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Berlin: Der Seebär und der Sammler

Alfred Wunschs Herz schlägt sein Leben lang für Dampfschlepper. Nils Clausens Faible ist, alte Eindecker zu restaurieren. Beide können nicht die Finger von ihren Liebsten lassen: von historischen Schiffen. Doch manchmal lassen sie auch Fremde ran

Von Susanne Leimstoll

Als junger Mann war er ein schmales Hemd, wie geschaffen für den härtesten Job an Bord. Ins Einstiegsloch des Heizkessels hat er sich gezwängt und drinnen den Wasserstein abgeklopft. Für die „Marie“ gab der damals 20-jährige Bootsmann sein Bestes. „Mit diesem Dampfschiff hatte ich ein Verhältnis“, sagt Alfred Wunsch. „Es war für mich lebendig.“ Mit der „Marie“ schipperte er in den vierziger Jahren im Takt der Dampfmaschine über die Havel. Das Stampfen unter den Füßen, den Qualm im Gesicht.

76 ist Alfred Wunsch heute, und die blaue Schiffermütze gehört noch immer zu ihm wie das jungenhafte Lachen. Seit vielen Jahren ist er im Verein Berlin-Brandenburgische Schiffahrtsgesellschaft aktiv. Noch heute fährt er mit Volldampf auf die Spree hinaus.

Die Gesellschaft hat an ihrem Historischen Hafen am Märkischen Ufer in Mitte mehr als zwanzig schwimmende Methusalems vertäut. Das Flaggschiff dieser liebevoll gepflegten Flotte aus 100 Jahren märkischer Binnenschiffahrtsgeschichte ist Berlins stattlichstes startklares Dampfschiff: der 1944 gebaute Dampfschlepper „Andreas“. Vier Mann gehören zur Besatzung, Alfred Wunsch ist dabei.

Schon drei Tage vor einer Fahrt müssen sie den Kessel anheizen, damit sich der genietete Stahl nicht zu schnell ausdehnt. Auch Passagiere können das Kraftpaket aus Zylindern und Gestänge im Schiffsbauch erleben und selbst Kohlen ins Feuerloch schippen. Wenn er „Andreas“ aus dem Hafen bugsiert, ist das für Alfred Wunsch eine Tour zurück in die eigene Vergangenheit. Schließlich stammt er aus einer Berliner Schifffahrtsfamilie.

Seine Großeltern brachten mit ihrem Schleppkahn Ziegel in die Stadt, die Eltern transportierten Getreide von Hamburg nach Berlin. Ihr unmotorisierter Kahn hing am Seil in einer Schleppreihe und war für den kleinen Alfred der schönste Spielplatz.

Später ging er aufs Schiffer-Internat. Nach dem Krieg heuerte er auf der DDR-Seite als Schiffsjunge an, wechselte als Bootsmann auf die „Marie“, erwarb 1950 das Schiffsführerpatent und war auf Dampfschleppern unterwegs, bevor er sich, inzwischen Familienvater, „weniger zigeunerhafte Arbeiten“ an Land suchte. Er wurde Schleusenmeister, holte dann aber auf Bergungsschiffen verunglückte Autos aus der Spree, leitete einen Reedereibetrieb und danach bis zum Ruhestand 1992 eine Bootsbaufirma in Berlin.

Heute hat er einen neuen Job, und der bringt ihn wieder in Fahrt: Alfred Wunsch stellt Besuchern die schaukelnden Museumstücke im Historischen Hafen vor. Tätschelt den Rumpf von „Andreas“, erklärt seine „Gisela“, eine Barkasse aus den dreißiger Jahren. Manchmal steht er im kurzärmeligen weißen Hemd an ihrem Steuer und schippert Gäste durch Berlin. Das Schiff ist für Wunsch eine Art Lebensversicherung. Ein bisschen Matrosenleben braucht er zum Glücklichsein.

