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Berlin: Der "Ehrverletzer" musste im Abwasserkanal sterben - acht Jahre Haft für die zwei gehörlosen Angeklagten

Das Motiv für die Bluttat klingt banal. Und hätte es ein Hörender vorgebracht, hätte es das Gericht nicht geglaubt.

Das Motiv für die Bluttat klingt banal. Und hätte es ein Hörender vorgebracht, hätte es das Gericht nicht geglaubt. Doch nach den Worten der Richterin leben die Angeklagten in einer ganz anderen Welt, "in einer Welt der Stille". "Und deshalb müssen wir akzeptieren, dass dies für die beiden Grund genug war, Fahd zu töten", sagte die Vorsitzende im Moabiter Kriminalgericht. Am Montag wurden die 21 Jahre und 24 Jahre alten Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.

Tayfun und Fahd waren Freunde. Sie lernten sich vor 19 Jahren auf der Gehörlosenschule kennen. Oguz stieß 1995 zum Freundespaar dazu. Doch am 26. Oktober vergangenen Jahres führten die beiden Angeklagten ihren Freund Fahd in den Regenwasserkanal "Schwarzer Graben" in der Nähe des Tegeler Flughafensees. Ohne Vorwarnung soll laut Anklage hier der 24-jährige Tayfun auf den Rücken von Fahd eingestochen haben. Als ein Kanalarbeiter den Libanesen am nächsten Tag fand, war die Leiche mit 36 Stichen übersät.

Oguz und Tayfun führen vor Gericht aus, sie hätten Fahd getötet, weil er hinter ihrem Rücken schlecht über sie sprach und "sie dadurch in ihrer Ehre verletzt habe". Die Richter wollen es zunächst nicht glauben, doch Oguz und Tayfun bleiben dabei. Und auch der Gutachter hält dieses Motiv für durchaus möglich und begründet das mit der Behinderung der Angeklagten. Hans-Ludwig Kröber vergleicht diese "Sondergemeinschaft" mit einem Dorf. "Mit ringsum flachem Land und lange gar nichts." Weil die Gehörlosen stark aufeinander angewiesen seien, werde bei ihnen auf die Goldwaage gelegt, was der andere sagt.

Aber deshalb gleich mit einem Messer auf den Freund losgehen? "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt der Leiter der Gehörlosenschule als Sachverständiger vor Gericht. Normalerweise herrsche unter der Gruppe eine starke soziale Kontrolle. Noch vor Jahren sei es kaum vorstellbar gewesen, dass sich einer seiner Schüler strafbar mache. Tayfun und Fahd waren da offenbar anders: Im Winter 1993 hatten die beiden versucht, zwei Banken und eine Apotheke zu überfallen. Und auch Oguz stand bereits wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Urkundenfälschung vor Gericht.

Als Fahd im Regenkanal starb, war Oguz K. schon über 20 Jahre alt. Dennoch wurde er nach Jugendstrafrecht verurteilt. "Weil bei ihm eine erhebliche Reifeverzögerung nicht auszuschließen ist", sagte die Richterin und folgte damit den Ausführungen des Sachverständigen. Auch Tayfun wurde von dem Gutachter als vermindert schuldfähig eingestuft. Nach dessen Angaben lassen sich die Defizite Gehörloser gegenüber Hörenden nie ganz ausgleichen. Bereits 14- bis 15-Jährige hinkten in der sprachlichen Entwicklung mindestens sechs Jahre hinterher. Diese fehlende sprachliche Entwicklung habe erheblichen Einfluss auf die übrige Entwicklung der Gehörlosen.

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