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Warnschild vor dem Brandenburger Tor. Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin.

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Der Bindestrich der Freiheit: West-Berlin oder Westberlin?

West-Berlin oder Westberlin – das war in den Mauerjahren eine Frage von politischer Brisanz. Die Schreibweise wurde zum Symbol, ob man die Teilung der Stadt als endgültig oder vorläufig ansah.

Wer A sagt, muss auch B sagen, heißt es. Und wenn ein geografischer Ort einen Westen aufzuweisen hat, dann muss er auch einen Osten haben. Jedenfalls im Prinzip. Nicht so 1960 im Duden, herausgegeben vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig. Dort ist zwar „Westberlin“ verzeichnet, nicht aber sein Gegenstück „Ostberlin“, von „West-Berlin“ und „OstBerlin“ ganz zu schweigen. „Berlin“ allerdings findet man, ungeteilt nach Himmelsrichtung und samt der überraschenden Erläuterung „Hauptstadt Deutschlands“ – als habe es den Zerfall der deutschen Einheit und seiner Hauptstadt, Folge des Zweiten Weltkriegs, nie gegeben.

Ganz recht, es geht um den Bindestrich, jenes unscheinbare Zeichen, das im Schriftbild zugleich trennt und verbindet, ein typographisches Paradoxon, wenn man so will, das sich gerade in Berlin, oder doch in einer seiner Hälften, jahrzehntelanger besonderer Beliebtheit erfreute. In West-Berlin wohlgemerkt, nicht in Westberlin! Denn nicht immer hat man es sich hier in Berlin mit dem Strich so leicht gemacht, wie es der Duden, diesmal in der Mannheimer Ausgabe des Dudenverlags von 2006, vorführt. „West-Berlin“ und „Ost-Berlin“ gibt es auch dort nicht, nur die bindestrichlosen Varianten, samt dem dürren Hinweis auf Regel K 143: „Zusammensetzungen mit geografischen Namen schreibt man im Allgemeinen ohne Bindestrich. Man kann jedoch einen Bindestrich setzen bei unübersichtlichen Zusammensetzungen oder wenn man den Namen hervorheben will.“

So ist also der Strich offiziell zur emotionsfreien Lesehilfe herabgesunken, während früher an ihm mindestens die Freiheit Berlins, wenn nicht die Zukunft Deutschlands hing, jedenfalls im Kleinen. An der millimeterkurzen Linie trennten sich die Geister in West und Ost, er war gleichsam für viele das typografische Pendant zur Berliner Mauer, wenngleich sein Alltagsgebrauch die Stadthälften nicht so sauber trennte wie die Betongrenze, es immer wieder Vermischungen, unklaren Gebrauch gab – sprachliche Grenzüberschreitungen, wenn man so will.

"Demokrat. Berlin" und "Westberlin"

Aber offiziell war die Sache lange Zeit eindeutig, wie ein Ost-West-Kartenvergleich zeigt. So brachte der VEB Kartenverlag Berlin 1957 einen „Straßenübersichtsplan von Berlin“ heraus, auf dem die Stadt in das „Demokrat. Berlin“ (das meinte den Osten) und „Westberlin“ zerfiel, was definiert war als „Bereich des Besatzungsregimes der USA, Großbritanniens und Frankreichs“. Immerhin fand sich als letzte Spur vergangener Einheit die den Westen wie den Osten umfassende „Bezirksgrenze von Groß-Berlin“, aber als orthografisches Versprechen einer Wiedervereinigung wollte man das garantiert nicht verstanden wissen.

Dagegen gab der Senator für Bau- und Wohnungswesen 1985 eine Karte für die in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Stadthälfte heraus, betitelt „Berlin (West)“. Vom Bindestrich zwar keine Spur, aber dem provisorischen Status war auch durch die Klammern hinreichend Genüge getan.

Mit Strich oder ohne.

