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Berlin: Der dritte Aufschlag - die Große Koalition wurde erst eine Ausnahme genannt, jetzt ist sie die Regel

So vieles verändert sich in Berlin, aber von manchen Ritualen mag man hier nicht lassen. Zur politischen Folklore gehören unbedingt die Landesparteitage der SPD nach verlorenen Wahlen.

So vieles verändert sich in Berlin, aber von manchen Ritualen mag man hier nicht lassen. Zur politischen Folklore gehören unbedingt die Landesparteitage der SPD nach verlorenen Wahlen. Heute ist es wieder so weit. Gestritten wird über die Frage, was besser sei für die SPD: regieren oder opponieren? Zum dritten Mal nach 1990 und 1995 müssen die Delegierten entscheiden, ob Verhandlungen mit der CDU über eine Koalition aufgenommen werden. Aber etwas ist doch anders: Die Argumente der Regierungsgegner scheinen diesmal stärker zu wiegen. Je länger die SPD im Senat verweilte, desto tiefer sank sie. Wäre es da nicht besser, die Partei würde sich endlich freischwimmen von der CDU und damit von der Last des Regierens? Und wäre das nicht auch besser für Berlin?

Senat und Parlament sind den Herausforderungen immer weniger gewachsen. Der alte Ton passt nicht zur neuen Melodie. Im Rathaus ist man irritiert über eine scheinbar widersinnige Entwicklung: Die Stadt gewinnt an Bedeutung, die Landespolitik verliert sie. Doch anstatt sich darauf einzustellen und sich als Gestalter des Rückzugs zu bewähren, versucht man, das Unvermeidliche hinauszuzögern. So war noch vor kurzem die Fusion mit Brandenburg ein erklärtes Ziel. Heute ist davon nicht mehr die Rede. Man will wohl doch lieber Berlin als Land regieren, nicht als Stadt, und am allerliebsten genau so wie all die Jahre zuvor. Es fehlt an Weitsicht und Mut. Das ist der Rahmen für Verhandlungen über die Koalition, geführt von jenen, die hier seit Jahr und Tag regieren. Eine neue Idee hat niemand. Wirkliche Veränderung ist nicht zu erwarten. Wäre da ein Ende mit Schrecken nicht wirklich besser für Berlin? Und auch besser für die SPD?

Was die Sozialdemokraten betrifft, geht diese Rechnung nicht auf. Zum einen sind gerade unter den Gegnern der Koalition viele, die den einzigen wirklichen Erfolg der SPD - die in die Zukunft weisende Finanzpolitik - erst verhindern wollten und dann kleingeredet haben. Zum anderen würde die "Erneuerung" der Partei in der Regierung leichter sein als in der Opposition. Für Senatorenämter ließen sich interessante Namen finden: außerhalb Berlins, vielleicht auch außerhalb der SPD; für den Posten des Kreisvorsitzenden einer Oppositionspartei eher nicht. Ideologische Parteien können aus der Verweigerung Kraft schöpfen, die SPD nicht. Sie wird an der Praxis gemessen. Nicht das Regieren macht ihr das Leben schwer. Die SPD fällt sich selbst zur Last. Wie will sie in der Opposition zwischen Grünen und PDS bestehen, wenn sie sich nicht im Senat gegen die CDU behaupten kann?

Seit mehr als neun Jahren regieren CDU und SPD in Berlin, offiziell gemeinsam, oft aber gegeneinander. Die Große Koalition wurde erst eine Ausnahme genannt, jetzt ist sie die Regel. Sie braucht neuen Schwung. Ob der ausgerechnet von jenen käme, die seit Jahren dabei sind, ist fraglich. Für manche wäre es die letzte Runde vor dem Rückzug aus der ersten Reihe der Politik. Darin liegt eine Chance: befreit vom Zwang, auf die nächste Wahl zu schielen, könnte auch Unpopuläres, Notwendiges getan werden. Doch bisher deutet nichts darauf hin, dass es so kommen wird. Wenn CDU und SPD verhandeln, muss deshalb mehr dabei herauskommen als die Erklärung, dass Bildung wichtig ist, dass Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung Probleme sind, dass Finanzpolitik sein muss und dass die bewährten Kräfte dies nun alles in Angriff nehmen. Wenn die neue Regierung nicht den Eindruck zu erwecken vermag, sie sei mehr als nur eine Wiederholung der alten, dann ist sie bereits an ihrer ersten Aufgabe gescheitert.

Die Koalition mag wieder von CDU und SPD gebildet werden. Aber sie muss eine andere sein. Der Senat braucht neue Köpfe und neue Ideen. Mit der alten Koalition ist Berlin nicht geholfen. Der SPD aber auch nicht.

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