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Basis-Arbeit. Gunter Demnig verlegt Stolpersteine am Eichborndamm. Hergestellt werden die Gedenk-Würfel auf dem Künstlerhof Buch.

© Doris Spiekermann- Klaas

Gedenken an NS-Opfer: Sieben neue Stolpersteine in Reinickendorf

In Heiligensee und Reinickendorf erinnern sieben neu verlegte Plaketten an in der NS-Zeit verfolgte Berliner. Sie wurden ermordet, weil sie Behinderte, Juden oder Kommunisten waren.

„HIER WOHNTE“ steht auf der quadratischen Messingplatte, die vor einem Häuschen in Heiligensee am Boden eingelassen wird. Das Metall bildet die Oberfläche eines Betonwürfels mit zehn Zentimeter Kantenlänge. Ein Dutzend Personen hat sich kurz vor neun neben einer kleinen Kastanie, unter Sonne und Federwolken, eingefunden für das nüchterne Prozedere am Vorort-Rand. Weil es da kein Gehsteigpflaster gibt, das den Würfel umschließen könnte, bettet der agierende Künstler sein mattgoldfarbiges Objekt, gerahmt von vier grauen Betonsteinen, in den Rasenstreifen. Fugen werden mit Sand, Erde, Wasser verfüllt. Karsten Baum von der Reinickendorfer AG Stolpersteine liest einen Text über Anna Rosalie Rochwitz, von der nur ihr Geburtstag bekannt ist, dass sie hier wohnte und wann sie 56-jährig in der Heilanstalt Obrawalde umgebracht wurde. Name und Daten sind auf der Messingplatte zu lesen.

Für sieben zwischen 1942 und 1944 ermordete Berliner sollen an diesem Vormittag in Heiligensee und Reinickendorf Plaketten verlegt werden. Rudolf Grieb, einen Maschinenschlosser und Kommunisten, hatte der Volksgerichtshof verurteilt. Er wohnte zuletzt, wie das jüdische Paar Frieda und Walter Antonius – sie Arbeiterin bei den Siemens-Schuckert-Werken, er Autoschlosser – am Eichborndamm. Walter Antonius tauchte, als man seine Frau verhaftete, 18 Monate unter; er wurde gefasst, nach Auschwitz und von dort ins KZ Buchenwald transportiert, Todestag unbekannt. Das jüdische Paar Max und Anna Hornik – er Kaufmann, sie erfolgreiche Damenschneiderin – lebte mit seinem Sohn Heinz in Frohnau. Den behinderten Sohn verbrachte die Gestapo in eine unbekannte „zentrale Pflegeanstalt“. Seine Eltern kamen in ein „Judenhaus“, seit ihrer Deportation sind sie, wie Frieda Antonius, verschollen.

127 Stolpersteine gibt es jetzt in diesem Bezirk; über 3000 in Berlin, europaweit über 35 000. Ehrenamtliche der lokalen Stolperstein-AG recherchieren Biografien der NS-Opfer, kümmern sich um die Finanzierung (120 € kostet ein Stein): über Gemeindekollekten, auch durch private Sammlungen. In 769 deutschen Kommunen konnte Gunter Demnig, der Erfinder des unterirdischen Gedenk-Würfels, bislang sein Basis-Projekt realisieren. 1996 hatte er illegal in Kreuzberg damit angefangen; seit 2000 wirkt er offiziell anerkannt. Sogar die Abwehr in München werde schwächer, sagt er: Dort zitierte Charlotte Knobloch gegen Stolpersteine die jüdische Tradition, nach der man auf Grabsteine nicht treten darf, OB Ude unterstützte sie. Demnigs Ansicht, hier gehe es um etwas anderes, sieht der Künstler von Talmud-Experten bestätigt. Auch sein Streit mit dem Finanzamt Köln, das von „Hinweisschildern aus unedlem Metall“ und „Massenprodukten“ sprach und darum die verminderte Umsatzsteuer für kreative Werke nicht gelten ließ, ist vor einem Jahr zu seinen Gunsten ausgegangen – durch ein Votum des Bundesfinanzministers.

Gegen zehn Uhr sammeln sich am Eichenhain in Frohnau, zwischen schönen Klinker- und Fachwerkbauten,30 Personen. Drei zehnjährige Detektive spähen von fern zu dieser Ecke; ein Aktivist informiert die Jungen. Bis 1947 stand hier auf dem Rasen eines größeren Hauses das der Horniks. Drei Messing-Beton-Kuben, die kaum zum Stolpern, eher zum Stutzen anregen, versinken im Trottoir: für Anna, Max und Heinz. Demnigs Hammer klopft sie fest. Ein Posaunist bläst etwas Trutziges, 17. Jahrhundert. Eine Pfarrerin zitiert Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich ...“ Die drei Jungs kommen näher, hören zu. Unterm Deckel rauscht die Kanalisation. Wolken haben sich etwas zusammengezogen.

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