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Berlin: Der unsichtbare Nachbar

Seit 46 Jahren lebt das Ehepaar Fromm in Pullach Tür an Tür mit dem Bundesnachrichtendienst. In der Nähe der Spione fühlten sie sich sicher

Von Daniel Pontzen,

Pullach

Seine Frau hätte ja auch einfach Nein sagen können. „Haben Sie etwas mitgebracht?“, hatte der uniformierte Beamte die Dame gefragt, die neben Fritz Fromm auf dem Beifahrersitz kauerte. „Eine Holzkiste zum Münzensammeln“, hatte Viktoria Fromm geantwortet und damit Misstrauen geweckt. Ihr Mann musste aussteigen, wurde verhört und in eine Zelle gedrängt. Zur Kontrolle musste er sich nackt ausziehen. Erst nach vier Stunden ließen sie ihn gehen, ohne jeden Kommentar.

Jene Kontrolle Anfang der 60er Jahre ist die einzige, die sich Fritz Fromm ins Gedächtnis gebrannt hat. Sie mag den düsteren Phantasien entsprechen, die Anwohner in Mitte jetzt mit ihrem künftigen Nachbarn BND verbinden. Das Ehepaar Fromm lebt seit 46 Jahre Tür an Tür mit dem Bundesnachrichtendienst. Und Fritz Fromm hat selbst in Mitte gewohnt, nahe der Jannowitzbrücke ist er aufgewachsen, er kennt die Menschen und er kann ihre Befürchtungen verstehen. Und er kann Entwarnung geben. Die erniedrigende Kontrolle hat er nämlich nicht in Pullach erlebt, sondern in Berlin, Grenzübergang Heinestraße. In dem Münchener Vorort sind sie nie überprüft worden, nur dem Sohn ist das einmal passiert. „Ich wohne hier, jetzt macht’s euch mal nicht in die Hosen“, habe der Sohn den Beamten da gesagt. Und durfte weiterfahren.

Wenn Fritz Fromm, 81, und seine Frau Viktoria, 76, vom BND sprechen, dann klingt das so, als erzählten sie von einem Mitglied der erweiterten Familie, von dem sie zwar nicht allzu viel wissen, von dessen Güte und Honorigkeit sie aber tief in ihren Herzen überzeugt sind. „Wir haben uns hier immer sehr wohl gefühlt“, sagt der große, rüstige Mann. Seine Frau nickt. „Mir tut’s aufrichtig leid, dass sie wegziehen.“

Die Fromms können sich ein Urteil erlauben. 15 Meter von ihrem Schlafzimmerfenster entfernt erhebt sich die Mauer aus dem Boden, die sich vier Kilometer lang durch das Isartal zieht und mehr als 68 Hektar Behördengelände hinter sich versteckt. Wären darauf nicht jeweils in einigen hundert Metern Abstand Hinweisschilder mit der Aufschrift „Achtung Schutzbereich! Fotografieren verboten!“ befestigt und hätte nicht, wie Fromm meint, „irgendein Bekloppter“ irgendwann mal Stacheldraht darüber spannen lassen, die Mauer störte das Ortsbild kaum. Auch die vereinzelten Videokameras nicht. „Jeder Großkopferte hat hier eine Mauer oder eine Thujenhecke um sein Grundstück gezogen“, sagt Fromm. Großkopferte gibt es viele in Pullach, und deshalb gibt es auch viele Mauern und Thujenhecken. Wie dunkelgrüne Wände ziehen sie sich akkurat gestutzt durch die Ortschaft. Der BND störe gar nicht, findet Frau Fromm. Im Gegenteil. „Das hier ist der sicherste Ort“, sagt sie und tippt mit der Fingerkuppe auf den Tisch. „Ich brauche nicht mal mein Radl abzuschließen.“

