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Terminsache. Warten auf dem Flur des Bürgeramtes kann dauern.

© Kai-Uwe Heinrich

Wahl-Serie: Ämter: Die Berliner Problemverwalter

100 statt 60 Fälle für einen Sozialarbeiter: Überlastung macht viele Mitarbeiter der Berliner Behörden krank. Jetzt gehen auch noch Tausende in Rente.

Andrea Kühnemann, erfahrene Personalratsvorsitzende im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, kennt die Probleme. Sie sieht seit Langem, dass nicht mehr genügend Menschen in den Berliner Landesbehörden arbeiten. Zwar habe die Politik inzwischen erkannt, dass die Zahl der Beschäftigten wieder aufgestockt werden müsse.

Allerdings gebe es, so Kühnemann, nicht mehr genug Interessenten, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollten. „Das betrifft nicht nur Berufe wie Ingenieure oder Ärzte, für die wir schon seit Jahren keine Leute mehr finden.“ Inzwischen gelinge es nicht einmal mehr, Sachbearbeiterstellen in den verschiedenen Ämtern neu zu besetzen.

Die Personalprobleme ziehen sich quer durch alle Bereiche, egal ob Sozial- oder Jugendamt, Hoch- oder Tiefbauabteilung. Knapp 2000 Beschäftigte hat der Bezirk – Kitas und Schulen nicht eingerechnet. Kühnemann geht davon aus, dass etwa 100 Stellen derzeit nicht besetzt sind. Die vorhandenen Mitarbeiter seien so überfordert, dass die Zahl der Überlastungsanzeigen stark gestiegen sei.

Krankenstand beträgt bis zu 30 Prozent

„Was früher ein Manko war, ist heute normal“, sagt Kühnemann. Selbst Leistungsträger in den Behörden signalisierten ihren Vorgesetzten, dass die Arbeit nicht mehr zu schaffen sei. In manchen Fällen kann dies auch der eigenen Absicherung gelten. Wenn ein Mitarbeiter im Jugendamt anstatt 60 bis zu 100 Fälle betreuen muss, dann können Fehler passieren oder Versäumnisse vorkommen.

Kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, frage der Richter durchaus, ob eine Überlastung angezeigt wurde, sagt Kühneman. Überlastung macht zudem krank. Entsprechend hoch ist der Krankenstand im Bezirksamt; in einzelnen Bereichen liegt er nach Angaben der Personalratsvorsitzenden bei 20 bis 30 Prozent.

Tempelhof-Schöneberg ist keine Ausnahme. In den anderen elf Bezirken und in den Senatsverwaltungen sieht es nicht besser aus. Klaus Schroeder, Vorsitzender des Hauptpersonalrates, der alle Mitarbeiter des Landes Berlin vertritt, sagt, dass alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung betroffen seien.

Das Problem werde sich noch verschärfen: In der nächsten Legislaturperiode, also in den Jahren bis 2021, würden 30 000 Stellen altersbedingt frei und müssten neu besetzt werden. Das bringt Einbußen in der Qualität der Arbeit mit sich. „Uns geht ganz viel Wissen verloren“, sagt Andrea Kühnemann. Erfahrung langjähriger Mitarbeiter sei schwer ersetzbar. Daran wird es künftig häufiger fehlen, da in den vergangenen Jahren, um Geld zu sparen, so gut wie keine Nachwuchskräfte eingestellt wurden. Mitarbeiter zwischen Mitte 30 und Ende 40 gibt es deswegen kaum. „Uns fehlt quasi eine ganze Generation“, sagt Andrea Kühnemann.

Lageso als Sinnbild für Behördenversagen

Welche Auswirkungen eine überforderte Verwaltung hat, konnte die gesamte Republik im Sommer 2015 mehrere Monate lang am Beispiel Berlins betrachten: Bundesweit wurde das Lageso (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in der Flüchtlingskrise zum Sinnbild für Behördenversagen. Das lag nicht nur an den – auf einmal so zahlreich nach Deutschland kommenden – Flüchtlingen.

Das Lageso war seit 15 Jahren systematisch kleingespart worden, ohne gleichzeitig Strukturen zu schaffen, um auf neue Herausforderungen angemessen zu reagieren.

Nicht ganz so spektakulär aber immer noch höchst ärgerlich ist die Situation in den Bürgerämtern der Bezirke. Wer versucht, im Internet einen Termin für einen neuen Pass oder die Beantragung einer Parkvignette zu erhalten, hat in der Regel allenfalls am frühen Morgen eine Chance, einen Vorschlag zu bekommen – dann in der Regel nicht in der näheren Umgebung, sondern irgendwo in einem Amt am Rand Berlins und meistens erst in einigen Wochen.

Lediglich Menschen, die sich um- oder neu in Berlin anmelden möchten, können seit einigen Monaten in den Ämtern an Schnellschaltern bedient werden. Das diente vor allem dem Ziel, ein korrektes Wählerverzeichnis für die Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahl am 18. September zu garantieren.

Außerdem müssen die Behörden aus rechtlichen Gründen sicherstellen, dass Bürger ihrer Pflicht nachkommen, sich innerhalb von 14 Tagen am neuen Wohnsitz in der Hauptstadt anzumelden.

Im Wahlkampf versprechen alle Parteien mehr Personal

Geschichten von frustrierenden Erlebnissen können auch Berliner erzählen, die auf die Kfz-Zulassungsstelle angewiesen sind. Auch hier sind langes Warten und chaotische Zustände die Regel. Jugend- oder Sozialämter müssen in der ganzen Stadt tage- oder wochenweise Abteilungen für den Publikumsverkehr schließen, damit die Beschäftigten Aktenrückstände abarbeiten können.

Bekannt sind die Proteste bei der bezirklichen Jugendhilfe. Immer wieder haben dort in den vergangenen Jahren Mitarbeiter weiße Fahnen aus den Fenstern gehängt, um symbolträchtig darauf hinzuweisen, dass man überfordert – und mit der Kraft am Ende sei.

Der folgende Satz aus dem CDU-Wahlprogramm sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein: „Die Menschen in unserer Stadt haben ein Anrecht darauf, dass ihre Stadt funktioniert.“ Aber davon sind die öffentlichen Dienstleistungen, die die Berliner brauchen, weit entfernt. Auch SPD, Grüne und Linke versprechen vor der Berliner Wahl eine Modernisierung der Berliner Verwaltung und mehr Personal. Mal sehen, was daraus wird.

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