schlagen. Was geht in einer Akademikerin vor, die sich dies zu eigen macht?

MARIELUISE BECK: Sie interpretiert diese Sure im kulturellen und religiösen Sinne. Sie finden zwar in keiner Sure eine Vorschrift, dass ein Kopftuch zu tragen sei, sondern nur den allgemeinen Hinweis auf die Bedeckung der Scham. Aber das hat sich in Teilen des Islam so entwickelt, dass man sagt: Für uns ist das eine religiöse Notwendigkeit oder eine Bedingung für Tugendhaftigkeit.

ÖZCAN MUTLU: Diese Auslegung des Kopftuchs entspricht einem Zivilisationsstandard, der vor Jahrhunderten gängig war, und ich frage mich, weshalb sich eine Lehrerin das zu eigen machen möchte. Wenn jemand behauptet, das entspricht seiner Religion, obwohl im Koran dazu nichts Eindeutiges als Vorschrift steht, dann frage ich, was das mit Religiösität zu tun hat.

BECK: Wenn es nicht wortwörtlich im Koran steht, dann heißt das doch noch nicht, dass wir von außen kommen können und sagen: Diese Interpretation lassen wir nicht zu.

MUTLU: Wo ziehen wir aber die Grenze? Wenn es heute das Kopftuch ist, kann es morgen die Burka oder der Schador sein. Mit denselben Argumenten könnte eine Afghanin, die der Meinung ist, sie hat sich gänzlich zu verhüllen, sagen: Ich möchte in dieser Bekleidung in die Schule. Für mich ist das falsch verstandene Toleranz, die letztlich zur Beliebigkeit führt. Einwanderungsgesellschaften sind konfliktbeladen. Aber gerade damit diese Konflikte auf ein Minimum reduziert werden können, müssen klare Regeln da sein. Die entscheidende Frage ist: Wie können wir in unserem Schulsystem die Realität der multikulturellen und multireligiösen Realität verankern, sodass Fundamentalisten wenig Chancen haben.

BECK: Im Unterschied zum Kopftuch macht die Burka eine pädagogische Interaktion und damit Unterricht unmöglich. Doch die Frage ist eher theoretisch. In der Praxis haben wir doch das Problem, dass die Diskussion um das Kopftuch in der Schule ausstrahlt auf das Verhältnis zu allen Frauen, die ein Kopftuch tragen. Wenn wir selber die Botschaft produzieren, das Kopftuch ist in jedem Fall ein Zeichen für einen politischen Fundamentalismus, dann wird jede Frau, die ein Kopftuch trägt, als politische Fundamentalistin identifiziert werden. Das produziert eine Ausgrenzung, die wir nicht wollen können.

MUTLU: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Frau Ludin oder eine andere Muslima privat oder in der Öffentlichkeit ein Kopftuch trägt. Ich habe auch nichts dagegen, wenn eine Muslima im Beruf - als Sachbearbeiterin im Sozialamt oder beim Bürgerbüro etwa - ein Kopftuch trägt. Im vorliegenden Fall des „Kopftuchstreites" geht es aber um die Schule. Da ist eine Lehrerin quasi auch die personifizierte Staatsgewalt. Ich meine, hier überwiegt die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler, und die ist uneingeschränkt einzuhalten. Wenn eine Lehrerin meint, aus religiösen Gründen ihre Haare vor männlichen Schülern verhüllen zu müssen, dann muss man so ein Denken schon hinterfragen. In der Schule gilt das Neutralitätsgebot des Staates. Deshalb hat sich eine Lehrkraft, egal ob männlich oder weiblich dezent zu verhalten und hat keine sichtbaren religiösen Symbole zu tragen.

BECK: Mir ist das ja auch fremd. Ich betrachte das Kopftuch auch als etwas Vormodernes. Ich weise aber darauf hin: Wenn wir jetzt dieses Symbol aus der Schule ausschließen, dann können wir nicht verhindern, dass es Signalwirkung für andere Berufszweige hat, es die Verkäuferin und bald die Schülerin trifft. Wenn wir es nicht schaffen, in dieser Gesellschaft einen Boden zu erhalten oder zu bereiten für das Recht auf kulturelle Vielfalt, dann werden wir niemals zu einer integrierten Gesellschaft werden.

MUTLU: Dieses Problem lösen wir nicht dadurch, dass wir die kopftuchtragende Lehrerin zulassen. Dadurch wird Andersartigkeit manifestiert. Dadurch entsteht kein gesunder Umgang miteinander. Und was ist mit den jungen Mädchen, für die die Schule ein Ort der Emanzipation, ein Ort der Freiheit ist, geschützt vor Kontrollblicken der Väter und Brüder. Ich habe in Kreuzberg gesehen, wie junge Mädchen verhüllt in die Schule kommen und dort ihre Tücher abwerfen. Welche soziale Kontrolle wird auf sie ausgeübt, wenn die Lehrerin ein Kopftuch trägt?!

