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In Trümmern. So sah Berlins Mitte nach dem Zweiten Weltkrieg aus, vorn die zerstörte Nikolaikirche. Jetzt ist ein Buch über die Bombenangriffe der Alliierten erschienen. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Berlin: Der Tod kam aus der Luft

Vor 70 Jahren verstärkten die Alliierten ihre Bombenflüge auf Berlin. Ein neues Buch dokumentiert die Geschichte aller Angriffe.

Sarkasmus und Galgenhumor sind den Berlinern nicht einmal im Krieg abhanden gekommen. Als die Bomben fielen und die Stadt zum Trümmerfeld wurde, nannten sie Steglitz „Stehtnix“, aus Charlottenburg wurde „Klamottenburg“, und Lichterfelde war „Trichterfelde“.

Vom 1. September 1939 bis zum 21. April 1945 heulten über 500 Mal die Sirenen, erlebte die Stadt 389 Luftalarme und 143 öffentliche Luftwarnungen oder Kleinalarme. Besonders intensiv waren die Angriffe aus der Luft im Jahre 1943, also vor 70 Jahren. Insgesamt werden 45 517 Tonnen Bomben abgeworfen. Am Ende des Krieges beklagt die Reichshaupstadt einen Totalverlust von 500 795 Wohnungen, das sind 32 Prozent des Bestandes. Am schwersten betroffen sind die Bezirke Mitte, Friedrichshain, Tiergarten, Steglitz und Wilmersdorf. Der Luftkrieg über Berlin forderte fast 30 000 Tote, allein im Jahr 1943 bezifferte die Hauptluftschutzstelle die Zahl der Obdachlosen auf 648 095 – den Autor dieser Zeilen und seine Familie inbegriffen.

Ausgerechnet Heiligabend 1943, früh um drei Uhr neunundzwanzig, heulten die Sirenen, um fünf Uhr neun gab es Entwarnung. Während der 100 Minuten erlebten wir das Inferno im Keller unseres Wohnhauses in Johannisthal: Erst kamen Hausbewohner, die sich vor die Tür getraut hatten, mit der Hiobsbotschaft, dass direkt über uns diese „Christbäume“ standen. Das waren beleuchtete Markierungen für jene Flugzeuge, die in einem bestimmten Areal ihre Bomben ausklinken sollten. Kurz danach krachte es auch schon: Im Nebenhaus war eine Luftmine explodiert, Staub rieselte und Steine flogen durch den Raum, einige Menschen beteten laut – nach der Entwarnung hatte unsere Wohnung eine Totalsanierung nötig, wir waren ausgebombt und obdachlos. Den Angriff hatten 338 Flugzeuge der britischen Royal Air Force mit dem Ziel „östliche Teile der Stadt“ geflogen. Fünf Tage später kamen 656 Maschinen, bombardierten Neukölln und Tempelhof.

Ablauf und Umfang der Luftangriffe sind der gewichtige Teil einer umfangreichen Dokumentation, die jetzt der Historiker Laurenz Demps recherchiert hat. Aus vielerlei Quellen schöpfend (wie den Berichten der Hauptluftschutzstelle der Stadtverwaltung von 1940 bis 1945 und zahlreichen Artikeln und Dokumenten) entsteht ein facettenreiches Bild jener Jahre, in denen ein Luftschutzbunker nach dem anderen gebaut wurde und die Berliner (vor allem Berlinerinnen mit ihren Kindern) aufgefordert waren, ein „Schutzraumgepäck“ anzulegen. Das war ein Köfferchen, stand griffbereit im Flur und enthielt laut Merkblatt „Decken, Kissen, Taschenlampen, Lebensmittel, für Kinder und Kranke Thermosflaschen mit Getränk, Kinderspielzeug, wichtige Papiere“. Wie sich der Alltag in Berlin unter dem Eindruck der Bombardements entwickelte ist ebenso ein Thema des Buches wie die Rolle Berlins als politisches, kulturelles und industrielles Zentrum. Kaum zu glauben, dass noch 1940 hier 1492 Zeitungen und Zeitschriften erschienen.

Der britische Luftmarschall Arthur Harris schrieb am 3. November 1943 in einer Denkschrift an Winston Churchill: „Wir können Berlin von einem bis zum andren Ende einäschern...Es wird uns 400 bis 500 Flugzeuge kosten. Es wird Deutschland den Krieg kosten.“ Ziel war nicht nur die Zerstörung, sondern auch „die Schwächung der Moral der feindlichen Zivilbevölkerung, besonders der Industriearbeiter“. Aber es gab keine Revolution gegen Hitler. Die Berliner ertrugen das. Oder flohen aus der Stadt aufs Land.

Am Ende, am 25. Mai 1945, flog der Vertraute des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman, Harry Hopkins, über Berlin. Er sah Trümmer und Ruinen, geborstene Mauern, Bombenkrater. Und notierte für seinen Chef: „Das ist das zweite Karthago!“

Laurenz Demps (Hg.): Luftangriffe auf Berlin, 360 Seiten, 19 Fotos, Schriftenreihe des Landesarchivs, 29,90 Euro.

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