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Berlin: Der Kino-Patriarch

Pioniergeist mit Pfiff: Als Reklame für sein erstes Lichtspielhaus 1932 verstreute Walter Jonigkeit noch alte Kinokarten in der S-Bahn Am Dienstag feiert der älteste Kinobetreiber der Stadt, Chef des Delphi und des Cinema Paris, seinen 100. Geburtstag

Walter Jonigkeit ist keiner von den Leuten, die Angst vorm nächsten Geburtstag haben. „Ich freu’ mich drauf“, sagt er. Und mit verschmitztem Blick zu seiner Frau Renate: „Es soll ja dolle Überraschungen geben.“ Am Dienstag wird der älteste aktive Kinobetreiber der Stadt 100 Jahre alt. Schlank ist er und hochgewachsen, sehr verbindlich und auf eine Weise zart, die nur alten Menschen eigen ist.

„Ich verdiene mir mein Geld immer noch gern selbst“, kommentiert er schmunzelnd das Erstaunen darüber, dass er als 100-Jähriger noch täglich von halb neun bis vier im Büro über dem Delphi-Kinosaal sitzt. Schließlich sei er Geschäftsführer des Delphi und des Cinema Paris in Berlin und von acht Kinos in München. Die Filmdisposition machen die „jungen Leute, die wir hier reingeholt haben“, also Georg Kloster und Claus Boje. Und für die Verwaltung ist Renate Jonigkeit zuständig. Eine sportliche Blonde, fast 35 Jahre jünger als ihr Mann. Sie leben und arbeiten seit 40 Jahren zusammen und haben sich, natürlich, im Kino kennengelernt – in der Kurbel in Charlottenburg, die Walter Jonigkeit 1937 übernahm. „Ich hab’ immer Freude an der Arbeit gehabt“, erklärt er sein Erfolgsrezept. „Und der Erfolg, das war der Lohn.“

In der Tat hat Walter Jonigkeit mit seinen Häusern in Berlin Kinogeschichte geschrieben. Wieso er mit 18-Jähriger ausgerechnet darauf kam, Filmkaufmann zu werden? „Zufall! Mein Vater kannte den Prokuristen von der Trianon Film.“ Nein, ein verträumter Kinoschwärmer ist er nicht, der Herr Jonigkeit. Eher ein umtriebiger Geschäftsmann mit Mut zu pfiffigen Ideen. Sein erstes eigenes Kino eröffnete er mit 27 Jahren. 1932, Unter den Linden, gegenüber dem heutigen Café Einstein. In der Kamera, dem ersten Repertoirefilmtheater Berlins, spielte er Wiederaufnahmen, Stummfilme und Filme in Originalfassung. Er ließ Programmhefte drucken und brachte Schauspieler wie Emil Jannings, Marianne Hoppe, Heinz Rühmann oder Heinrich George im darüber liegenden „Klub der Kamerafreunde“ mit ihrem Publikum zusammen. Reklame machte er mit einfachen, aber pfiffigen Mitteln. Abends habe er immer die abgerissenen Kinokarten aufgesammelt und sie in der S-Bahn auf die Sitze gelegt. „Die Kamera – das Haus des guten Films“ habe daraufgestanden, und die Leute seien gekommen.

Was seine liebste Zeit war? „Die nach dem Krieg. Da gab’s viele Chancen, und ich konnte mich richtig entfalten.“ In der Kurbel in der Giesebrechtstraße, wo „Vom Winde verweht“ unglaubliche zwei Jahre und vier Monate am Stück läuft. Und dann im 1949 eröffneten Delphi Filmpalast am Zoo, den Jonigkeit aus der ausgebombten Ruine eines beliebten Tanzpalastes wiederauferstehen ließ. Ein seinerzeit einzigartiges Luxuslichtspielhaus mit 1000 Plätzen. Hier fielen auch die PR-Ideen monumentaler aus. Zur Premiere des Hollywoodschinkens „Cleopatra“ Anfang der Sechziger mietete Walter Jonigkeit Studenten und steckte sie in Lederwämse. „Die standen abends mit brennenden Fackeln vorm Delphi Spalier.“ Ein Baum fing Feuer, und die Feuerwehr musste anrücken. Eine dolle Reklame sei das gewesen. „Und die Stars, die waren was Wunderbares.“ Hans Albers hat er gut gekannt. Und halb Hollywood kam in die Kantstraße. James Stewart, Gary Cooper, William Holden, Danny Kaye oder Ava Gardner – eine „sehr nette Frau“. Nur etwas eilig hätten die es immer gehabt.

Trotzdem klebt Walter Jonigkeit kein bisschen an der Vergangenheit. Ob er den Glanz der Fünfziger nicht vermisse? „Nö, das war so aufwendig. Da brauchte ich viel zu viel Leute.“ Wie viele denn? „Vorführer, Kasse, Garderobe, Kontrolleure, Pagen, eine Tonsteuerin und sieben Platzanweiserinnen.“ Natürlich in fescher Uniform. „Mein Mann hatte immer nur Frauen um sich. Alles Mannequins“, sagt Renate Jonigkeit mit vielsagendem Blick. „Der reine Zufall“, protestiert der amüsiert. Und betont noch mal, dass die Arbeit nie Hobby gewesen sei. „Das war 70 Jahre lang Hockey bei den Zehlendorfer Wespen.“ Mit 80 hat er’s erst aufgegeben.

Jetzt sitzt Jonigkeit gerne mal im Café. „Da kann man schön glucken und Leute sehen.“ Zum Geburtstag hat er sich deswegen Kaffee und Kuchen ins Kinofoyer bestellt. Den Film „Der Leopard“, der abends als Geschenk ans Publikum laufe, habe Partner Kloster ausgesucht, sagt Frau Jonigkeit. „Weil Walter auch so ein Patriarch ist.“ Ob das stimme? „Ja“, nickt er bestimmt und lächelt charmant.

Viscontis Epos „Der Leopard“ läuft am Dienstag um 19.30 Uhr im Delphi. Die Karten gibt es ab 18 Uhr gratis an der Kasse.

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