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Berlin: Das Wunder von der Karl-Marx-Straße

Mit einer kirchlichen Singegruppe fing es vor 25 Jahren an. Inzwischen ist die Neuköllner Oper die Vorzeigebühne der Berliner Off-Kultur. Eine Ausstellung zum Jubiläum zeigt, wie sich das Ensemble um Winfried Radeke und Peter Lund in dem Arbeiterbezirk etabliert hat

Von Tanja Buntrock

Schon der Titel allein – eine Provokation: „Neuköllner Oper“. Wie soll das gehen, Neukölln und Oper? Neukölln, das sind doch ballonseidene Trainingshosen- und Adiletten-Träger, Hundehaufen, Mampe halb und halb und nicht zu vergessen „Berliner Kindl“.

Mag sein. Doch strafen die Opernleute aus der Karl-Marx-Straße seit 25 Jahren all diejenigen Lügen, die nur diese Bilder im Kopf haben, wenn sie an Neukölln denken. Die Opernbühne ist das Kleinod, eine Oase in dem gern als Kulturwüste bezeichneten Arbeiterbezirk. Darauf sind der Gründer der Oper, Winfried Radeke und Peter Lund, künstlerischer Leiter, mächtig stolz. Zum 25. Geburtstag hat der Bezirk der Neuköllner Oper eine Ausstellung gewidmet: „Das Wunder von Neukölln“ heißt sie und veranschaulicht noch bis zum 17. November im Saalbau die Geschichte der Musiktheater-Bühne.

Peter Lund fläzt sich auf dem Sofa, eine Requisite aus dem Stück „Die Krötzkes“ im Ausstellungsraum. Der 36-Jährige spricht in die Mikrofone der Radio- und Fernsehsender, die seit der Ausstellungseröffnung nun in Scharen in die Karl-Marx-Straße kommen. Immer wieder erzählt er, wie alles begann vor 25 Jahren: Dass Winfried Radeke, damals noch Kirchenmusiker in der Neuköllner Martin-Luther-Kirche, mit Sangeslustigen aus der Gemeinde kleine Produktionen aufführte. Wie der Erfolg größer, die Kirche als Spielstätte aber zu klein wurde, dann die „Wanderphase“ der Oper begann mit ständiger Suche nach neuen Räumen. Bis schließlich die „Passage“ in der Karl-Marx- Straße als Spielort gewonnen werden konnte. Der Bezirk übernimmt seither die Miete für die Spielstätte.

Eigentlich leitet Lund das Musiktheater in einem Vierer-Gespann, aber Radeke ist derzeit mit den Proben beschäftigt. Und „einer muss ja seinen Kopf vor der Presse hinhalten“, erklärt Lund. Er ist im Laufe der Jahre zum Mediendarling avanciert, der stets bereitwillig zu kulturpolitischen Fragen Stellung nimmt. Lund und die Neuköllner Oper, das sind mittlerweile Synonyme geworden in der Szene. Seit Anfang der neunziger Jahre ist der Jungimpresario hier. Dabei schlagen seit geraumer Zeit zwei Herzen in seiner Künstlerbrust, ist er doch auch noch Professor im Studiengang „Musical“ an der Kunsthochschule UdK.

Dennoch bleibt er der Neuköllner Oper treu. Die Arbeit scheint ein ständiger Kampf: Dagegen, dass die Menschen jenseits des Hermannplatzes bei „Neuköllner Oper“ immer noch an Laienspieltruppe denken. Dabei gilt sie längst als Vorzeigebühne der hauptstädtischen Off-Kultur. Acht bis zehn Neuproduktionen pro Spielzeit bietet das Haus, mehr als die Hälfte sind Uraufführungen. Das Spektrum ist groß: vom experimentellen musikalischen Kammerstück bis zur großen Oper, von der klassischen Moderne über Mittelalterspektakel bis zur Operette und Musical. 900 000 Euro betragen im kommenden Jahr die Subventionen vom Senat. Dabei leistet sich das Haus nur zwölf Festangestellte in der Verwaltung, das komplette künstlerische Ensemble ist frei.

Zuletzt hat die Neuköllner Oper mit „Angela“, einem Stück über CDU-Chefin Angela Merkel, Aufsehen erregt. 80 Prozent Auslastung hätten sie verzeichnen können, sagt Lund mit geschwellter Brust. Allerdings sind die Opernleute für diese Aufführung „der Mitte entgegengefahren“, wie Lund es nennt. „Angela“ gastierte im U-Bahnhof Reichstag – in der Hoffnung, dass diejenigen, „die einfach nicht über den Hermannplatz hinaus fahren“ dies künftig doch tun werden. Nicht, dass sie auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen wären, nein. Allein im vergangenen Jahr kamen 30 000 Zuschauer in die Vorstellungen, etwa die Hälfte davon aus den westlichen Stadtbezirken.

Schließlich machten die Künstler in der Karl-Marx-Straße „Volksoper“, die vor allem – wenn auch nicht immer – unterhaltend sein soll. „Hier muss niemand vorher ein Programmheft gelesen haben. Jeder kann kommen, wir wollen den Leuten auch die Ehrfurcht vor der Oper nehmen“, erklärt Lund die Idee des Hauses. „Wir sind nicht elitär“, das sei es, was den Erfolg des Hauses ausmacht. Dennoch bleiben die Macher realistisch: Dass plötzlich der Trainingshosen tragende Mampe-Trinker aus der Kneipe um die Ecke sein Herz für die Opernkultur entdeckt, erwartet keiner der Künstler. So weit geht der Anspruch dann doch nicht.

Die Ausstellung „Das Wunder von Neukölln“ ist noch bis zum 17. November in der Karl-Marx-Straße 141 zu sehen. Öffnungszeiten: Mi., Do. von 11 bis 20 Uhr, Fr. bis So. 14 bis 20 Uhr, Eintritt frei. Noch bis Sonnabend läuft ab 20 Uhr „Alles Theater“, 25 Songs für die Bühne. Karten zwischen 15 und 21 Euro. Telefon: 68 89 07 77.

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