Nicht alle der 9300 Einwohner Pullachs haben ein solch romantisches Verhältnis zu dem anonymen Anrainer. Vielen ist der Wegzug des BND ziemlich egal, weil der Dienst so unnahbar ist wie ein Nachbar, der zwar freundlich grüßt aber niemals Einblick hinter seine Wohnungstür gewährt. „Wir haben fast nix mitbekommen“, sagt ein Gemeinderatsmitglied – nur den Verkehr, viel Verkehr, vor allem in den Stoßzeiten. Bis zu 6000 Mitarbeiter sollen in der Hochzeit auf dem Gelände gearbeitet haben. Ansonsten hielt sich der Kontakt zwischen Geheimdienst und Pullachern in Grenzen. Mal in engeren, mal in weiteren, je nach Behördenchef. Einmal durfte die Feuerwehr zur Übung auf den geheimen Grund. Das lief sehr menschlich ab, erinnert sich der Gemeinderat, nach getaner Arbeit gab es Leberkässemmeln für alle. Neuerdings gönnt sich der BND im Umgang mit der Außenwelt sogar ein wenig Humor, auch wenn das nicht leicht fällt nach 40 Jahren Ernsthaftigkeit. Das Kochbuch „Topf Secret“ haben sie herausgegeben. Motto: „Speisen, Spannung und Spione“.

Direkter Kontakt war rar, nur wenige Geheimdienstler wohnten im Ort, die meisten kamen von außerhalb, so wollten es die Chefs. Die anderen firmierten unter falschen Namen, fuhren mit falschen Kennzeichen und erzählten falsche Geschichten. Natürlich flogen die Lügen im Namen des Vaterlandes bisweilen auf. Ein Anwohner erinnert sich an einen verschneiten Wintertag, an dem er seinem Nachbarn anbot, ihn im Auto mit in die Stadt zu nehmen. Doch der weigerte sich beharrlich, obwohl er dort arbeitete, wie er stets behauptet hatte. Schließlich ließ er sich bis zur S-Bahn-Station mitnehmen, bedankte sich höflich, fuhr eine Station und kehrte vor den Augen des Nachbarn gleich mit der nächsten Bahn zurück. Täuschen will gelernt sein.

Herr Fromm hat so etwas nicht erlebt. Einmal erkundigten sich zwei Männer über die Ehefrau eines Bekannten, die, das hatte er längst geahnt, beim BND arbeitet. Ob sich die befreundete Familie in jüngster Zeit größere Anschaffungen gegönnt hätte, wollten die Herren wissen. Sprich: Ob die BND-Mitarbeiterin möglicherweise geheime Informationen verkaufe. Natürlich nicht, hat ihnen Herr Fromm gesagt. Dann sind die Männer wieder gegangen. „Sie waren sehr höflich“, sagt Frau Fromm. Aufdringlich seien die Mitarbeiter ohnehin nie gewesen, nie hätten sie bewaffnete Beamte gesehen, der letzte Streifenwagen habe vor zehn Jahren patrouilliert. Einmal, vor Jahrzehnten, als anstelle der Mauer noch ein Zaun stand, ist Herr Fromm sogar hinüber geklettert, um einen Tischtennisball zurückzuholen. „Sie haben nicht geschossen.“ Beklemmende Stimmung habe nie geherrscht, allenfalls sei mal ein Hubschrauber gelandet, „ja mei“, sagt Frau Fromm, „dann kommt halt mal der Bundespräsident oder der Schröder. Das ist auch kein Problem.“ Sie sagt das, als hätte sie für drei gekocht.

Herr Fromm schaut aus dem Fenster und hebt einen Finger. Wenn er jetzt schon mal Gelegenheit habe, den Berlinern etwas zum Umzug des BND zu sagen, wolle er sie nutzen: „Habt keine Angst!“, sagt er und lächelt, weil er weiß, dass sein nächster Satz ein wenig kitschig klingt. „Wir leben hier auf einer der Insel der Seligen.“ 2008 ist es damit vorbei. „Ich beneide die Berliner ein bisschen“, sagt Frau Fromm. Ihr Fahrrad will sie dann abschließen. Man weiß ja nie.

Daniel Pontzen[Pullach]

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