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Abgesperrt. Der Senat hat versprochen, mehr für Radwege zu tun.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stillstand in der Verkehrspolitik von Berlin: Der Senat bremst die Radler aus

Vor zwei Jahren hat der Senat den Berliner Radfahrern viele Verbesserungen versprochen. Passiert ist seitdem - fast nichts. Das musste die Landesregierung jetzt selbst zugeben. Und wie geht es weiter?

In wenigen Tagen steht ein Jubiläum an, das eher nicht gefeiert werden wird: Anfang März 2013 hat der Senat die Neuauflage der Radverkehrsstrategie beschlossen, die auf 26 Seiten viele blumige Versprechen, „Argumente für mehr Radverkehr in Berlin“ und eine Liste mit rund 80 Maßnahmen enthielt. Jetzt hat er auf Anfrage der Piratenfraktion über den Stand der Umsetzung berichtet. Ergebnis: „Argumente für mehr Radverkehr“ sind nicht dabei, denn der Umsetzungsstand liegt praktisch nahe null.

Es beginnt mit der Personalausstattung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie von Bezirksämtern zugunsten der Radverkehrsplanung. Die sollte „sofort“ verbessert werden. In Zahlen sieht der Status quo nach zwei Jahren so aus, dass in elf von zwölf Bezirken keine Verbesserung erreicht wurde. Nur Tempelhof-Schöneberg hat 2012 eine entsprechende Stelle eingerichtet. In sechs Bezirksämtern sowie im Polizeipräsidium und Senator Frank Henkels Innenverwaltung ist laut der Senatsauskunft überhaupt niemand mit dem Schwerpunkt Radverkehr befasst, obwohl es in allen Bezirken mindestens eine entsprechende Ingenieursstelle geben sollte. Beim Senat selbst äußert sich die beschlossene „Verbesserung“ im altersbedingten Ausscheiden eines Mitarbeiters, dessen Stelle wegen Sparvorgaben auch nicht wieder besetzt wurde.

Ein weiterer Aspekt der Strategie ist der Fokus auf die Schaffung neuer Fahrradwege und -streifen. „Angesichts der bekannten Probleme bei der Verkehrslenkung Berlin war die beabsichtigte Schwerpunktsetzung bisher noch nicht möglich“, lautet die Auskunft des Senats. Immerhin sei ein Mitarbeiter für die Prüfung von Bauplanungsunterlagen eingestellt worden. Zur weiteren Ausstattung mit Fachpersonal heißt es, dass „gewisse Kenntnisse der Radverkehrsplanung“ in den meisten Bezirksämtern vorhanden sein dürften. Zur weiteren Qualifikation gebe es verschiedene Angebote, die „im Rahmen der verfügbaren zeitlichen Ressourcen auch angenommen“ würden.

Schutzbedürftig. Eigentlich wollte Berlin mehr Radwege schaffen – blieb aber hinter dem Ziel zurück. „Geisterräder“ erinnern an tödliche Unfälle.

© dpa

Da die meisten Unfälle an Kreuzungen passieren, sei deren Gestaltung „von herausragender Bedeutung“, steht in der Radverkehrsstrategie, in der dazu drei Modellprojekte mit anderswo bereits bewährten, aber in Berlin bisher nicht üblichen Regelungen (wie „Radfahrerschleusen“ bei vielen Linksabbiegern) angekündigt werden. Jetzt folgt auch dazu die Kapitulationserklärung: Ein Modellprojekt „konnte noch nicht gestartet werden“. Allerdings seien an einigen Ampeln Innovationen wie aufgeweitete Wartebereiche und Linksabbiegespuren für Radfahrer eingerichtet worden.

In 99 Tagen wurden fast 6000 Falschparker dokumentiert

Auch dem Problem der chronisch zugeparkten Radspuren auf der Fahrbahn hat sich die Radverkehrsstrategie 2013 gewidmet: „Der ADFC wird gebeten, unter Einbeziehung seiner Mitglieder besondere Problemabschnitte zu erfassen und den Bezirken mitzuteilen.“ Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club hat im vergangenen Jahr zusammen mit dem Umweltverband BUND binnen 99 Tagen fast 6000 Falschparker auf Radstreifen dokumentiert. Bei der Senatsverwaltung heißt es dazu jetzt: „Die Kampagne hat für den Senat keinen direkten Handlungsbedarf ergeben, da für die Ahndung von Verkehrsverstößen die Ordnungsbehörden zuständig sind.“ Also Polizei und Ordnungsämter. In der Radverkehrsstrategie war noch die Rede davon, dass dem Lieferverkehr mehr legaler Platz geschaffen werden solle – notfalls zulasten regulärer Parkplätze. Davon ist jetzt keine Rede mehr.

Für Andreas Baum, den Verkehrspolitiker der Piraten, „bestätigen die Antworten meine schlimmsten Befürchtungen: Die Situation ist so desaströs, wie man sie als Radfahrer in Berlin erlebt.“ Wenn bereits die erste und zugleich wichtigste Stellschraube, nämlich die Personalausstattung, nicht bewegt werde, könne ja nichts besser werden. „Damit sich das schnellstens ändert, muss es Anpassungen in dem für März angekündigten Nachtragshaushalt geben“, sagt Baum. Wenn das nicht passiere, könne man wohl vorerst alle Hoffnung aufgeben.

Dabei war die Radverkehrsstrategie, als sie vor zwei Jahren beschlossen wurde, schon lange überfällig: Mehr als ein Jahr lang war sie durch die Verwaltungen vagabundiert und dabei gegenüber der ursprünglichen Version deutlich aufgeweicht worden – etwa bei Finanzierungszusagen und dem Vorgehen gegen Radspurparker. Jetzt liest sich selbst die weichgespülte Variante wie eine kühne Vision.

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