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Berlin: Deutschland sucht die Superkirche

Alt-Krüssow kämpft heute Abend mit einer ungewöhnlichen Aktion um sein Gotteshaus: In einer TV-Show will das Dorf 500 000 Euro für die Sanierung gewinnen

In den kleinen Ort fährt man hinein, umkurvt die mächtige Kirche und ist schon wieder draußen. Es blöken ein paar Schafe, ein Traktor rollt scheinbar ziellos über eine zaunlose Wiese. Elisabeth Huber, graue Haare, blau geblümte Kittelschürze, hackt die Vegetation an den Rändern ihrer Hofeinfahrt kurz und klein. Nebenan klaffen die offenen Wunden längst verlassener Bauernhäuser.

Alt-Krüssow nahe Pritzwalk in der Ostprignitz, 109 Seelen klein, döst durch den Tag. So geht das die meisten Tage im Jahr. Doch heute Abend ist es mit der Beschaulichkeit vorbei. Alt-Krüssow kommt ins Fernsehen. 1000 Menschen sollen sich auf dem Platz vor der Kirche versammeln. Übertragungswagen, Kameras, Scheinwerfer werden platziert. Frau Huber, immerhin 71 Jahre alt, kann sich an kein vergleichbares Großereignis in Alt-Krüssow erinnern.

Es geht um eine halbe Million Euro. In einer Fernsehshow, übertragen von RBB und MDR, sollen die Zuschauer entscheiden, wem der Geldsegen zusteht. Neben Alt-Krüssow sind drei Dörfer im Rennen – Walddorf in Sachsen, Wechmar in Thüringen und Polleben in Sachsen-Anhalt. Alle brauchen das Geld dringend für die Sanierung ihrer Dorfkirchen. Die halbe Million Euro kommt von der kircheneigenen Stiftung „Kiba“ in Hannover.

Weil die Alt-Krüssower nicht gerne in die Kameras sprechen, werden sie Uwe Dummer vorschicken, Hebebühnen-Vermieter und Vorsitzender des Fördervereins für die Erhaltung der Dorfkirche. Dummers marineblaue Augen sind beseelt von der Mission, die Kirche zu retten. In den 80er Jahren stand er zum ersten Mal in deren gewölbtem Saal, sah, wie das Sonnenlicht durch das Ostfenster hindurch den Fußboden bemalte. Es war ein „Wow-Erlebnis“, bekennt er. Früher hätten sie gesagt, ein Fingerzeig Gottes.

Die Kirche von Alt-Krüssow ist nicht irgendeine. Gebaut wurde sie Anfang des 16. Jahrhunderts als Wallfahrtskirche zu Ehren der heiligen Anna, der Großmutter Jesu. Ein großes, repräsentatives Bauwerk. Pilger stifteten fleißig für ihr Seelenheil. Lahme und Blinde kamen, um von ihren Leiden erlöst zu werden. Ein Chronist erzählt von Krückenstapeln, die sich in der Kirche anhäuften. Als wunderwirksame Reliquie soll sich früher ein Stück vom „Rock der heiligen Anna“ in der Kirche befunden haben.

Nach der Reformation versiegte der Pilgerstrom. Die kostbaren Gaben wurden aus der Kirche entfernt und später verkauft. Im 19. Jahrhundert befanden die protestantischen Pfarrer die Anna-Reliquie als völlig wertlos und verschenkten den „Lappen“ als „Kuriosum“ ans Märkische Museum in Berlin. Dort wurde das Stück inventarisiert und nicht weiter beachtet. Inzwischen ist es spurlos verschwunden.

Der wertvolle Flügelaltar von 1520 steht seit 1965 in Pritzwalk, als Leihgabe, wie die Alt-Krüssower betonen. Der Kirchenraum ist überwiegend kahl. Die Gottesdienste – ohnehin nur alle vier bis sechs Wochen – werden in der Kapelle abgehalten. Es erscheinen fast immer dieselben vier oder fünf älteren Damen, darunter natürlich Frau Huber. Sie ist in Alt-Krüssow getauft, konfirmiert und getraut worden. Die Kirche sieht sie jeden Tag, wenn sie aus der Tür tritt.

In den 80er Jahren wollten sie schon mal den Turm abreißen, aber die Kirchengemeinde hat gesammelt, und der Turm bekam ein neues Dach. Nach der Wende wurde auch ein Teil des Kirchendaches neu gedeckt, aber übersehen, dass der Dachstuhl darunter langsam wegfaulte. 2003 bildete sich ein Förderverein, finanzierte ein Schadensgutachten, das die Kosten für die Grundsanierung auf 600 000 Euro bezifferte. „Wir könnten morgen mit den Ausschreibungen anfangen“, sagt Uwe Dummer.

Der Förderverein sucht nach einer neuen Nutzung für die Kirche, um zu verhindern, dass sie wieder in Vergessenheit gerät. Konzerte wurden bereits veranstaltet, aber richtig gezündet hat noch keine Idee. Die Kirche ist viel zu groß, um sie nur den Alt-Krüssowern zu überlassen. Touristen sollen kommen, moderne Wallfahrer, aber dazu müssten erst mal die Schäden beseitigt und das Inventar zurückgeholt werden.

Elisabeth Huber weiß schon, was sie heute tun wird: Kuchen backen. In rauen Mengen. Die halbe Dorfbevölkerung muss zudem Glocken läuten, von kleinen Tischglocken bis zu großen Kuhglocken. Der „Hochzeitsmarsch“ als Glockenspiel ist eine der Disziplinen, in denen die vier Dörfer gegeneinander antreten. Die übrigen Aufgaben sind geheim.

Tausende Flyer haben sie schon verteilt, Plakate geklebt, auf denen „500 000 Euro“ in riesigen Lettern prangt. Alle Brandenburger und Berliner sollen am heutigen Sonntag um 20.15 Uhr vor dem Fernseher sitzen, RBB gucken und zum Telefon greifen – die magische Nummer: 0173-906050-4. Oder eine SMS schicken: „Dorf 4“ an die Nummer: 60-500.

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