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Berlin: Das unheimliche Gewächs

Eine Frau bekommt die Hose über dem Bauch nicht mehr zu. Doch schwanger ist sie nicht. Die Ärztin sagt: eine Geschwulst, die Gebärmutter muss raus. Rund 6000 Frauen unterziehen sich jährlich in Berlin solch einem Eingriff im Krankenhaus

Zuerst verspürte sie einen unangenehmen Druck im Bauch, irgendwann bekam sie den Reißverschluss ihrer Hosen nicht mehr zu, weil der Bauch immer weiter wuchs, als sei sie schwanger. Aber das war sie nicht. Und wer Yvonne H.* sieht, der ahnt, dass so eine Frau nicht in kurzer Zeit eben mal ein paar Pfunde zulegt. Eine kleine Frau, 37 Jahre alt, einssechzig groß. Das mädchenhafte Gesicht und die dünne, blasse Haut passen zu ihrer zierlichen Gestalt.

Ihr Arzt, ein Allgemeinmediziner, diagnostizierte eine Darmausbuchtung. Er erklärte, das sei etwas ganz Seltenes. „Als könnte ich darauf stolz sein“, sagt sie. Ein Jahr liegt das zurück. Im März 2006 erfuhr Yvonne H., dass der Arzt mit seinem Befund weit daneben gelegen hatte. Es war keine seltene Darmausbuchtung sondern eine schnell wuchernde Geschwulst in der Gebärmutter. Etwas, das häufig ist und bei 6000 Berliner Frauen jährlich zu einer Operation führt. Die Gynäkologin, die das feststellte, sagte: Das kranke Organ muss raus. Sie überwies ihre Patientin sofort in die Park-Klinik Weißensee.

Zu der Zeit wusste Yvonne H. noch nicht, was da genau in ihrem Körper wucherte. „Ich dachte nur: hoffentlich kein Krebs.“ Die Ärzte in der Klinik sagten: gutartig. Zwei Wochen Krankenhaus – und es sei ausgestanden. Solch eine Operation bedeutet aber auch, dass eine Frau keine Kinder mehr bekommen wird, aber daran habe sie nicht gedacht, sagt Yvonne H. „Ich wollte nie welche.“

Mitte März wurde Yvonne H. operiert. Das Organ, dass Dieter Johannsmeyer, Oberarzt der Gynäkologie der Park-Klinik, aus ihrer Bauchhöhle holte, kann man ohne Übertreibung außergewöhnlich nennen: Die Wucherung in der Gebärmutter – Ärzte nennen das ein Myom, eine gutartige Geschwulst im Muskelgewebe – hatte das normale Gewicht der Gebärmutter fast verzwanzigfacht. Allein das Myom wog 1,3 Kilogramm.

Johannsmeyer sitzt in seinem kleinen Klinik-Büro mit Blick auf den Park. In seinem Archiv hat er ein Panoptikum von Myomen-Bildern: Fleischbrocken, die sich in der Wand der Gebärmutter breit gemacht haben. Manche sind nur fingerkuppengroß, andere haben das Ausmaß einer Männerfaust. Einige wachsen an Stielen aus der Gebärmutter heraus oder in den Hohlraum des Organs hinein. So eine Geschwulst kann zwischen 250 und 500 Gramm wiegen, in Extremfällen über ein Kilogramm, wie bei Yvonne H.

Johannsmeyer hat viel gesehen. Doch noch immer ist er überrascht, wie lange die Frauen notwendige Operationen vor sich herschieben. „Sie kommen zu uns mit aufgeblähtem Bauch – wie bei einer Schwangeren im fünften oder siebten Monat.“ Bis Myome so groß werden, dauere es Jahre.

Warum sie entstehen, ist unklar. „Könnte sein, dass die Östrogene, die weiblichen Hormone, etwas damit zu tun haben“, sagt Johannsmeyer. Möglicherweise hat auch die genetische Veranlagung damit etwas zu tun. Die Hälfte aller Frauen hätten Myome – und nicht immer müsse man operieren, weil sich die Geschwulste von selbst wieder zurückbildeten. „Leider kommen auch Frauen zu uns, denen man zur Entfernung der Gebärmutter geraten hat – obwohl das nicht nötig wäre“, sagt der Mediziner. Dann schicke er die Patientinnen wieder nach Hause. „Manchmal auch im Widerstreit mit dem einweisenden Arzt“.

Andere Wucherungen aber wachsen ungebremst und werden irgendwann zum Problem. Sie können Unterleibsschmerzen verursachen, da sie auf Blase, Darm oder Rücken drücken. Sie können die Regelblutung stören. Werden sie nicht entfernt, wachsen sie weiter, pressen immer stärker benachbarte Organe im Bauch zusammen. Aber: „Die operative Entfernung muss an letzter Stelle stehen – wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind“, sagt Johannsmeyer.