Ost- und West-Berlin trennte früher mehr als nur der Checkpoint Charlie, manchmal sogar die Schreibung des Namens.
Ost- und West-Berlin trennte früher mehr als nur der Checkpoint Charlie, manchmal sogar die Schreibung des Namens.

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Mit Strich oder ohne – das kam früher fast einem Dogma gleich, wobei es akribischer Forschungen bedürfte, um dessen genaue Entstehung zu rekonstruieren. Anfangs war der Strichverzicht auch im Westen nicht unüblich. „Die in West-Berlin auch offiziell gelegentlich geäußerte Auffassung, die Schreibung ohne Bindestrich sei eine Erfindung der DDR, erweist sich damit als falsch“, resümiert Manfred W. Hellmann in seinem Buch „Wörter und Wortgebrauch in Ost und West. Ein rechnergestütztes Korpus-Wörterbuch zu Zeitungstexten aus den beiden deutschen Staaten“ (Tübingen 1992). Sogar Tagesspiegel-Herausgeber Erik Reger schrieb in einem Leitartikel zum 17. Juni 1953 noch unbekümmert von „Westberlin“ und „Ostberlin“. Einige Jahre später war diese Unbefangenheit nicht mehr selbstverständlich. Eine Senatskommission empfahl 1960 für nicht amtliche Bezeichnungen zwecks größerer Klarheit für den West- wie den Ost-Teil der Stadt die Bindestrich-Schreibweise. Und fünf Jahre später erließ das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen für alle Behörden in der Bundesrepublik gültige Richtlinien, wonach es „Sowjetsektor von Berlin“ oder „Sowjetsektor“ sowie „Berlin (West)“ heißen solle, wenn es auch keine Bedenken gebe, „gegebenenfalls ausnahmsweise auch von ,West-Berlin’ zu sprechen“.

"Berlins erster Buchstabe ist ein großes B"

Aber keinesfalls von „Westberlin“, das im Westen bald als sprachliche Hinterlist des Ostens interpretiert wurde, zumal es nach dem Mauerbau am 13. August 1961 auf dessen Karten ohnehin nur noch ein weißer Fleck war und der Ostteil bald nur noch als „Berlin – Hauptstadt der DDR“ firmierte. Mit Bindestrich oder ohne – dem bekennenden West-Berliner signalisierte das, ob man die Aufteilung in Ost und West als endgültig oder befristet ansah. Ob die Westhälfte als besondere politische Einheit zu verstehen sei, deren Ansprüche auf Wiedervereinigung man mit Weglassen des Bindestrichs schroff zurückweisen müsse, oder als künstliche, nur vorübergehende Teilung. Oder wie Günter Matthes 1967 in seiner täglichen Tagesspiegel-Glosse „Am Rande bemerkt“ schrieb: „Schöneberg wie Pankow gehören zu Berlin, indes gibt es eine Philologie der politischen Teilung, welche die Tatsachen um der klaren Begriffe willen anerkennen muss. Um dennoch zu dokumentieren, dass Berlins erster Buchstabe ein großes B ist, schreiben wir die Hälften mit einem Bindestrich in des Wortes umfassender Bedeutung: West-Berlin und Ost-Berlin. Die sprachliche und ortskundliche Identität wird gerade durch das Auseinanderhalten hergestellt.“

Heute hat all das keine Bedeutung mehr. Westberlin oder West-Berlin – das wird vom Duden, nicht mehr von der Politik geregelt, und mag man sich aus Gründen der Tradition oder des Geschmacks nicht an die Vorgabe halten: auch gut. Beliebigkeit ist an die Stelle des alten Dogmas getreten, und wenn sich, wie Ende 2012 geschehen, ein neues Café im ehemals westlichen Teil der Friedrichstraße „westberlin“ nennt, in alter Ost-Berliner Manier, so ist das längst kein Gesprächsthema mehr, das länger als einen Latte macchiato reicht.

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