Das Licht im Salon wechselt gerade von Magenta zu Kobaltblau. Ein Leuchtdioden-Farbenspiel unter langen, schmalen Glasscheiben, eingelassen in die weiße, gewölbte Decke. Neueste Technik, alles für die Gäste. Damit geht jede Farbe dieser Welt. Die Telekom wollte Magenta, die Allianz ihr Blau. „Die Kabel haben mich ein Vermögen gekostet“, seufzt Nils Clausen nicht wirklich verzweifelt und schaut verliebt in die Tiefe des teakholzverschalten Salons. Design-Ledersofas von Walter Knoll, Plasmabildschirm an der Wand, sanfte Beschallung übers Hifi-System mit Satellitenlautsprechern. Damen schätzen die geräumigen Toiletten mit Milchglas- und Schieferwänden, die Armaturen von Philippe Starck. Teure Kabel? Das ganze Schiff ist ein kleines Vermögen wert.

Für diese Schweizer Dame, früher Linientransporter der Bieler Schifffahrtsgesellschaft, hätte sich der „Kieler Jung“ noch so ein Eigenheim wie das da hinten an der Rummelsburger Bucht bauen können. Aber Nils Clausen, studierter Architekt, heute Macher einer Zeitschrift für Bootshandel und einer von drei Gesellschaftern des Charter- und Handelsunternehmens Schiffskontor, wollte der Vertriebsgesellschaft diesmal ein 30-Meter-Salonschiff beisteuern. Sein fünftes, einen bildhübschen Eindecker, zugelassen für den Transport von 120 Personen. Per Tieflader reisten 40 Tonnen Boot aus der Schweiz über die Berge, legten 1000 Kilometer von Biel nach Berlin zurück. In der Marina der Stralauer Halbinsel wurde aus der Schweizer Landschönheit „Nidau“ die Berliner Salondame „Stralau“. Clausen ging vor wie immer: ließ das Schiff schälen, baute den Rumpf um. Alte Linie, neue Technik. Quasi unsinkbar. Rettungsutensilien braucht es nicht. Die zehn Schotts kann man einzeln lenzen. „Da können zwei bis oben voll laufen, und das Ding schwimmt immer noch“, sagt Clausen und winkt ab.

Wer die „Stralau“ mieten will, chartert eine schwimmende Lounge mit Bar, einen dahingleitenden Konferenzraum, eine mobile Dinnerlocation, angetrieben von einem 170-PS-Diesel. Unter 500 Euro läuft die gar nicht erst aus. „Dieses Schiff habe ich so gebaut, dass man Kundenwünsche befriedigt“, sagt der Eigner entspannt, die Beine übereinandergeschlagen. Jedes Jahr gönnt er sich solch ein Projekt. Das hat er wieder gut hingekriegt: Am 9. Juni war Schiffstaufe, punktgenau zu Clausens 40. Geburtstag, rechtzeitig zur WM.

Er hat das Schiff themengerecht verkleiden lassen. Die Künstlerin Jaqueline Heer hat dem Sonnendeck Kunstrasen und Bälle verpasst. Demnächst ist die „Stralau“ Plattform für ihr nächstes Kunstprojekt: Sie wird bei Ausfahrten eine Heliumwolke hinter sich herziehen. Nils Clausen, Kunstmäzen. Er hat noch mehr im Sinn: „Themenfahrten“ will er anbieten: Jazz auf dem Wasser, einen Abend zur Formel 1. Kulinarische Fahrten auf Berliner Wassern, wenn Sterneköche im Multifunktionsraum, der zur Bordküche wird, mehrgängige Menüs bereiten. Und draußen am Ufer lässt Kapitän Klaus Seidel, Skipper aus Düsseldorf, die Hauptstadt vorbeiziehen.

Nils Clausen streicht sich lächelnd über die blonden Locken. Mann, das gefällt ihm! „Ich denke, dieses Jahr werden 3000 bis 5000 Leute hier drauf gewesen sein“, sagt er. Und: „Ich habe Spaß.“

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