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Tatort Wohnung. „Die meisten Leute sterben im Bad“, sagt Tatortreiniger Christian Heistermann über seine Einsätze bei Selbstmordkandidaten. Er und sein Team rücken an, wenn die Spuren von Gewalttaten beseitigt werden sollen.

© Georg Moritz

Der echte Tatortreiniger: Anrücken zum Aufwischen

Er ist das Vorbild für den „Schotty“ in der Comedyserie „Der Tatortreiniger“. Christian Heistermann kommt zum Putzen, wenn die Toten weggeschafft sind. In seinem Job ist ihm das Fröhlichsein längst vergangen.

Sich mit Christian Heistermann zu verabreden, ist ziemlich einfach. Nur ein paar Stunden sind seit dem ersten Telefonat vergangen, da ist er schon ganz in der Nähe mit einem seiner Reinigungstrupps. Seine Mitarbeiter sind überall in der Stadt im Einsatz, 24 Stunden am Tag. Die Toten kennen keine Sperrstunde. Und so ist es durchaus möglich, dass sein Team auch schrubbt und scheuert, während am heutigen Sonntagabend ab 20.15 Uhr die Luzerner Ermittler Reto Flückiger und Liz Ritschard den ersten Fall der neuen „Tatort“-Saison aufzuklären versuchen.

Heistermann klärt nicht auf, er räumt auf. Genauso gründlich. Gebäudereinigung, eigentlich ein Gewerbe wie jedes andere. Heistermann aber putzt da, wo andere gestorben sind. Als er damit anfing, 2007, gab es so etwas nur in den USA, sagt er. Durch geschickte Vermarktung, Auftritte im Privatfernsehen, hat er es geschafft, dass ihn in der Branche mittlerweile praktisch alle kennen – und darüber hinaus auch ganz schön viele. Der Schauspieler Bjarne Mädel hat sich für seine Hauptrolle in der NDR-Comedy „Der Tatortreiniger“ Heistermann als Vorbild genommen – und mit der Serie schon zum zweiten Mal den renommierten Grimme-Preis gewonnen.

Der echte Tatortreiniger wirkt ebenso gelassen, wie der "Schotty" aus der Serie

Christian Heistermann, 44, borstige Haare, wirkt erst mal ähnlich gelassen wie „Schotty“ aus der Serie. Eben sitzt er auf einer Bank am Arkonaplatz und trinkt Kaffee aus einem Pappbecher, in den er vorher häufchenweise Zucker gelöffelt hat. Heistermann sagt: „Wenn alle fertig sind, kommen wir.“ Wenn er mit seiner Kolonne anrückt, in Schutzanzug, Handschuhen und Maske, dann ist die Leiche in der Regel schon weg. Gut so, sagt Heistermann. „Ich will das nicht sehen, und meine Gesellen auch nicht.“ Manche Leichen werden in der Anonymität der Großstadt erst nach Monaten entdeckt. Erst verflüssigt der Körper sich, dann verdunstet er, das ist die physikalische Abfolge. „Ich habe eine Menge Respekt vor der Polizei und der Feuerwehr“, sagt Heistermann, „die haben es noch mal um einiges schwerer.“

Er versucht, seine Arbeit als Tatortreiniger wie jeden anderen Job auch zu nehmen

Er ist ein mächtiger Mann, breite Schultern, riesige Pranken, aber seine Mimik passt nicht zu einem Riesen, die Augen flackern, der Blick unstet. Heistermann sagt: „Ich bin ein sehr einfühlsamer Mensch.“ Und vielleicht ist das schon ein Teil seines Problems. Er versucht den Job zu nehmen wie jeden anderen, wie das Reinigen des Treppenaufgangs im Mietshaus oder des Foyers im Adlon, aber das klappt nicht. Er will nicht zu viele Informationen über die Umstände haben, über den Tod, aber die kommen zwangsläufig. Nicht nur wenn die Medien groß berichten, wie beim Mord im Takko-Geschäft in Eberswalde Ende Februar, von dem Heistermann jetzt erzählt. Sieben Messerstiche, in der Kinderabteilung. „Da fällt einem nichts mehr ein. Am schlimmsten waren die Kindersachen, wie die aussahen.“ Heistermann kauert jetzt regelrecht auf der Bank, starrt geradeaus. Auf der Wiese spielt ein Vater mit seinem kleinen Sohn Fußball. „Gerade mit solchen Schandtaten“, sagt er, „verbinde ich negative Energie.“

