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Berlin: "Der Mann im Sattel" ist zurzeit im Babylon Mitte zu sehen

Das neue Jahrhundert ist kaum ein paar Tage alt, man will sich endlich ungehindert der Zukunft zuwenden, da greift das alte schon wieder am Rockzipfel. Wir dachten schon, alles zu kennen, doch noch immer gibt es etwas Neues zu entdecken in den alten Zeiten.

Das neue Jahrhundert ist kaum ein paar Tage alt, man will sich endlich ungehindert der Zukunft zuwenden, da greift das alte schon wieder am Rockzipfel. Wir dachten schon, alles zu kennen, doch noch immer gibt es etwas Neues zu entdecken in den alten Zeiten. Diesmal eine Filmrarität. "Der Mann im Sattel", heißt der 1944 / 45 entstandene Streifen, als immer weniger und immer Wenigeres fest im Sattel saßen.

Ein Film, der den Nazipropagandisten ("im Rahmen unserer Maßnahmen zur Totalisierung des Krieges") ins Ablenkungsprogramm passte und auch mit Optimismus heischenden kraftmeierischen Sprüchen nicht geizte. Gleichwohl aber schon für die Zeit danach, für die erwartete Friedenszeit, gedreht sein könnte. Jedes massenmobilisierende Pathos fehlt, nicht einmal Hakenkreuzfähnchen sind zu sehen, allenfalls Durchhalteparolen zu hören, gegen sogenannte Schlappschwänze und andere Defaitisten.

Ein Film von und mit Harry Piel, einem der Lieblingshelden der deutschen Leinwand seit Stummfilmzeiten, spätestens seit seinem Kampf mit dem Tiger ist er sozusagen der Schwarzenegger jener Zeit, der auch diesmal wie so oft, Drehbuchautor, Regisseur und - ein wenn auch etwas hölzener - Hauptdarsteller in einem ist.

Gedreht wurde der Film, als der Kampf um Berlin immer heftiger, die Front immer näher rückte. Ein Bombenalarm im Februar 1945 störte die Rohschnittabnahme in den Studios in Johannisthal. Nie ganz vollendet, verstaubte das "Mann im Sattel"-Material, von sowjetischen Inspizienten in den Tresoren der Kopierwerke übersehen, später in DDR-Archiven.

Nach der Wende wiederentdeckt, wurden die Filmreste zunächst für nicht rekonstruierbar gehalten - bis sich der Berliner Filmhistoriker Holger Theuerkauf im Auftrag und mit Unterstützung des Bundesarchivs der über 100 Rollen Bild und Ton annahm und aus der Tohschnittfasssung mit 499 Szenen und 84 Ergänzungsaufnahmen einen sehenswerten Film machte. Nur die Filmmusik (Lexa Thomas) wurde gänzlich neu komponiert. Ein bisschen mehr gute Laune, ein bisschen Miss Marple, Sport, Spiel, Spannung.

Doch die Zeichen jener Zeit standen bekanntlich auf Sturm. Nichts davon in dem Film, es sei denn auf den Gesichtern der 35 Darsteller oder der über einhundert Statisten. Teuerster Posten im Filmetat war mit 290.000 Reichsmark der Ankauf und die Verpflegung zweier Pferde. Die anderen mussten eine heile, vornehme Welt spielen - auf der Mariendorfer Trabrennbahn oder im Grunewaldstudio (hinter dem S-Bahnhof Grunewald, wo heute das Studentenwohnheim steht).

Es geht um Liebe, Luxus, Pferdelotto, ein friedliches Leben, getrübt nur durch die Machenschaften aalglatter Ganoven. Harry Piel, inzwischen 52 und bei Drehbeginn ergraut, ließ sein Haar mit schwarzer Schuhwichse färben, nimmt den Kampf auf der Rennbahn und um die Rennstallbesitzerin (Gerhild Weber) auf und gewinnt schließlich nicht nur das Rennen. Die Dreharbeiten waren beliebt. Die Tobis hingegen protestierte mehrfach. Die Firma produzierte den Film, und deren Chefs waren sauer, wenn im Oktober 1944 "Tonmeister Jansen, für den selbstverständlich bei den Verhältnissen kein Ersatz vorhanden ist", zum Flakwehrdienst einberufen wird. Derartige Kommandos waren an der Tagesordnung. Und die Fertigstellung des Films verzögerte sich weiter.

Das bedeutete dann - "Heil Hitler" - und "vorzeitigen Drehschluss". Natürlich wollten sie alle lieber drehen, und Harry Piel mit den Dreharbeiten an seinem 103. Film endlich fertig werden. Mitte Februar 1945, als ringsherum bereits nur noch Ruinen standen, fehlen immer noch ein paar, vor allem Stunt-Szenen. Am 21. April - Goebbels ließ alle Filmarbeiten in Berlin abbrechen - lässt auch Piel alle Hoffnung fahren und flieht auf einem Panzer der SS, erreicht schließlich Hamburg. Aus der Partei war er schon im November ausgetreten. "Der Mann im Sattel" immer noch nicht fertig.

Der prominente Schauspieler, der vor dem Krieg in der Ulmenallee in Westend lebte, sollte nie wieder ein großer Star werden. Zahlreiche Comeback-Versuche scheiterten, es blieben Schlagzeilen der Boulevard-Presse, ein paar Fernsehauftritte. 1963 wollte ihm ein Freund Gutes tun, schaltet im Tagesspiegel eine Kontaktanzeige: "Harry Piel sucht Lebenskamaradin mittleren Alters, seriös und gutsituiert". Er bekommt über vierzig Zuschriften.

Die Presse wird erneut auf ihn aufmerksam, vom Hotel am Steinplatz zieht Piel schließlich zum Bundesplatz 1, wo er am 27. März 1963 stirbt. In einem Nachruf des NDR heißt es: "Er war draufgängerisch wie Hans Albers, liebte wie Nietzsche die Gefährlichkeit des Lebens und holte aus deutschen Gemütern die seelische Ehrfurcht vor der Muskelkraft. Er verdiente Millionen und verstarb arm". Ein richtiges Heldenleben im Falschen? Ein Stück wiederentdeckter Filmgeschichte."Der Mann im Sattel": Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, heute Sonnabend 17 Uhr, Montag 19 Uhr.

Benedict Maria Mülder

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