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Reinickendorf: Demo vor Haus eines Wehrmachtsoffiziers

Ein 91-jähriger Ex-Wehrmachtshauptmann wurde in Italien verurteilt - und lebt unbehelligt in Berlin. Linke wollen vor seinem Wohnhaus in Reinickendorf demonstrieren. Inzwischen ist der Mann allerdings freigesprochen worden.

Idylle gilt ja immer als trügerisch – und in dieser Reinickendorfer Nebenstraße ist es sehr idyllisch. An diesem Dienstag strahlt die Mittagssonne, die Vögel zwitschern, sonst herrscht Stille. Eine Frau führt einen gelockten Hund aus, sonst ist einzig ein radelnder Postbote unterwegs. Das mit der Ruhe wird sich am Sonnabend ändern. Antifaschisten wollen vor jenem Haus demonstrieren, in dem Helmut O. lebt. Der 91-Jährige wohnt seit Jahren in der stillen Straße, Nachbarn ist er bisher nicht aufgefallen. Die Polizei erwartet rund 50 Linke zu der Kundgebung. Das Motto: „Nazi-Kriegsverbrecher aus der Anonymität holen!“. Dem Tagesspiegel sagte der Mann, ein Kriegsverbrecher sei er nicht.

Fest steht, Helmut O. war 1944 in Italien bei der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring“, die als Truppe „mit besonderem Auftrag“ gilt. Ein Militärgericht im italienischen Verona befand den 91-Jährigen und sechs weitere Wehrmachtsangehörige vergangene Woche für schuldig, im Frühjahr 1944 an Massakern in Norditalien beteiligt gewesen zu sein. Dabei wurden mehr als 350 Zivilisten ermordet. Bei der sogenannten Partisanenbekämpfung hatten deutsche Einheiten ganze Orte niedergebrannt. Das italienische Gericht verhängte zunächst eine lebenslange Haftstrafe. Inzwischen allerdings ist er freigesprochen worden: Die nächste Instanz habe 2012 keine ausreichenden Beweise für seine Anwesenheit bei den Massakern gefunden, hieß es von Prozesskennern. Das Auswärtige Amt war dazu nicht zu erreichen.

In dem Reinickendorfer Mietshaus sitzen Helmut O. und seine Frau in einem aufgeräumten Wohnzimmer. Von zahlreichen Fotos auf der Schrankwand lächeln die Enkel, Teppich und Tischdecke sind flusenfrei. Wegen des angekündigten Protestes ist Helmut O. aufgeregt. Über die geplante Kundgebung habe ihn niemand informiert. Ob die Polizei den Wehrmachtsmann schützt, teilte die Behörde nicht mit. „Ich war damals nicht dabei, ich lag mit meiner Einheit ganz woanders“, sagt er. An „Erschießungen von Zivilisten“ sei er nicht beteiligt gewesen. Das Urteil aus Italien habe er noch nicht zugestellt bekommen, von dem italienischen Richterspruch höre er das erste Mal, sagt Helmut O. Nach eigener Auskunft hatte er 1944 als Wehrmachtshauptmann bis zu 250 Soldaten befehligt.

Vor Jahren hatten ihn die deutschen Behörden auf Gesuch der Italiener allerdings ausführlich über die Ermittlungen informiert. Und auch die deutsche Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, die in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist, hat parallel gegen O. ermittelt.

Dass der Berliner nun nicht nach Italien gebracht wird, liegt daran, dass Deutschland grundsätzlich keine eigenen Staatsbürger zum Haftantritt ausliefert – es sei denn, diese stimmen dem zu. Theoretisch könnte Helmut O. seine in Italien verhängte Strafe zwar hierzulande absitzen, allerdings ist das in der Praxis eher selten. Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums sagte am Dienstag, derzeit läge kein Gesuch aus Italien vor, wonach die dortigen Behörden beantragen, dass O. seine Strafe in Deutschland anzutreten habe. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig sei, könne solch ein Antrag eventuell aber kommen.

Juristen sagen, in Italien könne ein militärischer Vorgesetzter leichter für Taten Untergebener verantwortlich gemacht werden. Details zum Fall O. sind allerdings nicht bekannt. Die Mordermittlungen gegen Angehörige der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring“ in Deutschland sind offiziell noch nicht eingestellt, rund 130 Aktenordner stehen beim Landeskriminalamt in Düsseldorf. In Berlin ist Helmut O. vor sechs Jahren schon mal von dessen Fahndern vernommen worden. Allerdings habe man konkrete Taten der Division „Hermann Göring“ bisher nur mit Männern in Zusammenhang bringen können, die schon tot seien, sagte der zuständige Staatsanwalt. Geschlossen sei die Akte aber nicht. Hannes Heine

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