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Berlin: Die Bilanz des Sommermärchens

Jubel bei den Hoteliers, gedrückte Stimmung in den Kneipen: Wer die Berliner Gewinner und Verlierer des WM-Jahres sind

Es war ein Rekordjahr. Das fünfzehnte in Folge. Mit rund 16 Millionen lag 2006 die Zahl der Hotelübernachtungen in Berlin einmal mehr über der des jeweiligen Vorjahres. Insgesamt waren es rund 140 Millionen Besucher, die die Hauptstadt laut der Berliner Tourismus Marketing GmbH (BTM) im Jahr 2006 besuchten. Als Gründe für den Besucherrekord vermutet BTM-Sprecherin, Natascha Kompatzki, die Fußball-Weltmeisterschaft und die verlängerten Öffnungszeiten. Doch während im Sommer noch allerorten freudiger Optimismus in der Luft lag, und das Ende der Wirtschafts-Schwarzmalerei ausgerufen wurde, ziehen am Ende des Jahres viele Berliner Unternehmer ein verhaltenes Resümee. Nicht die ganz Stadt hat von dem Besucherrekord profitiert. Das Wirtschafts-WM-Wunder ist anscheinend ausgeblieben.

Beispiel Gaststätten : Während die Hotels der Stadt in den ersten drei Quartalen 2006 ein Umsatzplus von 12,9 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres verzeichnen konnten, büßte das Gaststättengewerbe im gleichen Zeitraum 6,8 Prozent des Umsatzes ein. Zusätzlich lag auch im dritten Quartal 2006 die Anzahl der Gewerbeabmeldungen im Bereich Gastgewerbe einmal mehr knapp über der der Anmeldungen.

Als Verlierer des Jahres will sich die Branche trotzdem nicht bezeichnen lassen. Zwar nennt Klaus-Dieter Richter, der Vizepräsident des Hotel- und Gaststättenverbands und Vorsitzender des Fachbereichs Gastronomie, das endende Jahr ein „Trauerspiel“; von dem Negativtrend sei allerdings nicht die ganze Branche gleichermaßen betroffen. Speisebetriebe mit Eventangebot beispielsweise liefen nach wie vor sehr gut, sagt er. Die großen Verlierer seien die Kneipen . „Vor dem Anpfiff haben wir ja Wunder gedacht, was da passieren wird“, erinnert er sich. „Manche Wirte haben Tausende Euro in Video-Beamer und Lautsprecher gesteckt. Dass die Leute dann lieber mit Bier aus dem Supermarkt zum Public-Viewing gegangen sind, konnte vorher ja keiner ahnen.“ Die Leute hätten einfach zu wenig Geld, sagt er.

Auch der Berliner Einzelhandel zeigt sich zum Jahresende wenig euphorisch. Trotz WM, Besucherrekord und Fall des Ladenschlussgesetzes knüpft Klaus Fischer vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels nur „gedämpfte Erwartungen“ an das Jahr. Er wäre überrascht, wenn die Zahlen für 2006, die noch nicht endgültig vorliegen, die Ergebnisse des Vorjahres übertreffen würden, sagte er. Und hofft auf 2007. Dann sollen noch mehr Touristen in die Stadt kommen.

Davon geht auch Hans Eilers, beim Hotel- und Gaststättenverband zuständig für den Fachbereich Hotellerie , aus. Deutschland und Berlin hätten durch die WM im Ausland einen Imageaufschwung erfahren, der seine nachhaltige Wirkung erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen werde. Bis 2010 soll die Zahl der Hotelübernachtungen in Berlin noch einmal um vier Millionen, die Anzahl der Hotelbetten um 15 000 auf dann 100 000 steigen. Den größten Zuwachs sieht er bei den Drei- und Vier-Sterne-Häusern, die 2006 den Löwenanteil der Umsatzsteigerung für sich verbuchen konnten. Trotz eines Wachstums zwischen Januar und September 2006 von rund 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr spricht er nur von „verhaltener Freude“. Die Hotels seien 2006 zwar zu rund 70 Prozent ausgelastet gewesen, die Erwartungen der Hoteliers hätten angesichts der WM allerdings wesentlich höher gelegen.

Enttäuscht von dem laufenden Jahr wurden auch die Betreiber des Berliner Friedrichstadtpalasts . „Die Auslastung unseres Hauses betrug 2006 nur rund 60 Prozent“, klagt der künstlerische Geschäftsführer Thomas Münstermann. „Das ist ein Minus von 15 Prozent zum Vorjahr.“ Für den Umsatzrückgang macht er aber nicht nur die WM verantwortlich, die möglicherweise Besucher abzog, sondern auch eine Veränderung in der Struktur der Berlin-Besucher. „Es kommen immer weniger Bustouristen, die einen nicht unerheblichen Teil unseres Publikums ausmachen“, sagt Münstermann. Der Trend gehe zu Individualreisen. Auch eine geschwundene Kaufkraft hat er registriert. Die teuren Karten verkauften sich zwar immer noch gut, Einbußen gäbe es aber im mittleren Preissegment, bei den Karten für den Durchschnittsbürger. Gerade der wurde 2006 von den hohen Hotelpreisen zur WM abgeschreckt, befürchtet Münstermann.

Damit könnte er recht haben. Das statistische Landesamt Berlin verzeichnete im Monat Juli 2006, zum Höhepunkt der WM, im Hotelgewerbe ein Umsatzplus von 40 Prozent – bei nur zwölf Prozent mehr Gästen.

Dass die Gäste zwar fußball- aber nicht zwangsläufig kulturbegeistert waren, mussten auch die Staatlichen Museen Berlin feststellen: Zur Zeit der WM sanken die Besucherzahlen. Laut Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, konnte der Verlust aber durch die Eröffnung des Bode-Museums im Oktober ausgeglichen werden.

„Begeistert" vom Fußballjahr 2006 war hingegen Andreas Geitel. Gut zwanzig Prozent mehr Umsatz habe er gemacht, sagt der Chef der Berliner Stoffdruckerei (Best). Die Firma mit Sitz in Buckow war für die Beflaggung aller zwölf WM-Stadien zuständig und profitierte darüber hinaus von der Laufkundschaft, die ihrer Fußballbegeisterung mit dem Hissen von Landesflaggen Ausdruck verleihen wollte. Schon für die letzte Fußball-WM in Deutschland 1974 hatte Best die Fahnen hergestellt. Mit der diesjährigen Euphorie sei das allerdings nicht zu vergleichen, sagte Geitel. Der Höhepunkt war nur von kurzer Dauer: Es zeige sich jetzt, sagt er, dass die Euphorie so schnell verflogen sei, wie sie aufkam.

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