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Berlin: Der fremde Nachbar

Viele tausend Berliner erkunden den neuen Hauptbahnhof erst jetzt. Zufrieden mit dem Glaspalast? Nur fast. Die Bahn bessert schon nach

Mieterin Monika Raasch aus der Lehrter Straße macht am Dienstagabend bei einer Bürgerversammlung ihrem Ärger über den neuen Hauptbahnhof Luft: „Die Ansagen sind so laut, die können wir schon pfeifen.“ Vor allem aber, schimpft sie, „steigen jetzt die Mieten in der Umgebung, und viele Bewohner überlegen schon wegzuziehen.“ Der neue Bahnhofsnachbar ist noch fremd, er selbst mit sich nicht ganz im Reinen. Die Bahn plant Nachbesserungen, und das Land Berlin wird den wegen seiner Tristesse gescholtenen südlichen Vorplatz vom nächsten Frühjahr an mit Bänken, einer Freitreppe und etwas Grün verschönern. Der neue Hauptbahnhof aber ist noch immer unangefochtener Anziehungspunkt, zieht tägliche Tausende an, die nur kommen, um den Neubau zu entdecken.

Manfred Marowski steht mit seiner Frau Marina auf höherer Ebene, schaut durch die große Glasfront aufs Regierungsviertel und ist fasziniert. Vom Ausblick, vor allem von den ersten Eindrücken. Die Marowskis haben bald sieben Wochen nach der Eröffnung einen Ausflug gewagt, den sie nicht bereuen. Sie sind durch Neuland gelaufen, das sie an ein Einkaufzentrum, vielleicht auch an einen Flughafen erinnert. „Darauf bin ich als Berliner richtig stolz“, sagt Marowski. Seine Frau macht Fotos in alle Richtungen, als sei das Paar auf Urlaubsreise.

Rund 700 000 Menschen kommen an Spitzentagen durch den Bahnhof, sagt Bahnsprecher Michael Baufeld. „Und wir haben den Eindruck, dass alle zufrieden sind.“ Viele kommen nur zum Einkaufen oder zum Schauen, wie die Marowskis aus Schmargendorf. „Endlich ein Knotenbahnhof“, sagt Marowski. Nur zwei Nachteile trüben seine Stimmung: Er vermisst ausreichend Busanschlüsse, und den Vorplatz Richtung Süden findet er zu trist.

Innen ist das Bauwerk belebt, auf fast allen Ebenen. Neue Hinweistafeln helfen, sich zu orientieren. Es gibt auch freundliches Auskunftspersonal. Überall wird ständig geputzt: die Böden, die gläsernen Geländer.

Die Fehler werden schon nicht mehr so heiß diskutiert wie zur Eröffnung. Aber sie sind noch da. Bahnsprecherin Gabriele Schlott kündigt an, dass unter anderem mehr Sitzmöglichkeiten geschaffen werden, eine zweite Anzeigentafel im südlichen Teil des Bahnhofs installiert und das „Wegeleitsystem optimiert wird“. Auch einen zweiten „Service-Point“ werde es geben, mehr Toiletten und verständlichere Durchsagen. Besucher wundern sich, dass, abgesehen vom WC-Center im Erdgeschoss, Sanitärräume nur von 9 bis 19 Uhr geöffnet sind. Kritisiert wird auch, dass es vom Parkhaus aus keinen Ausstieg zu ebener Erde außerhalb des Bahnhofs gibt. Schließlich soll das Parkhaus nicht nur Benutzern des Hauptbahnhofes zur Verfügung stehen, sondern die Stellplatzsituation der Umgebung entspannen. Die ersten 15 Minuten Parken sind frei, dann kostet die erste Stunde zwei Euro. Die drei Ebenen sind auffallend leer.

Es gibt auch innerhalb des Bahnhofs stille Ecken. Etwa die zwei leeren „Bügelbauten“, von denen zumindest einer vermutlich von der Bahn bezogen wird. Recht ruhig ist es auch noch im Untergeschoss, wo die Autovermietungen sitzen. „Da kommt noch mehr Leben hin“, sagt Bahnsprecher Michael Baufeld, denn dort soll künftig auch der Übergang zur U-Bahn sein. Ungewohnt sind die Hinweise zu den Ausgängen. Mit den Namen Ella-Trebe-Straße, Europaplatz oder Washingtonplatz können auch Berliner wenig anfangen. Die Achitekturzeitschrift Bauwelt skizziert die Umgebung des Bahnhofs so: Im Süden das „neue Berlin“ mit Regierungsviertel, im Norden „eine Wüstenei aus alten und neuen Verkehrsflächen und -brachen, schäbigen Altbauten und Sozialem Wohnungsbau“.

Der Washingtonplatz, Bahnhofsvorplatz im Süden, ist ein Provisorium. „Das passt nicht zum Fluidum“, sagen Detlef Schultze und Christa Biewald aus Zehlendorf. Im Bahnhof denken sie noch, „in einer anderen Metropole“ zu sein – aber davor? Der Platz wird zwar für 5,4 Millionen Euro schöner, aber letztlich nur auf seiner östlichen Seite, gegenüber ist noch ein Bürohaus mit Tiefgarage geplant. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) will die Perspektiven für die Bahnhofsumgebung weiter öffentlich diskutieren, verspricht sie Anwohnern an der Lehrter Straße am Dienstagabend. Der Bahnhof setze ein positives Zeichen. Manche dort sehen das anders.

Christian van Lessen

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