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Berlin: Der Letzte zieht den Hering raus

Von Steffi Bey und Frank Thadeusz Wenn im Fußball eine Saison zu Ende geht, dann ist Fans wie Spielern eines sicher: Die nächste Saison kommt ganz bestimmt. Ein Stück von dieser Gewissheit würde den Campern von Kohlhasenbrück wohl zur Freude gereichen, doch: Alle Hoffnungen sind vergebens.

Von Steffi Bey

und Frank Thadeusz

Wenn im Fußball eine Saison zu Ende geht, dann ist Fans wie Spielern eines sicher: Die nächste Saison kommt ganz bestimmt. Ein Stück von dieser Gewissheit würde den Campern von Kohlhasenbrück wohl zur Freude gereichen, doch: Alle Hoffnungen sind vergebens. Nach 48 Jahren geht am 30. September auf dem Zeltplatz am Griebnitzsee die definitiv letzte Sommersaison zu Ende. Damit endet die Geschichte des ältesten Campingplatzes, den der Deutsche Campingclub (DCC) in den Grenzen der Hauptstadt betreibt. Vor der Wende verlief die Mauer direkt am Platz, auf der anderen Seite war Potsdam, DDR.

Die Besitzerin des 36 000 Quadratmeter großen Areals ist die „Terraingesellschaft Neu-Babelsberg in Liquidation (i. L.)“, deren einzige Gesellschafterin die Stadt Potsdam ist. Schon 1936 war beschlossen worden, die Gesellschaft aufzulösen und das Grundstück zu veräußern. Doch der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung verhinderten, dass es dazu kam. Nun ist es so weit: Der Pachtvertrag mit dem DCC wird nicht verlängert. Was aus dem Gelände wird, ist derzeit noch unklar. Doch am liebsten würden die Eigner aus Potsdam die von Ausflüglern als Naherholungsgebiet geschätzte Grünfläche in kleine Parzellen aufteilen und als Baugrund verkaufen, erklärt der Liquidator Detlef Busch. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf prüft zurzeit im Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung, ob das Grundstück als Naturschutzgebiet erhalten werden kann. „Im August liegen die Ergebnisse vor“, kündigt Baustadtrat Uwe Stäglin (SPD) an. Allerdings könne er sich unter bestimmten Bedingungen eine Bebauung vorstellen, ließ er bereits jetzt durchblicken.

Bei den meisten Campern vom „Kohli“, wie sie ihren Platz liebevoll nennen, setzt derweil der Katzenjammer ein: „Wir müssen hier weg, ob wir wollen oder nicht“, sagt eine ältere Dame. Sie wird, wie einige andere auch, das Campen für immer aufgeben. „Schweren Herzens“, erzählt sie. Aber an einen anderen Platz könne sie sich in ihrem Alter nicht mehr gewöhnen. Auch für Familie Grunow bricht eine Welt zusammen. Seit 1960 verbringen die inzwischen pensionierten Berliner fast jedes Wochenende und so manchen Urlaub auf ihrem „kleinen Stückchen Grün". „Wir genießen die Freiheit, das Zusammensein mit liebgewonnenen Nachbarn und möchten das Zelten nicht mehr missen“, erzählt Heinz Grunow.

Wie in einer großen Familie sei es dort zugegangen. „Wir sind sehr traurig, wagen aber trotzdem einen Neuanfang“, sagen beide optimistisch. Gemeinsam mit fünf befreundeten Familien werden sie ihren Wohnwagen samt Vorzelt im Spätsommer in Kladow aufbauen. Wie auch auf allen anderen Zeltplätzen, die zum DCC gehören, sind dort in den vergangenen Jahren Parzellen für die Kohlhasenbrücker reserviert worden. „Schließlich wussten wir, dass es keine Pachtverlängerung für das Gelände an der neuen Kreisstraße gibt“, sagt der DCC-Landesvorsitzende Klaus-Eberhard Lehmann.

Berlins oberster Camper ist an dem Dilemma nicht ganz unschuldig. Das glaubt zumindest Konrad Kunick. Der 62-Jährige genießt auf dem Campingplatz einen bizarren Sonderstatus. Er ist Bundestagsabgeordneter für die SPD und wohnt für die Dauer der Sitzungsperioden in einem Campingwagen auf dem „Kohli". Dem DCC wirft der Parlamentarier vor, den Zeltplatz vorschnell aufgegeben zu haben. „Um Folgekosten“ zu vermeiden, wie Kunick argwöhnt.

Tatsächlich hat der Verband mit der Terraingesellschaft ausgehandelt, die Immobilie lediglich „besenrein“ zu übergeben, wie Lehmann bestätigt. Denkbare Sanierungsarbeiten bleiben dem DCC erspart.

Dass die Terraingesellschaft i. L. „andere Plätze bis 2011 verlängert“ hat, räumt der Landesvorsitzende denn auch freimütig ein. Richtig fuchtig machte den Funktionär jedoch nicht das verpasste Arrangement mit den Eigentümern, sondern der rührige Kunick. „Ich weiß nicht, ob ein Abgeordneter, der auf dem Campingplatz wohnt, so ein gutes Vorbild abgibt“, giftete Lehmann gegen den prominenten Dauercamper. Der trommelte enttäuschte Leidensgenossen zusammen und gründete den Förderkreis der Freunde Kohlhasenbrücks. Als ehemaliger Hafensenator Bremens verhandlungssicher und kampferprobt, schmiss sich Kunick als deren Vorsitzender in die Schlacht. Am Ende allerdings vergeblich. „Herr Kunick hat mir mitgeteilt, dass auch er pünktlich zum 30. September den Platz räumt“, verkündet Klaus-Eberhard Lehmann froh. Zwar hat sein Club den Campingplatz nicht retten können, dafür aber immerhin die Verhandlungshoheit erfolgreich verteidigt.

Als Trostpflaster hat der DCC für rund 40 von 150 Dauercampern Ersatz auf anderen Plätzen in Berlin gefunden. Zwölf geben am Ende der Saison das Campen ganz auf. Einstweilen ist es in den vergangenen Tagen zwischen den Ahornbäumen, Pappeln und Kastanien noch mal richtig lebendig geworden. Zwar hat der große Orkan in Kohlhasenbrück kaum mehr als ein paar Äste von den Bäumen gefegt. Am vergangenen Wochenende meldete der zum Untergang verurteilte Zeltplatz jedoch noch einmal Rekord-Besuch: Etwa 650 Raver rollten anlässlich der Love Parade an der Kreisstraße ihre Schlafsäcke aus.

Vielleicht waren die Techno-Fans in dieser Situation besonders verständnisvolle Gäste. Immerhin feierten sie ein jährlich wiederkehrendes Ereignis, dem ebenfalls sein baldiges Ende prophezeit wird.

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