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Erst 1925 wurde das östliche Ende des Kurfürstendamms zur Budapester Straße (im Hintergrund das Aquarium).

© Kai-Uwe Heinrich

Ungarn: Partnerland der Grünen Woche: Dickes B - an der Donau und an der Spree

Budapest und Berlin haben mehr gemein als nur den ersten Buchstaben: Zwischen beiden Städten gibt es viele Verbindungen, historische wie aktuelle.

Die Grüne Woche beginnt, Partnerland ist Ungarn, das gerade wieder Schlagzeilen macht. Dorthin pflegt Berlin ein besonderes Verhältnis. Eines, zu dem Fluchten gehören, Sehnsüchte, Schlenkis und Pál Dárdai. Lesen Sie hier einen Text über die zahlreichen Verbindungen zwischen Berlin und Budapest.

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Die Beziehung zwischen Berlin und Ungarn lässt sich sogar in Metern ausdrücken: Es sind etwa 950. So lang erstreckt sich die Budapester Straße zwischen dem Breitscheidplatz und der Corneliusbrücke über den Landwehrkanal. Seit 1915 hatte es in Berlin eine nach Ungarns Hauptstadt benannte Straße gegeben. Die erste verband Potsdamer Platz und Brandenburger Tor und hieß zuvor Königgrätzer Straße, nach der für Österreich so fatalen Schlacht gegen Preußen 1866.

Angesichts der neuen Waffenbrüderschaft der einstigen Feinde schien das nicht mehr opportun, ein anderer, dem Verbündeten irgendwie schmeichelnder Name musste her. Der hatte nur zehn Jahre Bestand, bis man die Straße nach dem verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert umbenannte und Budapest ersatzweise das östliche Ende des Kurfürstendamms zugesprochen bekam, der seither auf einige der ursprünglichen Hausnummern verzichten muss. 1965 kam ein kurzes Stück der Kurfürstenstraße hinzu, damit war die heutige Budapester Straße komplett.

Eine Kuriosität der Stadtgeschichte, in diesen Wochen der Grünen Woche mit Ungarn als Partnerland aber von besonderem Interesse wie auch die anderen zahlreichen Kreuz- und Querverbindungen zwischen Berlin und Ungarn. Zumal deren Verhältnis viel intensiver, emotionaler ist als etwa das zu Marokko, Lettland oder Estland, den vorigen Partnerländern. Nehmen wir nur Sissi, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn: Leopold Altenburg, Schauspieler, Regisseur, Kabarettist und im übrigen Sissis Ururenkel, lebt heute in Hermsdorf.

Insgesamt 5397 Ungarn sind in Berlin gemeldet

Zurück zu den Zahlen, diesmal als Mengenangabe: 5397. So viele Ungarn, bei leichtem Männerüberschuss, waren laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Stichtag 30. Juni 2016 in der Hauptstadt gemeldet. Organisiert sind sie in Vereinen wie der Ungarischen Kolonie oder der Ungarischen Vereinigung, auch eine Ungarische Katholische Mission gibt es, die jeden zweiten Sonntag im Monat zur Heiligen Messe in ungarischer Sprache nach Moabit in die St.-Paulus-Kirche lädt. Erstmals hatten sich in Berlin lebende Ungarn sogar bereits 1846 in einem Verein zusammengefunden.

Nicht jedem Ungarn ist die enge Bindung zu Berlin bekommen. Döme Sztójay etwa, von 1925 bis 1933 Militärattaché und von 1935 bis 1944 Botschafter in Berlin, danach für einige Monate Ministerpräsident und den Nazis bei der Ermordung der ungarischen Juden zu Diensten, wurde 1946 als Kriegsverbrecher in Budapest hingerichtet.

Sztójays Dienstsitz in der Tiergartener Drakestraße, auf dem Zoo-Erweiterungsgelände, wurde im Krieg zerstört. Die Volksrepublik Ungarn hatte ihre Botschaft erst in der Treptower Puschkinallee und wechselte 1966 an die heutige Ecke Unter den Linden/Wilhelmstraße. Das damals entstandene Haus wurde 2001 durch einen Neubau ersetzt, heute wird Ungarn durch Botschafter Peter Györkös vertreten.

Als kulturelles Schaufenster des Landes von Donau und Balaton war schon 1973 in der Karl-Liebknecht-Straße 9 das Haus Ungarn eröffnet worden, das sich dank der vergleichsweise moderaten Kulturpolitik seines Landes rasch zu einem Treffpunkt von DDR-Künstlern und -Intellektuellen entwickelte, die sich von der repressiven Atmosphäre ihres Landes erholen und mit Gleichgesinnten austauschen wollten. Heute heißt der Ort immer noch so, ist aber ein privat betriebener Veranstaltungsort. Das Ungarische Kulturinstitut Collegium Hungaricum befindet sich seit 2007 in der Dorotheenstraße 12, eine hochgeschätzte, aus Berlins Kulturleben nicht mehr wegzudenkende Institution in einem ebenso ambitionierten Gebäude.