BECK: Es ist sicherlich richtig, dass in konservativen Migrantenfamilien Mädchen eingeschränkt werden. Aber wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen und ob Verbote da weiterhelfen. Es besteht die Gefahr, dass wir damit den Fundamentalisten in die Hände arbeiten. Die Botschaft der Ausgrenzung ist der beste Nährboden für ihre Aktivitäten. Und noch etwas: Wenn wir den Frauen das Kopftuch verbieten oder ihnen den Weg die Schule versperren, treffen wir nicht die hinter ihnen stehenden Männer.

MUTLU: Aber wir können doch nicht sagen: Wir lassen die Kopftücher zu, weil wir den Fundamentalismus der Männer nicht äußerlich erkennen können. Ich will ein anderes Beispiel geben. Wir haben in Berlin einige Schulen, wo der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund sehr hoch ist. Stellen Sie sich vor: Da sitzt dann ein deutsches Mädchen, nennen wir es Julia, mit sieben Mitschülerinnen und einer Lehrerin, die alle ein Kopftuch tragen. Was ist mit den Rechten und der Entwicklung von Julia?

BECK: Ich sehe nicht, dass ein Druck auf die deutschen Mädchen entsteht, ein Kopftuch zu tragen. Ich gebe Ihnen aber Recht, dass wir ein Problem haben in den Gemeinschaften, wenn über das Tragen des Kopftuches der Lehrerin auch die moslemischen Mädchen stärker das Signal bekommen: Das gehört zur Sittsamkeit dazu. Deshalb würde ich dem Schulsenator raten, dass er diese Lehrerinnen mit Kopftuch eher in Bezirke mit überwiegend deutscher Schülerschaft schickt. Das Kopftuch bedeutet aber nicht nur Rückständigkeit. Die Migrantenkinder sehen doch, dass diese Lehrerinnen trotz Kopftuch selbstbewusste und emanzipierte Frauen sind, die in ihrem Beruf stehen.

MUTLU: Frau Beck, die Eltern von Julia diskutieren gar nicht mehr, ob ihre Tochter missioniert wird oder nicht: Die ziehen die Konsequenzen und ziehen weg aus dem Bezirk.

BECK: Wir haben in Nordrhein-Westfalen 15 kopftuchtragende Lehrerinnen. Es hat bisher keinen Konflikt gegeben. Vielleicht finden es die deutschen Familien fremd, aber sie stören sich nicht übermäßig daran. Wenn wir allerdings immer wieder das Signal geben: Das Kopftuch ist das Symbol für politischen Fundamentalismus, dann wird verlangt, dass diese Frau aus der Schule entfernt wird.

MUTLU: Sicherlich können wir nicht in die Köpfe hineingucken. Wir wissen nicht, ob sich eine Fundamentalistin unter dem Kopftuch verbirgt. Deshalb sage ich, es geht um das Neutralitätsgebot des Staates.

BECK: Neutralität des Staates bedeutet laut Bundesverfassungsgericht, dass sich alle Religionen gleichermaßen artikulieren können. Deshalb kann es nicht sein, dass jetzt einzelne Bundesländer Gesetze erlassen, in denen steht: die christlichen und jüdischen Zeichen gehören zu uns, die dürfen getragen werden, und die anderen nicht. Im Übrigen: Kein Raum ist so transparent wie Schule. Eine Lehrerin hat immer Zuhörer. Wir können schnell wissen, ob sie den Werthaltungen entspricht, die wir für Schule wünschen.

Wie sollen denn achtjährige Mädchen merken, wie und wann eine Lehrerin ihr Rollenverständnis in den Unterricht einfließen lässt? BECK: Wir haben Gremien, die Kinder haben Schulhefte. Schule ist kein versteckter Raum. Und kein meinungsfreier Raum. Auch konservative männliche Lehrer deutscher Herkunft vertreten Vorstellungen, die mit meinen nicht zusammenpassen. Eine gewisse Meinungspluralität gehört zur Vielfalt in der Schulen. Das bedeutet nicht Hilflosigkeit gegenüber Fundamentalismus. In dem Spektrum von Verfassungsschutz, Verbot fundamentalistischer Organisationen bis hin zum Disziplinarrecht haben wir die Möglichkeit, den Einzelfall, und zwar auch den fundamentalistischen männlichen Lehrer herauszufinden. Dazu können wir auch die Eignungsprüfung nutzen, die alle Lehrer absolvieren.

Wer wird so dumm sein, bei seiner Eignungsprüfung zuzugeben, dass er außerhalb der demokratischen Grundordnung steht?

BECK: Auch Verfassungsschutzerkenntnisse können hinzugezogen werden, um etwaige Aktivitäten einer Aspirantin in Moscheevereinen oder fundamentalistischen Gruppen aufzudecken. Das wäre dann ein Ausschlussgrund. Für die Männer habe ich doch auch kein anderes Instrumentarium, um Eignung festzustellen. Entscheidend ist: Wir müssen im Einzelnen hinschauen und nicht von Generalverdächtigungen ausgehen.

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