Eine Alternative wäre zum Beispiel ein organerhaltender Eingriff, bei dem der Arzt nur die Myome herausnimmt. Sind die Wucherungen dafür zu groß, kann der Mediziner versuchen, sie mit Medikamenten zu verkleinern. „Dazu werden bis zu sechs Spritzen verabreicht“, sagt Johannsmeyer. Der Schrumpfungsprozess hält aber nur an, solange die Arznei gegeben wird. Und mehr als sechs Dosen verträgt der Organismus nicht. Unterschreitet die Wucherung eine bestimmte Größe, kann der Gynäkologe sie entfernen.

Eine relativ neue Möglichkeit ist die Verödung der Blutgefäße, die das Myom mit Nährstoffen versorgen – im Fachjargon heißt diese Methode Myomembolisation. Dieses Verfahren ist eine Art künstlicher Infarkt. Dazu wird ein langer, sehr dünner Kunststoffschlauch, ein Katheter, in die Arterie im rechten Oberschenkel eingeführt und über die Blutbahnen bis zu den Gefäßen der Gebärmutter vorangeschoben, die mit dem Myom verbunden sind. Durch den Schlauch werden kleine Plastikkügelchen eingespritzt, die in den Adern hängen bleiben und sie verstopfen. Im besten Fall stirbt das Gewebe des Myoms danach ab.

Für Yvonne H. waren das alles keine Alternativen. Selbst für die schonende Entfernung der Gebärmutter durch die Scheide war es zu spät. Die Wucherung war zu groß, also musste der Chirurg den Bauch öffnen. Der Eingriff hat eine 20 Zentimeter lange Narbe von ihrem Bauchnabel bis zum Unterbauch hinterlassen.

Am häufigsten aber wählen die Ärzte den Weg über die Vagina – bei nahezu 70 Prozent der Patientinnen. Die Wunde verheilt schneller. Bei diesem Eingriff zieht der Operateur die Gebärmutter, die knapp zwölf Zentimeter über dem Scheideneingang sitzt, Stück für Stück aus dem Körper heraus. Bei jedem Schritt werden die zahlreichen Verbindungen des Organs zum Körper gekappt, die Wunden mit einem Faden abgebunden.

Bei einer neueren Methode werden die Schnittwunden sofort mit einer Zange, die durch starke Stromstöße erhitzt wird, „verkocht“ und so verschlossen. Dabei fließt fast kein Blut. Nach 15 bis 60 Minuten ist so ein Eingriff überstanden. Der Weg über einen Bauchschnitt ist zwar einfacher, dauert aber etwas länger: eine Stunde, maximal 90 Minuten. Eine minimalinvasive Operation, wegen der kleinen Schnitte auch Schlüsselloch-Eingriff genannt, dauert dagegen bis zu drei Stunden. Jede zehnte Frau, deren Gebärmutter entfernt werden muss, wird inzwischen so operiert. Die Methode gilt als schonend. An der Park-Klinik Weißensee wird sie aber noch relativ selten angewandt, weil noch die Erfahrung fehlt.

Denn davon hängt der Erfolg dieser Methode ganz entscheidend ab, wie auch die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) in Düsseldorf bestätigt. Die BQS wertet die Qualitätsdaten der deutschen Krankenhäuser aus. In der Einführungsphase von minimalinvasiven OP-Techniken verschlechterten sich immer auch die BQS-Qualitätswerte. Das sei fast unvermeidlich, denn es brauche eine gewisse Erfahrung, um mit dieser Technik klarzukommen.

Die Klinik für minimalinvasive Chirurgie auf dem Gelände des Zehlendorfer Hubertus-Krankenhauses führt 90 Prozent ihrer Eingriffe laparoskopisch durch – so bei über 1000 gynäkologischen Operationen allein im Jahr 2004. Eine höhere Fallzahl – inklusive herkömmliche Eingriffe – hat nur das Vivantes Auguste Viktoria Klinikum in Berlin-Schöneberg.

Ist die herkömmliche Entfernung der Gebärmutter eine schwierige Operation? „Das kann einen Facharzt schon ins Schwitzen bringen“, sagt Johannsmeyer. Bei ihm liegt die Zeit, als er bei so etwas ins Schwitzen geriet, schon eine Weile zurück. Der Chirurg ist 60 Jahre alt und hat in seinem Berufsleben schon mehrere hundert Gebärmütter entfernt. Die Haut seiner Hände ist vom häufigen Desinfizieren vor den Eingriffen trocken geworden.

* Name geändert

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