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Vergangene Pracht. Das um 1900 entstandene Foto zeigt rechts der Moltkebrücke den Generalstabsbau, links das Kronprinzenufer (Hintergrund: Reichstag und Siegessäule).

© wikipedia/Album von Berlin; Globus Verlag, Berlin

Neubaupläne in Mitte: Der Spreebogen: Berlins Beletage

Den Spreebogen beschrieb Fontane einst als Toplage der Stadt. Im Alsenviertel wohnten die besseren Kreise. Hitler plante hier die Große Halle.

Wer zu hoch hinaus will, könnte nass werden: „Die Große Halle wird nur für die feierlichsten Zeremonien des Deutschen Reiches verwendet und fasst 180 000 Menschen. Ein interessantes und unvorhergesehenes Phänomen: Der Atem dieser Menschenmenge steigt in die Kuppel auf und bildet dort Wolken, die kondensieren und als leichter Regen herabfallen. Die Große Halle ist das einzige Gebäude auf Erden, das sein eigenes Klima schafft ...“

An so vieles hatte Hitlers Baumeister Albert Speer bei seinen „Germania“-Planungen gedacht, sogar zum Prüfen des Baugrundes einen monströsen Betonklotz nahe der Schöneberger Kolonnenbrücke gießen lassen, doch die meteorologischen Folgen übersehen. Der britische Autor Robert Harris hat sie in seinem Roman „Vaterland“ in fiktiver Vorausschau beschrieben: Die Handlung spielt im Jahr 1964, nach Hitlers Sieg über die Alliierten, und wenngleich die Weltlage alles andere als stabil ist: Germania. die Hauptstadt, steht, samt der Großen Halle im Spreebogen.

Eine eben schon damals attraktive Baufläche, die allerdings jahrzehntelang Brache war und noch heute, trotz Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus, viel leeren Platz für Neubauten bietet. Für ein ganzes Stadtquartier gar, wie es die CDU, wie berichtet, unter dem Namen „Parlamentsviertel 2.0“ vorgeschlagen hat, mit zwei großen Wohnblöcken direkt im nördlichen Spreebogen und ergänzenden Regierungsbauten südlich des Kanzleramts.

Der Aufstieg des Spreebogens begann mit Goldelse

Einst war das eine der Toplagen der Stadt, nachdem sie zwischen 1867 und 1870 aus dem Korsett der Zollmauer befreit worden war und in Folge dreier siegreicher Kriege – gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 – einen ungeheuren Bauboom erlebte. Auch die „Sahara von Berlin“ wurde davon erfasst, ein vom Volksmund mit diesem fragwürdigen Ehrentitel bedachter Exerzierplatz auf dem Gelände des heutigen Platzes der Republik, bei Sonne eine staubige Sandwüste, bei Regen ein Schlammloch, an das sich Richtung Spree die „Kämmereiwiese“ anschloss, eine gut durchgefeuchtete Flussaue, die vor allem als Lagerstätte für Baumaterial genutzt wurde.

 Die Simulation illustriert den CDU-Vorschlag.
Die Simulation illustriert den CDU-Vorschlag.

© Simulation: Bernd Albers

Erstmals versuchte Friedrich Wilhelm IV. um 1830, damals noch Kronprinz, eine Bebauung zu initiieren, doch trotz Unterstützung durch Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné – Baukünstler der eine, Gartenkünstler der andere – wurde daraus nichts. Aber einer seiner ersten königlichen Beiträge zum Stadtbild war der von ihm geförderte Bau der Krolloper am Westrand des Spreebogens, der um 1844 auf dem Areal südlich des heutigen Kanzleramtes entstand – ein Jahrhundert lang in wechselnder Form ein Ort des Vergnügens, der Kultur und – als Ausweichquartier für den 1933 ausgebrannten Reichstag – der Politik. Etwa zeitgleich entstanden auf dem späteren Reichstagsgrundstück das gräfliche, als Galerie- und Atelierhaus genutzte Palais Raczynski und nördlich davon erste Wohnbauten, teilweise errichtet von dem Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig.

Der Aufstieg des Spreebogens zur 1A-Adresse kam mit Goldelse. Zur Feier des Sieges gegen Dänemark wurde Ende 1864 die Umbenennung des Exerzierplatzes in Königsplatz nebst Aufstellung einer Säule beschlossen, zur Glorifizierung dieses Sieges, zu dem sich bald zwei weitere gesellten. In den folgenden beiden Jahrzehnten wurde das Areal städtebaulich erschlossen und zum Quartier für die besseren Kreise aufgewertet, mit der zentralen, den Spreebogen als Nord-SüdAchse durchschneidenden Alsenstraße als Namensgeberin. Sie trug den Namen der dänischen Insel Alsen, einem der Schauplätze der Entscheidungsschlacht im Deutsch-Dänischen Krieg. Fortan sprach man vom Alsenviertel.

