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Berlin: Das tanzende Klassenzimmer

Mit ihrer Musikschule ist Halime Karademirli zum ersten Mal beim Karneval der Kulturen dabei – als eine von wenigen traditionellen türkischen Gruppen. Das will sie ändern.

Aus dem Zimmer links dringen – nicht ganz harmonische – Gitarrenklänge, von rechts kommen Flötentöne, im Dachgeschoss wird gesungen und getanzt. Auf den Fluren toben Kinder. Sie sind zwischen fünf und 15 Jahre alt, rufen in verschiedenen Sprachen, einige Mädchen tragen Kopftuch. „Jede Unterrichtsstunde hier ist ein kleiner Karneval der Kulturen“, sagt Halime Karademirli. Die 51Jährige leitet das Konservatorium für türkische Musik in einem Hinterhof in der Kreuzberger Solmsstraße. Über 150 Jugendliche kommen regelmäßig her. Die meisten sind Kurden und Türken. Aber wer genau was ist? Karademirli weiß es gar nicht so genau. Weil es hier egal ist. „Kurden, Türken, Engländer, Deutsche – alle machen sie gemeinsam türkische Musik und das klappt prima“, sagt sie.

Und weil der Karneval der Kulturen für sie eine einzige große Musik- und Tanzschule ist, hat Karademirli ihre Schüler in diesem Jahr für das Multikulti-Fest rund um den Blücherplatz in Kreuzberg angemeldet. Gemeinsam mit 30 Schülern wird sie beim Karnevalsumzug am Pfingstsonntag mitfahren. Auf einem eigenen Lastwagen mit der Startnummer 56.

Der Umzug ist der Höhepunkt des Karnevals der Kulturen. Insgesamt sind 4200 Akteure dabei, 108 Gruppen, 70 Wagen. 33 Gruppen sind – wie Karademirli und ihre Musikschule – zum ersten mal dabei. Und da muss natürlich alles klappen. Seit Monaten proben die Kinder im Konservatorium in Kreuzberg mit Karademirlis 19-jähriger Tocher Sinem. Schließlich müssen am Ende immer 16 junge Tänzer und Musiker gleichzeitig auf der Ladefläche des Lkw tanzen. Die aufwändigen, bunten Kostüme aus insgesamt fünf verschiedenen Stoffen hat Karademirli in der Türkei nähen lassen. Mehrere tausend Euro haben die Vorbereitungen für den Umzug gekostet. Aber Karademirli wollte unbedingt dabei sein. Auch um ein Zeichen zu setzen.

„Die größte Multikulti-Party Berlins findet fast ohne türkische Beteiligung statt“, sagt sie, „Mir geht es nicht um unser Land, aber wir haben hier die Chance, sehr vielen Leuten unsere großartige Kultur zu präsentieren.“ Dass es bei dem Umzug mehr rein brasilianische Gruppen gibt als türkische und auch die Afrikaner stärker vertreten sind, findet sie schade. Vielleicht liege es ja daran, dass Karneval in der Türkei keine Tradition hat, sagt sie. Auch bei der türkischen Gemeinde in Berlin und dem türkischen Bund Berlin-Brandenburg sieht man darin den Hauptgrund. Die Zahl derer, die das freizügige Fest aus religiösen Gründen ablehnen, sei sehr gering.

„Türken sind begeisterungsfähig“, sagt Karademirli. Das zeigten schließlich die steigende Zahl junger Türken, die als DJs auf den Bühnen des Straßenfestes auflegen – und dass fast alle Kinder ihrer Musikschule gleich mitmachen wollten. Die 30 Kostüme und der Lkw reichten nicht aus. Mit ihrem aufwändigen Auftritt hofft Karademirli, den Ehrgeiz anderer türkischer Gruppen zu wecken. Und vielleicht sogar einen Preis gewinnen. Wie jedes Jahr wird auch diesmal die Gruppe mit dem schönsten Wagen von einer Jury ausgezeichnet und erhält 700 Euro. Mit dem Geld würde sie neue Kostüme kaufen – nächstes Jahr sollen noch mehr Kinder dabei sein können.

Mehr Informationen zum Umzug morgen im Tagesspiegel oder im Internet unter www.karneval-berlin.de

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