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Berlin: „Die CDU müsste Insolvenz anmelden“ Berlins Union im Umfragetief. Was Kienbaum-Headhunter Michael Tippmann der desolaten Partei rät

Nach neuesten Umfragen liegen Berlins Christdemokraten in der Wählergunst bei 19 Prozent. Ein Traditionsbetrieb verliert an Popularität und sucht erfolglos nach einem neuen Chef.

Nach neuesten Umfragen liegen Berlins Christdemokraten in der Wählergunst bei 19 Prozent. Ein Traditionsbetrieb verliert an Popularität und sucht erfolglos nach einem neuen Chef. Was empfiehlt der Fachmann für Unternehmensrettungen der Berliner CDU?

Die Leitung muss in sich gehen, eine Bestandsanalyse machen, also das Programm daraufhin untersuchen, was können wir den Kunden – Wählern und Mitgliedern – bieten. Und man muss ein Benchmarking machen: Was können wir besser als die Wettbewerber? Und wie werden wir noch besser?

Wie kann man die Debatte in einem Unternehmen mit so festgefahrenen Strukturen führen, wie es die Berliner CDU ist?

Man muss aufhören, sich überwiegend mit sich selbst zu beschäftigen. Gerade in traditionellen Familienunternehmen mit komplizierter Erbfolge kommt es vor, dass sie sich mit internen Problemen und Personalquerelen blockieren und ihren Urzweck vergessen, nämlich die Produkte, die Kunden und die Märkte. Der nächste Schritt wäre zu analysieren: Wo sind die Stärken, die wir fördern? Und wo sind die Schwächen, die wir eliminieren? Das kann dazu führen, dass man sich von Personal trennt, weil das nicht zu den Anforderungen des Marktes passt.

Welche Qualitäten braucht eine Führungsfigur, die so ein angeschlagenes Unternehmen wie die Berliner CDU führen soll?

So ein Mensch muss integrationsfähig sein und unterschiedliche Interessen auf eine Linie bringen. Zweitens muss er tragfähige Zukunftsstrategien entwickeln und durchsetzen können. Drittens muss er in der Lage sein, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen. Wer „Everybody’s darling“ sein will, wird nicht ernst genommen. Viertens muss er im Markt glaubwürdig sein, die Kunden überzeugen, dass er es schafft, das Unternehmen nach vorne zu bringen. Für ein Unternehmen, dem es so schlecht geht wie der Berliner CDU, braucht man allerdings schon eine sehr überzeugende Persönlichkeit. Das dürfte schwer werden.

Was empfiehlt der Headhunter: Wie findet die CDU so eine Persönlichkeit?

Die CDU ist kein Stand-Alone-Unternehmen. Es gibt einen „Mutterkonzern“, die Bundes-CDU. Der muss klar sein, dass sich ein exponierter Standort wie Berlin auf die Dauer kein drittklassiges Führungspersonal mit drittklassigen Ideen leisten kann. Früher oder später muss die Bundes-CDU ein Machtwort sprechen und sagen: Ich hole euch eine Führungskraft von außen, weil ihr es alleine nicht schafft, und wenn ihr die nicht akzeptiert, dann fliegt eure zweite Führungsebene raus. Es kann in Unternehmen nur begrenzte Demokratie geben. Hier gilt der alte Spruch: „One ship, one captain.“

Das Führungspersonal der Berliner CDU konkurriert heftig um die Macht. Wie bekommt ein Sanierer das in den Griff?

Indem man sie vor die Wahl stellt: Entweder zieht ihr mit, oder ihr seid’s gewesen. Wäre die CDU ein Unternehmen, gäbe es nur die Alternative: Schmerzhafte Einschnitte oder der Laden wird dichtgemacht. Will die CDU in Berlin nicht zur Splitterpartei werden, muss sie schmerzhafte Einschnitte machen. Da müssen die Bezirksfürsten einsehen: Ich habe es nicht geschafft, wir brauchen Hilfe von außen.

Für den Job des Spitzenkandidaten kursieren viele Namen, von Klaus Töpfer bis Friedrich Merz. Wen empfehlen Sie?

