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Berlin: Der Tag, als die Republik eine andere wurde

Vor 40 Jahren starb der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel Buchautor Uwe Soukup untersucht die Ereignisse des Jahres 1967 detektivisch

Ohne den tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg wäre die Republik eine andere, schreibt der Berliner Autor Uwe Soukup. Und es ist wohl so. Sein Buch über den 2. Juni 1967 enthält derart viel beeindruckendes Material, dass man ihm bei seiner These folgt: Dieser Tag hat nicht bloß West-Berlin verändert, auch nicht allein die Studentenbewegung – der 2. Juni hat Republikgeschichte gemacht.

So genau, so detektivisch wie Soukup hat noch niemand den 2. Juni 1967 untersucht. Darüber wundert man sich mehr und mehr bei der Lektüre dieses spannenden Buches. So ziemlich jeder, der sich für die Nachkriegsgeschichte interessiert, hat schon mal von diesem Tag gehört. In der Nähe der Deutschen Oper, nicht weit vom Tatort Krumme Straße, erinnert eine Inschrift an den Tod des Demonstranten. Das Datum und der Name Benno Ohnesorg stehen für die Radikalisierung der Studentenbewegung. Sie haben symbolische Bedeutung – und bleiben flach. Soukup sagt, bei der jahrelangen Recherche habe ihn das Gefühl bewegt, dass der 2. Juni 1967 mit seinem namentlich, aber nicht als Person bekannten Opfer langsam in Vergessenheit gerate. Dagegen hat er angeschrieben.

Zum Glück. Denn manches, was den Ablauf dieses Tages brutal beeinflusst hat, ist heute fast vergessen – und anderes wurde so nie geschrieben. Viele kennen den Namen des schlaksig-schlanken jungen Mannes, der so gar nicht radikal aussah, als der Polizist Karl-Heinz Kurras ihn mit einem Schuss tödlich verletzte. Doch wer Ohnesorg war und wie es kam, dass sein Name untrennbar mit der Radikalisierung der 1967er Studentenbewegung verbunden ist, das war bis auf Uwe Soukup noch keinem Historiker die Recherche wert.

Das kurze Leben des Germanistikstudenten Ohnesorg dürfte viel gemeinsam haben mit den Leben derer, die 1967 in Berlin einer bis zum 2. Juni harmlosen, durch und durch bürgerlichen Protestbewegung angehörten. Ohnesorg stammte aus kleinen Verhältnissen. Er glaubte an Bildung, ans Studieren. Nach einer Lehre – für längere Schulzeiten fehlte zu Hause das Geld – machte er das Abitur nach und begann ein Literaturstudium. Ein paar Wochen vor seinem tragischen Tod hatte er geheiratet. Seine Frau Christa war schwanger – und wohl deshalb am Abend des 2. Juni nicht mit ihm zusammen unterwegs. Uwe Soukup hat mit Freunden dieses unbekannten Bekannten über ihn gesprochen, mit Leuten, die noch heute von seinen Briefen, von seiner Freude an der Literatur schwärmen. So hat Soukup diesem Toten nicht bloß ein Gesicht gegeben, er hat Ohnesorg als Persönlichkeit wiederhergestellt und aus dem Status des tragischen Opfers herausgeholt.

Überhaupt: „tragisches“ Opfer? Wer damals diesen 2. Juni in Berlin auf der Bewegungsseite miterlebt hat, spricht von der Härte des Polizeieinsatzes gegen die Studenten, die gegen den Besuch des Schahs demonstrierten. Damals kritisierte laut Soukups Buch auch die nicht unbedingt bewegungsnahe FAZ die Brutalität eines Polizeieinsatzes, wie man ihn sonst nur „aus Berichten über faschistische oder halbfaschistische Länder“ kannte.

Aber die, die heute davon sprechen, die Veteranen der Bewegung, sind dabei immer in einer schwachen Position: Man glaubt ihnen nie so ganz. Die 68er – das waren doch diejenigen, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, protestierend den Springer-Verlag belagerten, Autos umstürzten und in Brand setzten und in ihren Parolen für Gewalt einiges übrig hatten.

Der Anfang aber, und das ist das zweite große Verdienst dieses Buches, war ein anderer: Die Studenten, die sich der vagen, kaum organisierten „Bewegung“ zugehörig fühlten, wurden von der Berliner Polizei mit aller Härte in die Radikalität geprügelt. Der tödliche Schuss auf Ohnesorg war der zynische Ausdruck dessen, was passieren konnte, wenn man nicht nach Hause ging, sobald an diesem Tag Polizisten mit dem Schlagstock unterwegs waren. Soukup hat, wenn man so will, die Unschuld der Bewegung wiederhergestellt, die sie mindestens bis zum 2. Juni 1967 für sich in Anspruch nehmen konnte.

Fast alle Einzelheiten dieses Tages, den Soukup rekonstruiert hat, sprechen für eine staatlich geplante Eskalation der Polizeigewalt. Fraglich bleibt, wer der Planer war – auch wenn man ahnt, wer es gewesen sein könnte. In einem zweiten großen Teil folgt Soukup den Spuren des 2. Juni in der SPD, bis zum Machtverlust des damaligen Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz. Auch dies zeigt, das man die Bedeutung dieses Tages nicht länger unterschätzen sollte. Denn nach Albertz sind zwar noch viele Politiker zurückgetreten. Aber keiner hat derart moralisch ausdrucksstark und konsequent die Folgen aus falschen Entscheidungen gezogen.

Uwe Soukup: Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967. Verlag 1900. Berlin 2007, 272 Seiten, 19,90 €

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