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Berlin: Der Triumph des ewigen Oppositionellen

Hans-Christian Ströbeles politische Karriere schien beendet. Von der Landesliste verdrängt, nahezu chancenlos als Direktkandidat in einem schwierigen Wahlkreis.

Von Bernd Matthies

Ein Popstar? Auf seiner Website posiert Hans-Christian Ströbele in allen Farben: Grün die Schultern, blau die Haare, kohlrabenschwarz, geradezu waigelhaft, die Augenbrauen, alles eingebettet auf kreischrotem Grund, dazu ein kämpferisches, hoffnungsfrohes Grinsen, das „Venceremos!“ bedeuten könnte oder „Waffen für El Salvador“. Doch dieser bunte Revoluzzer ist kein Umstürzler, es sei denn, man verstünde schon den historischen Gewinn des ersten Direktmandats für die Grünen als Revolution.

Ströbele, der Berliner Altlinke und Radikalpazifist, eine Personalunion aus Lichtgestalt und Nervensäge, hat diesen Erfolg offenbar wesentlich aus einem einzigen Grund errungen: Weil er exakt 49 208 Wählern als Inbegriff des unbestechlichen, authentischen und damit glaubhaften Politikers gilt: Als einer wie sie, der lieber Strickjacke trägt als Schlips und Kragen, der lieber im Elektromobil zur Eckkneipe rollt als sich im gepanzerten Dienstwagen zu verschanzen, einer, der schon deshalb nicht als anfällig für Bonusmeilen gilt, weil sich niemand vorstellen kann, dass er überhaupt freiwillig ein Flugzeug besteigen würde.

Eine Rarität: Ein Abgeordneter mit einem eindeutigen Minderheitenprogramm zeigt sich vor allem wegen seiner eigenwilligen Persönlichkeit als mehrheitsfähig. Überall sonst in Berlin haben die Grünen-Wähler ihre Erststimme taktisch sauber bei der SPD abgeliefert; in Friedrichshain-Kreuzberg, Ströbeles Wahlkreis, war es genau umgekehrt. Denn er hat ganz gezielt und gegen vernehmliches Knurren in seiner Partei einen Ich-Wahlkampf inszeniert, hat ausschließlich um Erststimmen gekämpft, und manchmal las sich das so, als sei ihm völlig gleich, wohin die Zweitstimmen gehen. Das ist eben Kreuzberg, das grüne Biotop: Die Leute wählen am liebsten die Opposition, und die kriegen sie von Ströbele geboten, ganz gleich, wer an der Regierung ist. Er ist wie sie gegen Krieg und Korruption und Regenwaldzerstörung und CDU-Rhetorik, und wenn die Globalisierungsgegner sich einen der Ihren zum Präsidenten wählen würden, wäre er erste Wahl.

Seine Wirkung reicht von den letzten Kreuzberger Wirrköpfen bis weit ins linksliberale Bürgertum, wo man seinen Hang zum einfach gestrickten Weltbild gern als sympathische linke Querköpfigkeit und Ausdruck politischer Artenvielfalt interpretiert. So war es kein Wunder, dass sich eine parteiübergreifende Initiative bis hinein in die SPD bildete, als Ströbele sich bei der Aufstellung der Wahllisten auf einen aussichtslosen Platz abgedrängt sah; selbst die Direktkandidatur hatte er ja mehr aus Gewohnheit erhalten, und weil die rund 60 von etwa 600 eingeladenen Parteimitglieder der Grünen an dem betreffenden Abend keine Lust hatten, lange zu diskutieren.

Fragen der Wahlkampfstrategie wurden also in den Biergarten verlegt, und der Kandidat machte sich fortan seinen Wahlkampf selbst, schon, um den Parteifeinden zu zeigen, dass seine linke Version grüner Politik nicht aus der Mode sei und er nicht so isoliert, wie alle meinten. Ein Beweis, den er auf der Grundlage eines sicheren Listenplatzes kaum so schlagend hätte führen können.

Ströbele bearbeitete seine Wähler fortan mit wahrer Inbrunst. In der gesamten heißen Phase des Wahlkampfs zog er durch den Wahlkreis, redete unter freiem Himmel mit den einen, die in Szene-Kneipen bei Rucola und Pinot Grigio saßen, und den anderen, die im Biergarten Rostbratwürste verdrückten. Das Wetterglück multiplizierte die Reichweite dieser schlichten Konzeption, die Sonne schien ohne Pause, und so hatte irgendwann auch der letzte Sympathisant ein Faltblatt neben seinem Teller: „Guten Tag, ich bin Christian Ströbele, Ihr Direktkandidat für den Wahlkreis.“ Doch diese Vorstellung war eigentlich schon unnötig, ,,denn aus seinen zahllosen Fernsehauftritten wegen des Spenden-Untersuchungsausschusses kennt ihn ohnehin jeder als unerbittlichen Rächer der Enterbten und Entrechteten“. Überraschenderweise schlug dieser Effekt bei der Wahl auch in Friedrichshain und Prenzlauer Berg (Ost), dem östlichen Teil des Wahlkreises durch – die Ströbele-Authentizität verschlug offenbar auch bei vielen PDS-Wählern, die von Gysis Rückzug enttäuscht waren, und denen die flotte Bärbel Grygier zu wenig prinzipientreu schien. Selbst der Wahlkreisfavorit, SPD-Kandidat Andreas Matthae, kam dagegen nicht an, obwohl er doch als gestandener Sozialarbeiter den Kreuzberger Kiez genauso gut kennt und in den Kneipen wohl keine schlechtere Figur macht.

Und dann das Attentat, das möglicherweise noch letzte Mitleids-Wähler mobilisierte: Ein durchgedrehter Rechtsradikaler schlug Ströbele zwei Tage vor der Wahl eine Stahlrute auf den Kopf – Gehirnerschütterung. Ströbele sagte alle Termine ab, und auch nach seinem Wahltriumph zögerte er eine Weile mit dem ersten Auftritt.

So war es an den anderen Prominenten der Partei, freundliche Worte zu finden für den erfolgreichen Direktkandidaten, anzudeuten, dass man seine Position ernster nehmen wolle. Die grüne Regierungsfraktion hat ihre eingebaute Opposition wieder – sobald die Kopfschmerzen abgeklungen sind.

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