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Berlin: „Der Antisemitismus zeigt sich stärker“

In Spandau hörten am Freitag einige Zeugen Rufe wie „Juden raus“. Andere, direkt daneben, hörten nichts.

In Spandau hörten am Freitag einige Zeugen Rufe wie „Juden raus“. Andere, direkt daneben, hörten nichts. Überrascht Sie das?

Nein. Das ist ein verbreiteter Vorgang, dass man im Zweifel nichts gehört hat. Das mag Selbstschutz sein, man will nicht in unangenehme Dinge hineingezogen werden. Oder man fühlt sich solidarisch mit den Rufern.

Das kennen Sie auch von anderen Vorfällen?

Ja. Gerade bei Straßenumbenennungen, die ja viele Emotionen aufrühren. Vor einigen Jahren wurde in der Nähe von Erlangen eine Straße umbenannt, die den Namen des Bürgermeisters und NSDAPOrtsgruppenleiters trug. Danach zogen Anwohner durch die Straßen und riefen „Juden raus“. Das war unüberhörbar und wurde auch polizeilich erfasst. Aber viele Anwohner, die es gehört haben mussten, sagten, sie hätten nichts gehört.

Wieso?

Man will nicht zum Denunzianten seines Nachbarn werden und ihn der Justiz ausliefern, egal was der getan hat. Das ist eine verbreitete Reaktion. Außerdem halten viele das Vorgehen bei der Umbenennung auch nicht für richtig – auch wenn sie solche drastischen Äußerungen selbst nie tun würden.

Zeigt das Spandauer Beispiel, wie alltäglich Antisemitismus schon wieder geworden ist?

Nicht „schon wieder“ – der latente Alltagsantisemitismus war immer da. Neu ist, dass sich das stärker manifestiert. Man bringt die unterschwelligen Ressentiments wieder öffentlich zum Ausdruck.

Einige Demonstranten riefen Zeugen zufolge immer wieder „Juden, Juden“. Ist das antisemitisch?

Ja, in diesem Zusammenhang zweifellos. So ein Ruf meint ja unausgesprochen: Da seht Ihr es wieder, das internationale Judentum hat die Finger überall drin, die sind gefährlich. Das ist eine Chiffre für „Juden raus“.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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