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Berlin: Der Siegeszug der Warmduscherin

Beim Vorentscheid zum Song Contest siegte Gracia mit „Run & Hide“ – vor Ralph Siegels Duo

Großartig, das war einfach großartig. Applaudieren möchte man, stürmisch, minutenlang – begeistert über so viel Schlagfertigkeit. Was denn ihr erster Eindruck sei, wollte Moderator Reinhold Beckmann von Patricia Kaas wissen, nach nur vier der zehn Songs, die gestern Abend bei der deutschen Vorentscheidung des „European Song Contest“ in der Treptower Arena dargeboten wurden. Von der Antwort könnte mancher Diplomat lernen: „Ich will nichts sagen. Hinter den Kulissen hört man es nicht so gut.“ Patricia – 12 Points.

Tja, das konnten die Zuschauer daheim vor ihren Fernsehern, die auf ARD programmiert waren, und auch die in der Arena nicht als Entschuldigung vorbringen, die Übertragung war ja technisch perfekt. Aber die diversen Fanblocks, die sich um die Bühne versammelt hatten, wären wohl auch bei einer pannenreichen Sendung beim jeweiligen Star ihrer Herzen in heftiges Jauchzen ausgebrochen. Schon am frühen Abend hatten sie sich vor dem alten Fabrikbau am Spreeufer versammelt, sauber getrennt und leicht auseinanderzuhalten – besonders natürlich die Anhängerschaft von Ellen ten Damme, der singenden Muse Lindenbergs. So viele Udos habe er noch nie gesehen, staunte Reinhold Beckmann angesichts der versammelten Lederhosen und Hüte.

Ein überraschender Abend: Denn wer hätte in den letzten Jahren, Monaten, Tagen Ralph Siegel und seinem Duo Nicole Süßmilch und Marco Matias noch ein Wunder zugetraut, mit einem Song wie „A Miracle of Love“? Und dann hatte der Veteran doch tatsächlich den ersten Wahlgang erfolgreich durchlaufen, gemeinsam mit Gracia mit „Run & Hide“ – der er im zweiten Durchgang der Zuschauerbefragung dann doch unterlag.

Die durfte ihren Song natürlich gleich noch einmal vorführen, wieder mit wehendem Haar, der Mann an der Windmaschine hat etwas viel Gas gegeben. Man konnte an diesem Abend schon wieder einiges über die frühere „Superstar“-Kandidatin erfahren, wie über die anderen Interpreten auch, durften sie sich doch, bevor es ans Singen ging, in einem Video ein wenig vorstellen, freilich streng reglementiert, auf dass keiner im Vorteil wäre. „Ich hasse“ – das war so ein Standardsatz, und Gracia war da als erstes kaltes Wasser eingefallen, das hasst sie ganz doll, eine Warmduscherin also. Und ihre drei Kätzchen, ja, die bereiten ihr glückliche Momente. Nun, dagegen ist nichts einzuwenden, andere führten bei der Hass-Nummer beispielsweise Sushi an und ließen sich bei der Befragung im Klo ablichten wie die Herren von Orange Blue.

Mit der Vorjahressiegerin aus Istanbul hatte der Abend begonnen: Dass Ruslana mit ihrem „Wild Dance“ mal revolutionär daherkommen würde, hätte sie sich wohl am wenigsten träumen lassen, nun aber, nach dem friedlichen Machtwechsel in der Ukraine, musste auch ihr Auftritt durch Bilder aus Kiew mit Menschen in Orange garniert werden. Von Frieden war auch später viel die Rede, ganz groß darin war wieder Udo L., dessen Ellen ten Damme sich trotz ihrer akrobatischen Einlagen ebensowenig durchsetzte wie die anderen Sangeskünstler.

Der Abend war aber durchaus auch was für Leute, denen der Contest-Rummel auf die Nerven geht. Immerhin traten Al Di Meola, Patricia Kaas und Ex-Spice-Girl Emma auf. Und die können ja wirklich was. ac/hey

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