Eine Idealbesetzung für Berlin wäre Merz. Er verkörpert brillant die Mischung aus Integrationsfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, die man für den Job braucht. Außerdem versteht er etwas von PR und kann rhetorisch die „Kunden“ der CDU erreichen. Und er geht keine faulen Kompromisse ein. Das schlimmste für die Berliner CDU wäre, wenn sie einen Kompromisstyp findet, der versucht, es allen recht zu machen.

Berlins CDU will versuchen, stärker neue Kundengruppen zu erreichen, also liberale, grüne oder ostdeutsche Wähler. Ist das Erfolg versprechend?

Man muss sich natürlich am Markt orientieren und diejenigen gewinnen, die die eigenen Produkte bisher nicht gekauft haben. Aber man darf sich nicht verzetteln oder anbiedern. Das heißt: Ein Ziel verfolgen und dann vermitteln, dass man damit auch für andere wählbar ist. Man wird nie alle erreichen: Ein Wurstfabrikant verkauft nicht plötzlich an Vegetarier.

CDU-Generalsekretär Henkel will gezielt verschiedene Zielgruppen ansprechen, zum Beispiel durch unterschiedliches Marketing in Ost und West.

Völlig falsch. Da könnte man ja gleich zwei konkurrierende Parteien gründen. Außerdem verliert man so das wichtigste Gut, das man als Partei hat: die Glaubwürdigkeit. Die erhält man nur, wenn man stringent ein Ziel definiert, das für die Kunden akzeptabel ist. Klientelpolitik soll die CDU der FDP überlassen, die eh nie mehr als zehn Prozent bekommt.

Wie hilfreich sind Versuche, sich am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen, indem jeder, der sich berufen fühlt, Thesenpapiere zur Zukunft des Unternehmens schreibt und verbreitet?

Nichts gegen Thesenpapiere. Aber dann eines, nicht drei! Alles andere irritiert nur. Gut ist ein Thesenpapier mit fünf, sechs knackigen Thesen, die von allen mitgetragen werden. Mehr wäre kontraproduktiv. Stellen Sie sich eine Firma vor, die drei Entwicklungsabteilungen hat, die alle andere Pläne haben, wo es hingehen soll.

Wie sinnvoll ist nach den letzten Wahlniederlagen die offene Fehlerdebatte, wie sie jetzt angelaufen ist?

Wenn die Berliner CDU anfängt, Fehler der Vergangenheit ernsthaft zu diskutieren, würden die sich 24 Stunden am Tag nur noch mit sich selbst beschäftigen. Was sie brauchen, ist ein Restart, wie das beim Computer heißt. Also einen Schlussstrich setzen, völlig neu aufsetzen und das glaubhaft vermitteln.

Wie schafft die CDU den Neustart?

Wenn sie ein Wirtschaftsunternehmen wäre, müsste Berlins CDU Insolvenz anmelden.

Klingt nicht sehr konstruktiv.

Doch, nehmen Sie nur das Beispiel Herlitz. Ein Traditionsunternehmen mit einem guten Namen. Dann wurden über fünf, sechs Jahre gravierende Fehler gemacht. Danach kam ein neues Management, das anfangs versuchte, das aus eigener Kraft zu retten – erfolglos. Also hat das neue Management gesagt: Wir sind pleite. Nur so ist die Möglichkeit entstanden, wieder neu zu starten. Das war für Herlitz lebensrettend. Die CDU kann natürlich nicht wirklich Insolvenz anmelden. Stattdessen muss die Partei vor einen imaginären Insolvenzrichter gehen und sagen: Es geht nicht mehr, wir starten mit null wieder durch. Allerdings hat Berlins CDU ein Problem: Sie hat nicht so einen mutigen Vorstand wie Herlitz.

Das Gespräch führte Lars von Törne

Michael Tippmann (55) ist Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensberatung Kienbaum in Berlin. Der Diplom-Kaufmann arbeitet als Headhunter und gehört keiner Partei an.

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