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Berlin: Das Urteil ist ein Pyrrhussieg für den Bund

Sparaufrufe sind hilflose Appelle der Politik

Von Michael Heine Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die Klage Berlins auf Haushaltsnotstand abgelehnt wurde, hat unterschiedliche Beurteilungen erfahren. Während einige Kommentatoren befürchten, dass sich Berlin nicht aus eigener Kraft wird aus der Finanzkrise heraussparen können, teilen andere die ökonomische Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts. Demnach kann Berlin die Krise überwinden, wenn es auf einigen vom Bundesverfassungsgericht ausgewählten Feldern die Ausgaben in etwa auf das Niveau Hamburgs absenkt, zudem die Restbestände des öffentlichen Vermögens verkauft und landeseigene Steuern erhöht.

In der Urteilsbegründung spielten die offenkundigen Sparanstrengungen Berlins in den letzten zehn Jahren keine entscheidende Rolle. Denn seit Mitte der 1990er Jahre, als die finanzpolitischen Fehlentwicklungen deutlich wurden, hat Berlin seine Ausgaben (ohne Zinszahlungen) um gut zehn Prozent gesenkt, einen Wert, den kein anderes Bundesland auch nur ansatzweise erreicht hat. Zum Vergleich: In Bremen und im Saarland stiegen sie um mehr als zehn Prozent und in Bayern immerhin um gut vier Prozent.

Beispielsweise hat Berlin die Investitionsausgaben seit 2003 um etwa 350 Millionen Euro gesenkt. Diese Kürzungen waren kein „free lunch“, denn jeder eingesparte Euro führte unweigerlich zu einer Mindereinnahme in exakt der gleichen Größenordnung bei der Privatwirtschaft. Senkt die Privatwirtschaft nun ihrerseits die Ausgaben und kürzt damit die Einnahmen Dritter, dann kommt es zu einer sogenannten negativen Multiplikatorwirkung. Die eingesparten Investitionsausgaben dürften zu Einnahmeausfällen nur in Berlin von 500 Millionen Euro geführt haben. Bei einem Beitrag von 50 000 Euro je Beschäftigten zum Bruttoinlandsprodukt wird der negative Beschäftigungseffekt bei rund 10 000 Arbeitsplätzen liegen.

Doch damit nicht genug. Bei den reinen Sachinvestitionen investiert Berlin mittlerweile nur noch etwa 25 Prozent des Durchschnitts der anderen Bundesländer und Gemeinden. Das geht buchstäblich nicht spurlos an der Stadt vorbei, wie etwa der Zustand der Straßen zeigt. Das schadet nicht nur den Stoßdämpfern, sondern vor allem auch der regionalen Wettbewerbsfähigkeit. Denn die regionale Ausstattung mit Verkehrsinfrastruktur, das zeigen alle empirischen Studien, ist ein zentraler Parameter im Wettbewerb der Regionen. Hinzu kommt, dass diese investive Zurückhaltung oftmals nicht nachhaltig ist, da die notwendigen Investitionen zeitlich nur verschoben werden.

Die jetzt allenthalben vorgetragenen Empfehlungen, Berlin müsse den Gürtel noch enger schnallen, erweisen sich aus dieser Perspektive als eher hilflose Appelle. Selbstverständlich muss Berlin gleichwohl alle Einnahmen und Ausgaben kritisch prüfen. Nehmen wir also an, die Stadt schließt umgehend eine Universität, eine Oper und ein Schauspielhaus und kann ohne arbeitsrechtliche Friktionen die Einsparungen beim Personal auch umgehend realisieren. Der Einspareffekt dürfte sich auf zirka 500 Millionen Euro belaufen. Damit hätte die Stadt – sehr grob gerechnet – einen verfassungskonformen Haushalt, da nun die neuen Schulden in etwa den Investitionen entsprechen würden.

Das ist aber nur die Zwischenbilanz. Denn der Gesamtschuldenstand würde selbstverständlich steigen, um, je nach konjunktureller Entwicklung und beabsichtigter Steuerpolitik, etwa 1,5 bis zwei Milliarden Euro jährlich. Dann dürfte Berlin 2010 mit einem Schuldenstand von knapp 66 Milliarden Euro konfrontiert sein, da zudem auch noch die Gelder aus dem Solidarpakt zurückgefahren werden. Je nach Zinspolitik der Europäischen Zentralbank werden in diesem Szenario die jährlichen Zinsbelastungen bei 3 bis 3,5 Milliarden Euro liegen. Um nun einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen zu können, müsste wenigstens eine weitere Milliarde eingespart werden. Aber wo, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Region und die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen zwischen den Regionen (dies schreibt das Grundgesetz bekanntlich vor) fundamental zu verletzen? Selbst wenn Berlin seine gesamten Wohnungsbestände verkaufen und den Wunscherlös von fünf Milliarden Euro erzielen würde, wären gegenwärtig die Zinszahlungen von lediglich zwei Jahren gegenfinanziert. Jede Koalition in Berlin dürfte sich schwer tun, unter diesen Bedingungen den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren.

Wenn vor diesem Hintergrund das Bundesverfassungsgericht ausführt, Sanierungshilfen seien nur berechtigt, wenn „Situationen eintreten, in denen die verfassungsrechtlich gebotene Handlungsfähigkeit eines Landes anders nicht aufrechtzuerhalten“ sei, so läuft dies wohl darauf hinaus, dass Hilfen erst dann vorgesehen sind, wenn alles öffentliche Vermögen verkauft wurde und die Banken keine Kredite mehr zur Verfügung stellen. An einer solchen Entwicklung kann niemand interessiert sein.

Das Urteil ist gesprochen, nun sollten Bundeshilfen angeboten werden. Ein wichtiger Schritt wäre es zu klären, was es eigentlich auch finanziell bedeutet, wenn Berlin Deutschland als Gesamtstaat zu repräsentieren hat? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird sich für den Bund als Pyrrhussieg erweisen, wenn er seiner Hauptstadt finanziell nicht unter die Arme greift.

Der Autor ist Professor an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) in Berlin

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