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Berlin: Der letzte MoMA-Gast kam aus Kyoto

Das Ende der Schlange – die Ausstellung fand mit einem Feuerwerk ihren spektakulären Abschluss

Eigentlich ist es nur ein Schild, mannshoch, mit einem Schwarzweißfoto und einem Abschiedsgruß darauf: „Auf Wiedersehen MoMA!“ Andererseits ist dieses Schild mehr als nur ein auf Fotopappe aufgezogenes Plakat. Es ist eine Barriere, aufgestellt am Sonntagmittag um 13.22 Uhr. Es scheidet jene, die die MoMA-Ausstellung am letzten Tag doch noch als allerletzte von rund 1,2 Millionen Besuchern in Berlin sehen können, von denen, die draußen bleiben müssen. Mit dem Schild haben die Veranstalter das definitive Ende der Warteschlange markiert. Es sagt: Sieben Monate MoMA in der Neuen Nationalgalerie enden genau hier. Wenn Sie das Plakat vor sich sehen, haben Sie Pech. Es heißt, dass man nicht dabei war bei einer Kunstausstellung, die längst mehr war als nur das. Sie war ein Event.

So etwas beendet man nicht einfach, indem man die Türen schließt. Eine Abschiedsfeier muss schon sein, Applaus auch, ein Kunstfest mit einigen Tausend Feiernden am späten Abend auf der Steinterrasse neben der Neuen Nationalgalerie. Leise spielt eine Musikband unter einem weißen Zeltdach, nebenan verkauft ein junger Mann seine letzten Bretzel. Viele, die aus der MoMA kommen, haben sich noch ein Bier einschenken lassen und warten. Gegen halb elf Uhr schießt dann endlich das Feuerwerk in den Nachthimmel. In pink, der MoMA-Farbe.

Seit einer halben Stunde ist da schon Schluss, defintiv, ohne Ausnahme. Der letzte Besucher war um 21 Uhr hineingegangen. Insofern hatte Jumpei Yamamoto, 20 Jahre alt, viele Stunden zuvor noch einmal großes Glück, als um 13.22 Uhr das große, mannshohe Schild neben ihm aufgestellt wurde – oder besser: hinter ihm. Yamamoto war der Letzte in der Schlange. Der letzte Besucher, der eine gültige Karte für die Ausstellung bekam. Dabei wollte er sich eigentlich nur den Mies-van-der-Rohe-Bau anschauen: „Den musste ich unbedingt mal gesehen haben.“ Ende des Monats beginnt er sein Architektur-Studium. Jumpei Yamamoto war vor wenigen Tagen aus der japanischen Millionenstadt Kyoto in die Stadt gekommen. Von der Ausstellung hat er erst erfahren, als er vor der Nationalgalerie stand und sich über die vielen Menschen wunderte. Aber dann wollte er auch rein.

Vielleicht ist es gut, dass er noch nicht so gut Deutsch versteht und von einigen Aufgeregtheiten um den letzten Einlass wenig mitbekommen hat. Nicht jeder findet sich damit ab, dass er nicht gesehen hat, wovon ständig gesprochen und in den Medien berichtet wird. Eine Frau zum Beispiel, sie ist mit ihrer elfjährigen Tochter da, ist außer sich. „Sie lassen niemand mehr ein? Am Mittag? Schämen Sie sich denn überhaupt nicht?“, sagt sie zu einer der Aufpasserinnen. Sie sei alleinerziehende Mutter, berufstätig. „Sind Sie aus Berlin?“, fragt die Aufpasserin zurück. „Ja.“ – „Es tut mir Leid, aber Sie hatten sieben Monate Zeit. Warum sind sie denn nicht eher gekommen?“ Die Frau dreht sich wutschnaubend um und geht.

Warum nicht eher? Auch vor dem Kartenschalter fällt auf: Viele, die dort stehen – in der Hoffnung, jemand möge doch noch seine Karte verkaufen – sind Berliner. Warum also nicht eher? Die häufigste Antwort: keine Zeit gehabt.

Bei Heike Meltonjan, 49, liegt der Fall etwas anders. Die Ärztin kommt gerade noch rein. Sie hatte die Karten für sich und ihre Tochter vor drei Monaten gekauft. „Wir haben schon fünfmal vergeblich angestanden. Immer haben sie die Schlange geschlossen, bevor wir es nach drinnen geschafft hatten.“ Ein bisschen ärgert sie sich, dass sie „wieder nur durchhuschen“ wird. „Wie in New York.“ Den Versuch, womöglich der letzte Besucher einer Jahrhundertschau zu sein, haben trotzdem viele Besucher gewagt. Nur einer hat es geschafft, wenn auch eher zufällig. Jumpei Yamamoto. Aus Japan.

Bye, Bye, MoMA.

Marc Neller, André Görke

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