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Berlin: Die Beschäftigungspolitik des Senats hat einen Förderdschungel voller kurioser Projekte wachsen lassen

277 000 Menschen in Berlin sind arbeitslos. Die Zahl wäre erheblich höher, gäbe es nicht die öffentlich geförderte Beschäftigung, den so genannten zweiten Arbeitsmarkt.

277 000 Menschen in Berlin sind arbeitslos. Die Zahl wäre erheblich höher, gäbe es nicht die öffentlich geförderte Beschäftigung, den so genannten zweiten Arbeitsmarkt. Dabei kann sich Berlin nicht nur auf die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit verlassen, sondern muss auch selbst aktiv werden und eigene Programme starten. 550 Millionen Mark standen letztes Jahr im Landeshaushalt für die aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. "Jede hier eingesetzte Mark ist eine Investition für mehr Beschäftigung und damit eine Investition in die Zukunft", sagte gestern Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) nach der Veröffentlichung der neuesten Arbeitsmarktdaten.

In Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) oder Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) organisieren die insgesamt gut 34 000 Beschäftigten Kiezküchen, arbeiten in Frauenhäusern, Beratungsstellen oder in der Altenpflege. Sie entwickeln ein schwules Museum, reparieren Kinderspielzeug, sammeln Kleidung für Einrichtungen in Osteuropa oder nehmen Wohnwagen auseinander und entsorgen sie fachgerecht. Es finden sich Projekte mit Namen wie "Freizeitgestaltung von Kindern aus bikulturellen Ehen", "Beratung alkoholkranker Gehörloser" oder "Schilderwald an Berliner Straßen". Bisweilen sind die ABM-ler mit der Betreuung anderer öffentlich Geförderter beschäftigt, etwa in den Maßnahmen "ABM für ABM" oder "IDA-Betreuer". Manches Projekt bietet 20 bis 30 Menschen Arbeit, in anderen ist lediglich eine Stelle zu besetzen.

Der zweite Arbeitsmarkt ist auch ein lukratives Feld, um dessen Verteilung die freien Träger in den Wettbewerb treten. Von einem "unüberschaubaren Träger-Dschungel" sprechen Kritiker der Berliner Arbeitsmarktpolitik bisweilen. Niemand kann genau die Zahl derer benennen, die Maßnahmen anbieten. In einer Broschüre der Arbeitsverwaltung werden mehr als 1100 freie Träger aufgeführt, von denen einige aber mehrfach genannt werden. Noch unübersichtlicher ist die Zahl der Projekte und Maßnahmen, in denen die ABM- und SAM-Kräfte ihre befristete Arbeit finden.

Über 1700 Seiten hat der "Transparenz-Bericht" des Senats, der Aufschluss geben soll über die öffentlich geförderten Projekte. "Projekte-Sumpf" sagen manche Arbeitsmarkt-Experten - allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Dieser hatte seine Ursprünge in den achtziger Jahren, als über Senatsgelder für Selbsthilfegruppen, den nach dem früheren Sozialsenator benannten "Fink-Topf", auch alternative, oppositionelle Gruppierungen eingebunden werden sollten. Viele Träger stammten noch aus diesen Zeiten und hielten sich vor allem zum Zwecke der Selbsterhaltung über die Mittel aus Arbeitsmarktprogrammen über Wasser, heißt es. Auch die enge Verflechtung zu den "Service-Gesellschaften" wird gerügt. Die frühere Arbeitssenatorin und heutige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann ließ diese Anfang der 90er Jahre gründen, um nach dem Zusammenbruch des Arbeitsmarktes im Ostteil der Stadt die Umsetzung der großen arbeitsmarktpolitischen Programme zu organisieren. In den einst sieben, heute drei Service-Gesellschaften seien ebenfalls viele Angehörige aus der Selbsthilfeszene aus den 80er Jahren untergekommen. "Nahtlos wurden die gewachsenen West-Berliner Strukturen nach Ost-Berlin getragen und dort verfestigt", sagt ein Kritiker. Die Zeiten Berlins am Fördertropf des Bundes wirkten immer noch nach. Der "Transparenz-Bericht" zählt beispielsweise auf 144 Seiten allein die Projekte im Bezirk Mitte auf.

"Es ist immer besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit", kontert man im Haus von Arbeitssenatorin Schöttler. Außerdem seien gerade ältere Menschen oft gar nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, sondern auf den öffentlichen Sektor angewiesen. Sprecher Klaus-Peter Florian verweist zudem auf die so genannte Verbleibsquote: Ein halbes Jahr nach Ablauf eines ABM-Projektes hätten 40,8 Prozent der Beschäftigten Arbeit. Bei SAM liege die Quote sogar bei 48,5 Prozent. Zudem sei der öffentliche Arbeitsmarkt unabdingbar für die soziale Infrastruktur in der Stadt. "Wenn Sie das wegbrechen lassen, dann würde hier vieles anders aussehen", sagt auch Lieselotte Meinert vom Landesarbeitsamt.

Für die Unternehmensverbände sind bei der öffentlichen Förderung die Wiedereingliederungsmöglichkeiten auf dem regulären Arbeitsmarkt ausschlaggebend. Am wichtigsten sei die Qualität der Maßnahmen, sagt Sprecher Klaus-Hubert Fugger. Die derzeitigen Ausgaben des Landes für die Arbeitsmarktpolitik seien durchaus angemessen. Berlin müsse aber darauf achten, dass die Kofinanzierung zu Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds sichergestellt wird. Erst kürzlich hatte demgegenüber Finanzsenator Peter Kurth die Berliner Arbeitsmarktpolitik als zu uneffektiv und in den einzelnen Förderfällen als im Bundesvergleich zu teuer kritisiert.

45 Maßnahmen mit insgesamt 280 Teilnehmern bietet beispielsweise der freie Träger Pro AB Projektmanagement für Arbeit und Beschäftigung an, Schwerpunkte liegen im Umweltbereich, Jugend und Soziales. Zu der Klientel gehören viele ältere Arbeitslose. Die Chance für diese, auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden, sei da "ganz gering", sagt Martin Rüdiger, Leiter des Geschäftsbereichs Projektentwicklung. Insgesamt liegt die Quote bei rund 10 Prozent. Pro AB bietet beispielsweise über ABM fünf Stellen in dem Projekt "Altersgerechtes Wandern" an. Zielgruppe sind hier vor allem ältere Frauen, die mit gehbehinderten oder alten Menschen Spaziergänge machen. Einerseits könnten die Frauen kaum noch auf eine reguläre Beschäftigung hoffen, andererseits komme das Wanderangebot bei den Senioren "sehr gut an", sagt Rüdiger.

Bei der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft in Tempelhof (Bequit) läuft unter anderem die Maßnahme "ABM für ABM". Deren Stellen werden eher für den internen Bedarf der Beschäftigungsgesellschaft gebraucht. Die Kräfte unterstützen andere ABM-ler, beispielsweise bei Bewerbungen. Insgesamt betreut Bequit 30 Projekte mit 360 Mitarbeitern. Die Vermittlungsquote liegt bei rund 20 Prozent. Geschäftsführer Christoph Dahm sagt: "Generell fördert jede Tätigkeit die Vermittlung auf den Arbeitsmarkt.

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