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Flughafen Tegel: Geliebt, da citynah, gehasst, da siedlungsnah.

© Rainer Jensen/dpa

Debatte über Alternativen zum BER in Berlin: Will der Tagesspiegel den Flughafen Tegel offen halten?

Unser Leser Lothar Rothe kritisiert einen Bericht über die Debatte, den Flughafen Tegel länger zu betreiben als geplant. Er beklagt die "Tegel-Nostalgie" und vermutet wirtschaftliche Interessen hinter dem Bericht. Dessen Autor antwortet nun.

Am 24. Juli berichteten wir über Gedankenspiele bei den Flughafen-Gesellschaftern, den Flughafen Tegel länger als geplant zu betreiben, um den Kapazitätsengpass nach Eröffnung des BER zu beheben. Unser Leser Lothar Rothe hat sich über den Artikel geärgert:

"Was sollte nun eigentlich Ihr, Herr Appenzeller, neuer Beitrag bewirken? Sachlich trägt er nichts Neues vor. Das wurde alles schon gesagt und diskutiert; und es spricht nicht für eine Offenhaltung von Tegel.

Hat der Beitrag vielleicht wirtschaftliche Hintergründe? Ist er Ausdruck Ihrer Verknüpfung mit dem Tagesspiegel Wirtschaftsclub? Dazu kann ich Sie aber nur wieder zitieren: „Glaubt wirklich jemand, ein Unternehmer würde eine Fabrik nicht bauen, weil er in Schönefeld landen muss?“ (Tagesspiegel vom 6. April 2013)

Ich habe von der ganzen Tegel-Nostalgie die Nase voll. Macht ihn zu, diesen Flughafen, exakt sechs Monate nach der Eröffnung, so, wie es das geltende Recht vorsieht. Genau, das ist auch meine Meinung – so wie Sie Herr Appenzeller mit diesem angeführten Zitat selbst ausgedrückt haben. Offensichtlich gilt das im Grundsatz für Sie persönlich nicht mehr."

Der Verfasser des Berichts, Gerd Appenzeller, Berater der Tagesspiegel-Chefredaktion, antwortet Herrn Rothe nun:

"Sehr geehrter Herr Rothe,

vielen Dank für Ihre so offene kritische Rückfrage. In dem Beitrag vom 24. Juli ging es, das muss ich voranschicken, nicht um eine Meinungsäußerung, sondern um eine nachrichtliche Recherche. Die Redaktion hatte erfahren, dass es im Kreise der drei Flughafengesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund Überlegungen gibt, ob, und wenn ja, wie man Tegel länger als nach geltender Rechtslage zulässig offen halten könne. Die wird in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes Leipzig aus dem März 2006 festgeschrieben: Tegel muss spätestens sechs Monate nach der Eröffnung von BER schließen.

Die Redaktion hat daraufhin getan, was sie für ihre Aufgabe hielt: Sie hat recherchiert, ob es überhaupt einen Ansatzpunkt für die Politik und damit für die Flughafengesellschafter gibt, ungeachtet des klaren Urteils aus Leipzig Tegel länger zu nutzen. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass allenfalls die über alle Erwartungen hinaus gestiegene Passagierzahl zu einer Änderung der Planungen führen könne – und auch da stufte der Verfasser die Chancen als äußerst gering ein.

"Nachricht, nicht Meinungsäußerung"

Dennoch hat kaum ein Tagesspiegel-Artikel in den letzten Monaten so viel Interesse gefunden wie diese, ich betone es noch einmal: Nachricht, nicht Meinungsäußerung. Innerhalb einer Woche wurde der Text auf tagesspiegel.de 26.000 Mal gelesen, es gab 180 Userkommentare und auch zahlreiche Leserbriefe wie der von Ihnen, sehr geehrter Herr Rothe.

Gerd Appenzeller, Berater der Chefredaktion beim Tagesspiegel.
Gerd Appenzeller, Berater der Chefredaktion beim Tagesspiegel.

© TSP / Doris Spiekermann-Klaas

So haben zum Beispiel Barbara und Jürgen Kuschewsky aus Reinickendorf den Verdacht geäußert, dass eine „Fraktion“ innerhalb der Tagesspiegel-Redaktion eine Kampagne zur Offenhaltung von Tegel vom Zaun brechen wolle, und mehrfach wurde ein Leitartikel von Robert Ide „Macht Tegel endlich dicht!“ zwei Tage später gelobt, in dem dieser aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes forderte, Tegel wie vorgesehen schnell nach der Öffnung von BER zu schließen. Ich wurde an einen eigenen Kommentar vom 6. April 2013 erinnert, in dem ich das Gleiche etwas polemisch unter dem Titel „Schluss mit der Tegel-Spinnerei“ formuliert hatte.

Wie ist das alles miteinander vereinbar? Die Redaktion sieht sich, nicht nur bei diesem Thema, in der Pflicht, Entwicklungen nachzugehen. Deshalb haben wir auch den Plan des Architekten Gisbert Dreyer präsentiert, der das ICC zu einem ersten Check-in für den BER machen will. Und so war das auch mit der Information, ein Flughafengesellschafter wolle Tegel möglicherweise offen halten. Wir haben recherchiert und kamen zum zitierten Ergebnis: sehr unwahrscheinlich.

"Den Lesern verpflichtet"

So weit die Nachricht. Um deutlich zu machen, dass die Redaktion bei ihrer bisherigen Position bleibt, dass Tegel geschlossen werden müsse, schrieb Robert Ide dann seinen Leitartikel. Natürlich gibt es in der Redaktion, wie auch in der Stadt, viele Fans des stadtnahen Flughafens, aber wir alle respektieren die Rechtslage. Mit wirtschaftlichen Interessen des Tagesspiegel-Verlages oder des Wirtschaftsclubs hat das Für und Wider zu Tegel nichts zu tun.

Die Redaktion sieht sich aber den Leserinnen und Lesern gegenüber in der Pflicht, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu überprüfen und das Ergebnis zu veröffentlichen, ganz unabhängig davon, ob uns diese Nachrichten nun gefallen oder nicht. Was würden Sie wohl von einer Zeitung halten, die nur über das schreibt, was gerade im Mainstream liegt?

Auch in Sachen Schönefeld haben wir das immer so gehalten. Als die Flughafengegner im Jahr 2003 unter starkem öffentlichen Beifall mit einem Katalog sogenannter K.-o.-Kriterien nachzuweisen suchten, dass das Bundesverwaltungsgericht niemals grünes Licht für Schönefeld geben würde, haben wir das von unabhängigen Verwaltungsjuristen prüfen lassen. Ihr Fazit veröffentlichten wir am 6. Januar 2005. Es lautete: Der Flughafen kann gebaut werden. Vierzehn Monate später, im März 2006, bestätigte das Urteil diese Einschätzung. Wen es interessiert – der Text ist hier zu finden.

Herzlichen Gruß,

Gerd Appenzeller"

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