Schwarze Kleidung ist zu seinem ständigen Begleiter geworden

Die Arbeit von Heistermann wurde zur comedytauglichen Vorlage: Schauspieler Bjarne Mädel (links) orientierte sich für seine Rolle als „Schotty“ in der NDR-Serie „Der Tatortreiniger“, deren zweite Staffel derzeit läuft, an ihm.

© picture alliance / dpa

Christian Heistermann ist evangelisch getauft, aber er hat auch ein großes Interesse an anderen Religionen, und auch an ein paar Pseudo-Religionen. Er hat sich viele Gedanken gemacht. Es wird jetzt ein bisschen mysteriös, er redet von Alchemie, von Freimaurern, von „den fünf Elementen, das fünfte ist die Liebe“. Er sagt: „Ich bin kein hängen gebliebener Achtundsechziger, der sich vollpumpt mit LSD, aber ich glaube, dass es einen Blickwinkel gibt, den wir nicht sehen können.“ Er will sich seinem Job nicht mehr so aussetzen wie früher. Deshalb sitzt er ja jetzt auch hier, im fahlen Licht des frühen Abends, während seine Jungs keine 200 Meter weiter ihre Arbeit tun – ein Selbstmord im Badezimmer, mal wieder. „Die meisten Leute sterben im Bad“, sagt Heistermann. Als wollten sie ihm die Arbeit wenigstens etwas erleichtern.

Der Job als Tatortreiniger nimmt mit

Christian Heistermann hat einen langen Weg hinter sich, arbeitete früher zu viel, wollte alles selber machen, wachte mitten in der Nacht auf und telefonierte seinen Putzteams hinterher. Nabelte sich von den letzten Freunden ab, war zu Sozialkontakten nicht mehr fähig. Eines Tages saß er vor dem Rechner und sah bei Wikipedia unter „Burnout“ nach. „Ich konnte die Liste der Symptome durchgehen, ich habe alle erfüllt.“ Da ließ er sich in eine Klinik einweisen. „Der Job hat mich mitgenommen, klar“, sagt er. „Bei der Therapie spreche ich nur über die Arbeit, die Person Christian Heistermann ist nicht präsent.“ Er arbeitet jetzt wieder, aber er sei noch nicht vollständig aus der Nummer raus, sagt er.

Wer mit dem Tod fast täglich in Berührung kommt, versucht ihn wegzuschieben. Der Ganzkörperanzug wird nach jedem Einsatz verbrannt. „Das macht man auch für die Pyche, eine zweite Pelle, die man abstreifen kann.“ Und trotzdem: Dreimal die Woche, in der Sauna, schrubbt er sich gründlich die ganze Haut. Er gibt sich viel Mühe, aber es bleibt immer was hängen.

Die Leute wollen sich möglichst wenig Gedanken über den Tod machen

Eine „sterilisierte Gesellschaft“ erlebt er bei seiner Arbeit. Die Leute wollten sich möglichst wenig Gedanken über den Tod machen, er passt nicht zu Jugendlichkeit und zu exzessiver Fitness bis ins hohe Alter. Er selbst hat gute und schlechtere Tage, normal. Heistermann sagt: „Ab und an habe ich Angst vor dem Tod.“

Schwarze Kleidung ist zu seinem ständigen Begleiter geworden. Schwarzer Pulli, schwarze Hose, selbst die Turnschuhe und die Umhängetasche pechschwarz. „Schwarz ist meine Farbe“, sagt der Tatortreiniger und schweigt kurz. „Früher habe ich auch viel Buntes getragen, jetzt trage ich nur noch Schwarz.“

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