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Berlin: Der Blattfresser beim Kannibalenkönig

Georg Schweinfurth trifft den Herrscher der Monbutto – ein Auszug aus seinem Reisebericht

Voll Ungeduld stand ich vor meinem Zelt, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden; allein es war bereits Mittag, als mir von Mohammed endlich die Botschaft übermittelt wurde, jetzt wäre der König zu sprechen, ich möchte hinüberkommen.

Schnell warf ich mich nun in ein feierliches Schwarz, indem ich nach dem längst vergessenen Tuchrock langte und mir die schwerbeschlagenen hohen Schnürstiefel eines Alpentouristen anlegte, welche meiner leichten Figur durch die vermehrte Wucht der Tritte einen imponierenden Charakter verleihen sollten.

Von unserem Lagerplatz gelangte man in einer halben Stunde zu dem Residenzdorf des Königs. Wir wandten unsere Schritte der zweitgrößten der königlichen Palasthallen zu, welche, einem Schuppen gleich, an beiden Giebeln offen erschien. Hier harrte einer der königlichen Beamten meiner; er ergriff meine rechte Hand und geleitete mich ins Innere, mitten durch die Reihen der Trabanten und Vornehmen des Volkes hindurch. Endlich schien es ernst mit dem Kommen des Königs zu werden. Ein Hin- und Herrennen entstand von Ausrufern, Platzmachern und Festordnern, die Volkshaufen drängten nach dem Eingang – jetzt, still! –, da kommt der König. Voran schreiten Musikanten, welche auf kolossalen, aus ganzen Elfenbeinzähnen geschnitzten Hörnern blasen, und andere, die in ihren Händen plumpe, aus Eisenblech roh gehämmerte Glocken schwingen. Den Blick gleichgültig vor sich hin gerichtet, naht endlich derben Schritts der rotbraun gesalbte Cäsar, gefolgt von einer Schar seiner Lieblingsweiber, in Putz und Haltung wild, romantisch, malerisch. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wirft er sich auf die niedere Thronbank und betrachtet seine Füße.

Meine Augen hafteten an der phantastischen Figur des Kannibalenherrschers, nicht satt sehen konnten sie sich an diesem seltsamen, wilden Gesellen, von welchem gesagt wurde, dass er täglich Menschenfleisch esse. Mit Ringen und Ketten und vielem fremdartig geformten Schmuck an Armen und Beinen, an Hals und Brust, auf dem Scheitel eine Art Halbmond, alles aufs Glänzendste geputzt, erstrahlte der Herrscher in seiner schweren Kupferpracht wie im roten Schimmer einer sonntäglichen Küche. Eine geraume Zeit war verstrichen, bis zwanglose Blicke vom König zu mir herüberstrahlten, zu dem nie gesehenen Blassgesicht mit dem schulterlangen Haar, dem Mann in der knappen, schwarzen Hülle. Nach und nach begann er einige Fragen an mich zu richten, welche sein erster Dolmetscher einem meiner Niamniam übermittelte, welcher mir die Worte arabisch wiedergab. Dann trugen meine Diener die Geschenke herbei. Dieselben bestanden aus einem Stück schwarzen Tuchs, einem Fernrohr, einem silbernen Teller, einem Buch in Goldschnitt, einem Doppelspiegel, der vergrößerte und verkleinerte, schließlich, und das war die Hauptsache, aus einem großen Sortiment venetianischer Glasperlen. Munsa betrachtete alles mit großer Aufmerksamkeit, ohne indes viel dabei zu sagen.

Endlich nahmen die Vorstellungen zu unserer Unterhaltung ihren Anfang. Da produzierten sich ein paar Holzbläser, welche Solostücke vortrugen. Virtuosen in ihrer Art, taten sie solche Kraft, Umfang und Lenkbarkeit ihrer Stimmmittel kund, dass sie bald durchdringend heftige Brülltöne gleich dem Brüllen des hungernden Löwen oder dem Trompetengeschmetter eines gereizten Elefanten hervorzubringen vermochten, bald wieder mit den zartesten Flötenstimmen dieselben abwechseln ließen.

Der Hunger zwang mich zuletzt zum Aufbruch. Bevor ich die Halle verließ, sprach Munsa: „Ich weiß nicht, was ich dir für deine vielen Gaben bieten soll; ich bin recht betrübt, dass ich nichts hab und so arm bin.“ Entzückt von solcher Bescheidenheit und in der Erwartung umso größerer Geschenke erwiderte ich: „Was es auch sei, ich bin deshalb nicht gekommen. Nur um zwei Dinge bitte ich: ein Schwein und einen Schimpansen.“ „Daran soll es nicht fehlen“, sprach Munsa. Und ermüdet von dem vielen Lärm verbrachte ich den Rest dieses denkwürdigen Tages in meinem Zelt.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Edition Erdmann im K.Thienemanns Verlag. Die (gekürzte) Passage stammt aus dem Buch „Im Herzen von Afrika“, erschienen 1984 in der Edition Erdmann, Stuttgart. – Ausschnitte aus Schweinfurths Reisebericht sind heute in der Sendung „Leseprobe“ des Kulturradios vom rbb zu hören (10.45 Uhr).

Georg Schweinfurth

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