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Berlin: Der Ruf nach Allah half nicht zum Sieg

Von Tanja Buntrock Immer wieder 48. Die Zahl haben sie sich eingeprägt.

Von Tanja Buntrock

Immer wieder 48. Die Zahl haben sie sich eingeprägt. 48 Jahre hat es nämlich gedauert, bis die Türkei wieder an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen darf. Und nun das erste Spiel gegen Brasilien. Das passiert nicht alle Tage.

Im Café 1001 in der Nürnberger Straße 22 steht das Frühstücksbüfett kurz vor dem Anpfiff, der Projektor für die Großleinwand auch. Vor allem junge Türken zieht der Laden mit den orange-gewischten Wänden an. Die Frauen tragen ihre Spaghettiträger-Tops zur Schau, bei den Männern dominieren gegelte Haare und figurbetonte Hemden. Nur Davut, 21 Jahre, aus Kreuzberg, kommt im Trainingsanzug. Er war zufällig in der Gegend, da sei er einfach mal vorbeigekommen, weil ihm der Laden so gut gefalle. Eigentlich müsste er um diese Zeit arbeiten. „Sicherheitsdienst“, mache er. Aber für alle Türkeispiele hat Davut sich freigenommen. Schließlich - und da ist sie wieder, die magische 48 - ist die Türkei seit 48 Jahren bei einem solchen Turnier dabei. „Wenn’s gut läuft, kommen wir ins Viertelfinale.“ Gegen Brasilien tippt er auf ein Unentschieden, mehr sei einfach nicht drin gegen den viermaligen Weltmeister aus Südamerika.

Zübeyda, 20 Jahre und aus Wedding, versteht zwar nicht viel von Fußball, „aber Länderspiele, wo die Türkei mitspielt“ schaut sie gerne. Und ihre Mannschaft wird gewinnen, ist sie sich sicher. Während der ersten Halbzeit schlagen sie sich recht gut. Doch die roten Flaggen mit Halbmond und Stern bleiben eingerollt. „Die schwenken wir auf dem Ku’damm, wenn wir gewinnen“, juchzt eine junge Türkin am Nachbartisch.

Szenenwechsel. Das Vereinsheim des 1. SV Galatasaray Istanbul in der Bruno-Bauer-Straße in Neukölln. Hier sind die Wände nicht in Wischtechnik gestrichen, sondern mit Vereinswimpeln und gerahmten Atatürk-Bildern verziert. Der Vorsitzende Mehmet Bilgi, 41 Jahre, sitzt mit etwa 20 Männern und einer Handvoll Jungs, die früh Schulschluss hatten, auf Holzstühlen und starrt auf den riesigen Bildschirm. „Sonst sind hier mehr Leute, aber die meisten müssen arbeiten“, bedauert Bilgi. Er selbst ist Taxifahrer, hat sich für das Spiel frei genommen. Schließlich hat er seine Mannschaft noch nie bei einer WM gesehen.

Toooor! Die Türkei führt kurz vor der Halbzeit mit 1:0. Ein paar Männer laufen sofort raus und hängen eine Türkei-Flagge vor die Eingangstür. Eine Melange aus Jubel und Handybimmeln breitet sich aus, Zigarettenrauch bildet einen dichten Nebel. Aus Istanbul rufen Freunde an, schreien ins Telefon vor Glück, berichtet Bilgi. „Die Straßen sind dort wie leergefegt“, ruft er. Und die Arbeit? „Nicht so wichtig in der Türkei.“

In der zweiten Halbzeit geben die Brasilianer den Ton an. „Allah“ und „Tssst“– ein missmutiges Schnalzen mit der Zunge – sind nun die häufigsten Gefühlsregungen der Männer im Neuköllner Vereinsheim. Dann der Ausgleich. Wieder der Ruf nach „Allah“. Doch es sieht nicht gut aus für die Türken. Der anfängliche Jubel gleitet langsam in Stille über, die nur vom hektischen Rühren der Löffel in den Teegläsern unterbrochen wird. Das Spiel geht sichtlich an die Nerven. Dann plötzlich, Elfmeter für Brasilien. Tor! Die Männer falten die Hände über den Kopf. Das war’s wohl mit der Sensation. Alle Wut kapriziert sich auf den koreanischen Schiedsrichter. „Unberechtigt“, sei der Strafstoß gewesen, da sind sie sich alle einig.

Und dafür hat Mehmet Bilgi nun auf seine Taxi-Schicht verzichtet. „Ein Haufen Verluste“, seufzt er, „aber was soll’s, egal“. Derweil schimpfen und diskutieren seine Freunde draußen weiter, vor der Türkei-Flagge. Die bleibt aber hängen. Schließlich war das erst der Anfang.

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