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Berlin: Der Architekt Ralf Schüle hält einen vollständigen Wiederaufbau des Stadtschlosses für unmöglich

Kurz nach dem Mauerfall kam der japanische Architekt Kenzo Tange, Erbauer ganzer Stadtteile, mit großen Erwartungen nach Berlin. Er sah vom Fernsehturm auf die Linden und das Brandenburger Tor herab und hatte die visionäre Idee, für die Gegend zwischen Alex und Pariser Platz eine neue, moderne City zu entwerfen und möglichst auch bauen zu lassen.

Kurz nach dem Mauerfall kam der japanische Architekt Kenzo Tange, Erbauer ganzer Stadtteile, mit großen Erwartungen nach Berlin. Er sah vom Fernsehturm auf die Linden und das Brandenburger Tor herab und hatte die visionäre Idee, für die Gegend zwischen Alex und Pariser Platz eine neue, moderne City zu entwerfen und möglichst auch bauen zu lassen. Als Ansprechpartner hatte er sich den Architekten Ralf Schüler ausgesucht, der mit seiner Frau Ursulina Schüler-Witte das futuristische ICC entworfen hatte.

"Das ICC muss ihn vermutlich beeindruckt haben", sagt Schüler. Aber als er sich mit der Vision des Japaners genau beschäftigte, wusste er, dass die Sache mindestens einen Haken hatte. "Da stand doch mal unser Schloss", gab Schüler zu bedenken, und ihm wurde klar, dass es samt Platz unwiederbringlich verloren gewesen wäre. Er schenkte dem Japaner einen Bildband vom alten Schloss, "das ging ihm wohl nahe", und seitdem hörte er von Kenzo Tange nichts mehr. Dafür wurde Schüler die Idee nicht mehr los, sich für den Wiederaufbau der Schloss-Fassade einsetzen zu müssen.

Dass die Schloss-Diskussion neu entfacht ist, dürfte nicht zuletzt auf den Architekten und seinen Modellbauer Gunter Dowe zurückzuführen sein. Ihr Schloss-Modell, im Auftrag der Skanska Bau Holding entwickelt, erregte kürzlich auf der internationalen Immobilienmesse Mipim in Cannes Aufsehen und gab den Schloss-Befürwortern in Berlin Auftrieb. Dazu gehören der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien und die Gesellschaft Historisches Berlin.

Wollte man das ganze 1950 gesprengte Schloss wieder aufbauen, sagt Architekt Schüler, wären rund sechs bis acht Milliarden Mark und etwa 25 Jahre Bauzeit erforderlich, was sich die Stadt finanziell nicht leisten könne und was auf der einst mittelalterlichen Ostseite auch gar nicht möglich sei. Wiederaufbau bedeute in diesem Fall: Herzustellen, "was für den Ort, für die Stadt städtebaulich und kunsthistorisch unverzichtbar notwendig erscheint".

Für Schüler geht es nicht um die Frage, ob Schlossfronten "schöner" als moderne Fassaden wirken. Das historische Gewand vertrage sich ganz einfach besser mit dem Umfeld, zu dem das Zeughaus, der Dom und vielleicht bald auch die wiedererrichtete "alte" Bauakademie gehörten. Das Schloss sei doch einst wie die Sonne gewesen, um die Satelliten kreisten. Schüler erinnert bei der Gelegenheit daran, dass auch das benachbarte Kronprinzenpalais ein Wiederaufbau ist.

Bei der "Fronten-Restitution" könnten allerdings auch die Räume in fünf Portalen wiederhergestellt werden und die neun Säle dann die künstlerische Prachtentfaltung bezeugen, die einst im Schloss anzutreffen war, ein pars pro toto sozusagen. Auch hier könne man so verfahren wie bei der Wiederherstellung des Charlottenburger Schlosses: Zunächst die Kubatur der Räume schaffen, ihre Ausdehnung ohne künstlerischen Schmuck, um in den Jahren danach Raum für Raum zu vollenden. Wo irgend möglich, sollte man die Räume hinter den Fenstern so groß wie einst entwerfen, "um den Fronten die historische Tiefe wiederzugeben".

Der Architekt ist sicher, dass die Historie der Fassaden und diverser Säle dahinter baulich zu erwecken ist: Es sei geradezu "unumgehbar, die Fassade zu wollen und zu bauen". Und ohnehin technisch kein Problem. Es gebe tausende von historischen Zeichnungen sowie hochwertige Fotografien, etwa im Standardwerk von Albert Geyer über die Geschichte des Schlosses. "Die Handwerker sind alle da", sagt Schüler, nennt Fachleute für Gips-, Intarsien- und Restaurationsarbeiten. Das alles sei kein Problem, zumal Denkmalpflege mit den Jahren immer stärkere Beachtung gefunden habe.

Hinter der alten Fassade - nur auf der Ostseite soll der künftige Neubau mit modernen, gläsernen Elementen versehen werden - sieht das im Auftrag der Skanska entwickelte Nutzungskonzept von Schüler und Schüler-Witte ein multifunktionales Gebäude vor. Der Architekt spricht auch von einem Bürgerzentrum. Dazu gehören Konferenzräume mit einem Veranstaltungsbereich, sechs Bibliotheksgeschosse über einer großen Halle, ein Gästehaus, Gastronomie, Verwaltung und Tiefgaragen. Rund 1,6 Milliarden Mark könnte alles kosten. Tiefgaragen hinter oder besser unter historischen Fassaden - für Schüler ist das kein Widerspruch. Modernes und Altes sollten sich ergänzen.

Berlin brauche die Schlossfronten, um das Vakuum von Schlossplatz und "Palast" zu überwinden. Die Expertenkommission, auf die sich Bund und Berlin seit geraumer Zeit einigen wollen und von der sie sich Rat für die weitere Planung versprechen, sieht Schüler skeptisch. Von allen ihm bekannten Fachleuten wirke keiner mit, und er vermutet, dass sich ein internationales Gremium erst in die Geschichte des Ortes einarbeiten müsste, um sensibel mit ihm umzugehen. Sensibler zumindest, als es vor gut zehn Jahren der Architekt Kenzo Tange war.

Christian van Lessen

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