Während des Ungarn-Aufstandes wurde auch in Berlin für die Flüchtlinge gesammelt

Geschaffen hat es der Architekt Peter P. Schweger, 1935 geboren im rumänischen Siebenbürgen, 1944 mit seiner Familie nach Budapest geflohen, wo er später sein Studium begann. Mit seinem Bruder beteiligte er sich an Studentenprotesten und floh im November 1956 beim Scheitern des Ungarischen Volksaufstands über die grüne Grenze nach Österreich. Über 200 000 Ungarn entkamen damals ins westliche Ausland, denen gerade auch in Berlin, drei Jahre nach Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953, große Sympathie entgegengebracht wurde. „Spendet für die Opfer des ungarischen Freiheitskampfes!“, so rief der Tagesspiegel am 28. Oktober 1956 auf, und die Berliner spendeten, auf das spontan eingerichtete Sonderkonto des Blattes, dann auf das Ungarnhilfe-Konto des DRK. Anfang November waren bereits 60 Tonnen Sachspenden zusammengekommen, Kleidung vor allem, für die Flüchtlinge in Österreich.

In der DDR war das „Haus Ungarn“ ein Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen, heute ist es ein privater Veranstaltungsort.

© Imago

Noch zweimal prägten Flüchtlingswellen das Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn. Die Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich am 10. September 1989 beschleunigte das sich abzeichnende Ende der DDR und war eine entscheidende Etappe auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Am Reichstagsgebäude erinnert eine Bronzetafel seit 1991 an diese historische Sternstunde, ein Gegenstück wurde im Jahr darauf am Parlamentsgebäude in Budapest enthüllt. Ungarn konnte damals auf die andauernde, in vielen Reden und Erklärungen beschworene Dankbarkeit der Deutschen vertrauen.

Das Land hatte ein überaus positives Image, das die aktuelle Regierung unter dem erznationalkonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán unter anderem mit ihrer rigiden, europaweit kritisierten Flüchtlingspolitik Schritt für Schritt verspielt. Im Wendejahr 1989 hatte das Land als erstes seine Grenzzäune niedergerissen, jetzt zog es an der Grenze zu Serbien und Kroatien neue wieder hoch.

Doch trotz aller Irritationen über diesen Rückfall in ein alles andere als liberaldemokratisches Herrschaftsgebaren: Die Bilanz des Verhältnisses Berlin-Ungarn bleibt doch positiv. Im Bereich des Sports allemal, beispielsweise bei Hertha BSC: Von 1997 bis 2000 stand dort der Ungar Gábor Király erfolgreich im Tor – sein Markenzeichen: eine graue Trainingshose, genannt „Schlabberhose“. Ebenfalls 1997 startete Landsmann Pál Dárdai seine Karriere als Hertha-Spieler, die 2012 endete. Heute ist er der Cheftrainer.

Auch die Wasserfreunde Spandau 04 vertrauen auf Ungarn. Dort hütet Laszlo Baksa seit 2013 das Tor, nebenbei betreibt er mit seinem Freund Sanyi den Spezialitätenladen „Borsó – Die Ungarische Speisekammer“ in der Wilmersdorfer Straße 132.

Ein besonders weites Feld ist schließlich die Kultur. Insgesamt 50 Gäste aus Ungarn kamen seit 1963 über das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Berlin. Der 2006 bei Matthes & Seitz verlegte Band „,Berlin, meine Liebe. Schließen Sie bitte die Augen.’ Ungarische Autoren schreiben über Berlin“ versammelte Texte von 20 Schriftstellern, darunter dem Nobelpreisträger Imre Kertész, ehemals DAAD-Stipendiat, später lange Zeit Wahlberliner, sowie György Konrád, von 1997 bis 2003 Präsident der hiesigen Akademie der Künste. Máté Szücs, 1. Solo-Bratscher der Philharmoniker, Henrik Nánási und Iván Fischer, die Chefdirigenten der Komischen Oper und des Konzerthausorchesters – alles Ungarn, wie auch der in Berlin lebende Maler, Bildhauer und Konzeptkünstler László Lakner und der berühmte Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy, der von 1928 bis 1934 in Berlin sein Atelier hatte.

Ein Film ist in Berlin verboten? Dann hat er eben in Budapest Premiere

Filmregisseur István Szabó, auch er Mitglied der Akademie der Künste, schuf mit „Hanussen“ und „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“ Filme mit tief in der Berliner Geschichte wurzelnden Stoffen. Und Fritz Lang griff in seinem in Berlin spielenden Thriller „Das Testament des Dr. Mabuse“ für die Rolle des von der wahnsinnigen Titelfigur mittels Hypnose gesteuerten Irrenarztes auf den ungarischen Schauspieler Oscar Beregi Sr. zurück.

183 Berliner Kinos hatten den Film im März 1933 gebucht, zur Vorführung kam es nicht: „Praktische Anleitung zum Verbrechen. Wird verboten“, heißt es am 29. März in Joseph Goebbels’ Tagebüchern. So hatte die deutsche Fassung des Films – es gab auch eine französische, die in in Paris uraufgeführt wurde – erst verspätet am 21. April 1933 ihre Premiere: im Kino „Royal Apolló“ in Budapest.

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