Südlich der Moltkebrücke saß der Generalstab

In den späten sechziger Jahren wurde südlich der Moltkebrücke das Neorenaissance-Gebäude des Generalstabs gebaut, wie es ohnehin dank seiner Straßennamen ein sehr kriegerisch geprägtes Viertel war, das da entstand: Bismarck-, Moltke-, Roon- oder auch Herwarthstraße – stets waren „Kriegshelden“ die Namensgeber, auch beim Kronprinzenufer, dem heutigen Ludwig-Erhard-Ufer, das nach dem späteren 99-Tage-Kaiser Friedrich III. benannt worden war. Theodor Fontane lässt in seinem Roman „Der Stechlin“ an dieser Uferstraße die Familie des Grafen Barby wohnen, der Sohn der Titelfigur verkehrt dort, heiratet später eine der beiden Töchter. Fontane beschreibt auch das vornehme, der Witwe eines durch zweifachen Lotteriegewinn reich gewordenen Hagelversicherungssekretärs gehörende Haus und vermittelt so einen guten Eindruck von der Pracht des alten Alsenviertels: „Das von der gräflichen Familie bewohnte Haus mit seinen Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besonderen Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, Herr Imme, residierte, während zu dem die zweite Hälfte des Hauses bildenden Hochparterre ziemlich selbstverständlich noch das kleine niedrige Souterrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig selbst, dessen Frau, sein Sohn Rudolf und seine Nichte Hedwig wohnten.“

 Das Luftbild entstand 1928.
Das Luftbild entstand 1928.

©  Geoportal Berlin

Die Liste der Bewohner des Viertels las sich wie ein „Who is who?“ des kaiserlichen Berlin. Paul von Hindenburg gehörte ebenso dazu wie Max Liebermanns Vater, der Industrielle Louis Liebermann. Zudem siedelten sich viele Botschaften in dem Viertel an, weniger wegen der Nähe zum 1894 fertiggestellten Reichstag als zum Außenministerium in der Wilhelmstraße. Darunter war auch die Gesandtschaft Dänemarks, die ausgerechnet an der Alsenstraße residierte. Nur die Schweizer Botschaft, ursprünglich ein privates Stadtpalais, ist davon übrig geblieben, was nicht allein eine Folge des Krieges ist. Schon 1938 begann der Niedergang des Viertels, das den Germania-Plänen von Hitler und Speer im Wege war. Auch im Spreebogen wurde, ähnlich wie im südlich gelegenen Viertel um die St.-Matthäus-Kirche, damit begonnen, den künftigen Baugrund freizuräumen. Die verdrängten Botschaften erhielten neue Grundstücke, etwa in der Tiergartenstraße, auch viele Wohnhäuser verschwanden. Die Siegessäule wurde zum Großen Stern umgesetzt und zugleich um ein weiteres Segment erhöht.

Für Hitlers Große Halle sollte die Spree umgeleitet werden

Zur Umleitung der Spree, die unter der Großen Halle hindurchfließen sollte, wie überhaupt zu deren Bau kam es bekanntlich nicht mehr, der Krieg nahm eben nicht den von Hitler erhofften Verlauf. Was Speers Abrisstrupps stehen gelassen hatten, erledigten die alliierten Bomber und die russische Artillerie, die Ruinenreste wurden nach dem Krieg abgetragen. Danach lag das Areal brach, bis auf das alte Botschaftsgebäude der Schweiz. Ein eher wüstes Gebiet am Rande des Tiergartens, flankiert vom kuppellosen Reichstag und der aus den fünfziger Jahren stammenden Kongresshalle, die sich 1980, beim Absturz der Dachkrempe, als doch nicht so stabil erwies wie gedacht. Gegen Ende der Mauerzeit kam östlich erst das Tempodrom-Zelt dazu, danach das Carillon als Präsent der Daimler-Benz-AG zur 750-Jahr-Feier.

Ein weiteres, weit größeres Bauprojekt, von Bundeskanzler Helmut Kohl wohlwollend gefördert, kam über den – wegen befürchteter autonomer Attacken zeitweise unter Polizeischutz stehenden – Grundstein nicht hinaus: Gegenüber vom Reichstag sollte einmal der Neubau des Deutschen Historischen Museums stehen. Aber dann kam die Wende, kam der Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin. Kohl brauchte den Bauplatz im Spreebogen nun selbst.

Am Bildschirm auf Zeitreise

Auf der Grundlage von Luftbildern Berlins, aufgenommen 1928 und 2015 und vom Geoportal Berlin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu zwei großen Luftbild-Karten zusammengesetzt, hat das Tagesspiegel-Datateam eine technische Lösung ersonnen, zwischen diesen beiden Abbildern der Stadt bequem hin und her zu reisen. Links auf dem Bildschirm breitet sich die Stadt von 1928 aus, rechts die von heute, getrennt durch eine in beide Richtungen beliebig verschiebbare Linie. Man kann am Bildschirm eine Zeitreise auf eigene Faust starten – oder man folgt einer kommentierten Route, so auch zum Spreebogen gestern und heute. Machen Sie mit und entdecken Berlin neu unter: 1928.tagesspiegel.de.

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